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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
wollen, unter seinem Stuhl in der Kirche habe Pulver ge-
legen, im Angesicht der versammelten Gemeinde habe er
in die Luft gesprengt werden sollen.

Erinnern wir uns nun, daß in allen hansischen Städ-
ten, ja in ganz Niederdeutschland, ähnliche Bestrebungen sich
regten, und wo sie auch fürs erste zurückgedrängt worden,
doch keineswegs völlig unterdrückt waren, fassen wir da-
mit zusammen, welchen Beifall nun nach Westen hin die
Wiedertaufe fand, die das demokratische Prinzip nur reli-
giös umkleidete, so sehen wir wohl, welche gewaltige Re-
gung noch einmal die nordisch-germanische Welt ergriffen
hatte. Es ist eine Gährung beinah wie die des Bauern-
aufruhrs, der in Niederdeutschland nicht hatte eindringen
können, sondern an dessen Grenzen gescheitert war. Jetzt
aber, 10 Jahre später, war Niederdeutschland in einer nicht
viel geringern Agitation. Damals, an dem Bauernkriege,
hatten schon einige Städte Antheil genommen, jetzt waren sie
die Vorkämpfer. Lübeck, wie Bonnus sagt, eine Hauptstadt
der ganzen Sachsenzunge, gab nur den Ton an. Was ließ
sich erwarten, wenn da die kühnen Demagogen den Platz
behielten, ihre Pläne durchführten! --

Wie aber einst die Bauern, so konnten auch jetzt
die Städte eines ritterlichen Anführers nicht entbehren.
Sie gewannen den Grafen Christoph von Oldenburg, der
zwar Domherr in Cöln, aber nichts desto minder sehr
kriegerisch, nichts desto minder ein sehr eifriger Protestant
war. Sein Lehrer Schiffhower hatte einst viel Historien
mit ihm gelesen; dann hatte er sich an den Hof Philipps
von Hessen begeben, mit der kriegerisch-religiösen Sinnes-

Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
wollen, unter ſeinem Stuhl in der Kirche habe Pulver ge-
legