Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
und die natürliche Kraft des politisch-religiösen Interesses
trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er sich vermessen
durfte, selbständig unter die Mächte der Welt einzugreifen.
Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorsich-
tig gemacht; noch einmal rief er den Geist der alten Hanse
auf, überredete deutsche Fürsten zu seinen Kriegen, trat mit
fremden Königen in Bündniß. Demokratische, religiöse, mer-
cantile und rein-politische Motive durchdrangen sich in ihm;
er faßte die Absicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt
des demokratisirten Nordens zu machen; er selbst wäre an
das Ruder dieser umgestalteten Welt getreten. Damit über-
schritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche
die deutsche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an-
griff, waren ihm doch zuletzt zu stark; die Niederlagen, welche
die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf seine
Vaterstadt ein; so verlor er den Boden unter seinen Fü-
ßen; er gerieth seinen Feinden in die Hände. Da er den
Norden nicht erobern konnte, so geschah ihm, daß er auf
dem Schaffot umkam.

Es ist überhaupt eine merkwürdige Generation, die
wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen,
die sich selber eingesetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache
keinen Augenblick aufgeben: Fürsten und Herren, die den
Krieg im Kriege suchen; andere dagegen, welche ein sehr
bestimmtes Ziel fest ins Auge fassen und mit beharrlichem
Entschluß verfolgen; alles kräftige gewaltsame, ein allge-
meines Interesse mit dem besondern Vortheil verknüpfende,
hoch strebende Naturen. Zwischen ihnen, keinem andern
an Fähigkeiten nachstehend, der alte König, dem von

Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
und die natürliche Kraft des politiſch-religiöſen Intereſſes
trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er ſich vermeſſen
durfte, ſelbſtändig unter die Mächte der Welt einzugreifen.
Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorſich-
tig gemacht; noch einmal rief er den Geiſt der alten Hanſe
auf, überredete deutſche Fürſten zu ſeinen Kriegen, trat mit
fremden Königen in Bündniß. Demokratiſche, religiöſe, mer-
cantile und rein-politiſche Motive durchdrangen ſich in ihm;
er faßte die Abſicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt
des demokratiſirten Nordens zu machen; er ſelbſt wäre an
das Ruder dieſer umgeſtalteten Welt getreten. Damit über-
ſchritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche
die deutſche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an-
griff, waren ihm doch zuletzt zu ſtark; die Niederlagen, welche
die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf ſeine
Vaterſtadt ein; ſo verlor er den Boden unter ſeinen Fü-
ßen; er gerieth ſeinen Feinden in die Hände. Da er den
Norden nicht erobern konnte, ſo geſchah ihm, daß er auf
dem Schaffot umkam.

Es iſt überhaupt eine merkwürdige Generation, die
wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen,
die ſich ſelber eingeſetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache
keinen Augenblick aufgeben: Fürſten und Herren, die den
Krieg im Kriege ſuchen; andere dagegen, welche ein ſehr
beſtimmtes Ziel feſt ins Auge faſſen und mit beharrlichem
Entſchluß verfolgen; alles kräftige gewaltſame, ein allge-
meines Intereſſe mit dem beſondern Vortheil verknüpfende,
hoch ſtrebende Naturen. Zwiſchen ihnen, keinem andern
an Fähigkeiten nachſtehend, der alte König, dem von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0614" n="598"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Zehntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
und die natürliche Kraft des politi&#x017F;ch-religiö&#x017F;en Intere&#x017F;&#x017F;es<lb/>
trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er &#x017F;ich verme&#x017F;&#x017F;en<lb/>
durfte, &#x017F;elb&#x017F;tändig unter die Mächte der Welt einzugreifen.<lb/>
Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vor&#x017F;ich-<lb/>
tig gemacht; noch einmal rief er den Gei&#x017F;t der alten Han&#x017F;e<lb/>
auf, überredete deut&#x017F;che Für&#x017F;ten zu &#x017F;einen Kriegen, trat mit<lb/>
fremden Königen in Bündniß. Demokrati&#x017F;che, religiö&#x017F;e, mer-<lb/>
cantile und rein-politi&#x017F;che Motive durchdrangen &#x017F;ich in ihm;<lb/>
er faßte die Ab&#x017F;icht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt<lb/>
des demokrati&#x017F;irten Nordens zu machen; er &#x017F;elb&#x017F;t wäre an<lb/>
das Ruder die&#x017F;er umge&#x017F;talteten Welt getreten. Damit über-<lb/>
&#x017F;chritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche<lb/>
die deut&#x017F;che Reformation gediehen war; die Kräfte die er an-<lb/>
griff, waren ihm doch zuletzt zu &#x017F;tark; die Niederlagen, welche<lb/>
die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf &#x017F;eine<lb/>
Vater&#x017F;tadt ein; &#x017F;o verlor er den Boden unter &#x017F;einen Fü-<lb/>
ßen; er gerieth &#x017F;einen Feinden in die Hände. Da er den<lb/>
Norden nicht erobern konnte, &#x017F;o ge&#x017F;chah ihm, daß er auf<lb/>
dem Schaffot umkam.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t überhaupt eine merkwürdige Generation, die<lb/>
wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen,<lb/>
die &#x017F;ich &#x017F;elber einge&#x017F;etzt, und zähe Patricier, die ihre Sache<lb/>
keinen Augenblick aufgeben: Für&#x017F;ten und Herren, die den<lb/>
Krieg im Kriege &#x017F;uchen; andere dagegen, welche ein &#x017F;ehr<lb/>
be&#x017F;timmtes Ziel fe&#x017F;t ins Auge fa&#x017F;&#x017F;en und mit beharrlichem<lb/>
Ent&#x017F;chluß verfolgen; alles kräftige gewalt&#x017F;ame, ein allge-<lb/>
meines Intere&#x017F;&#x017F;e mit dem be&#x017F;ondern Vortheil verknüpfende,<lb/>
hoch &#x017F;trebende Naturen. Zwi&#x017F;chen ihnen, keinem andern<lb/>
an Fähigkeiten nach&#x017F;tehend, der alte König, dem von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[598/0614] Sechstes Buch. Zehntes Capitel. und die natürliche Kraft des politiſch-religiöſen Intereſſes trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er ſich vermeſſen durfte, ſelbſtändig unter die Mächte der Welt einzugreifen. Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorſich- tig gemacht; noch einmal rief er den Geiſt der alten Hanſe auf, überredete deutſche Fürſten zu ſeinen Kriegen, trat mit fremden Königen in Bündniß. Demokratiſche, religiöſe, mer- cantile und rein-politiſche Motive durchdrangen ſich in ihm; er faßte die Abſicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt des demokratiſirten Nordens zu machen; er ſelbſt wäre an das Ruder dieſer umgeſtalteten Welt getreten. Damit über- ſchritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche die deutſche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an- griff, waren ihm doch zuletzt zu ſtark; die Niederlagen, welche die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf ſeine Vaterſtadt ein; ſo verlor er den Boden unter ſeinen Fü- ßen; er gerieth ſeinen Feinden in die Hände. Da er den Norden nicht erobern konnte, ſo geſchah ihm, daß er auf dem Schaffot umkam. Es iſt überhaupt eine merkwürdige Generation, die wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen, die ſich ſelber eingeſetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache keinen Augenblick aufgeben: Fürſten und Herren, die den Krieg im Kriege ſuchen; andere dagegen, welche ein ſehr beſtimmtes Ziel feſt ins Auge faſſen und mit beharrlichem Entſchluß verfolgen; alles kräftige gewaltſame, ein allge- meines Intereſſe mit dem beſondern Vortheil verknüpfende, hoch ſtrebende Naturen. Zwiſchen ihnen, keinem andern an Fähigkeiten nachſtehend, der alte König, dem von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/614
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/614>, abgerufen am 28.11.2024.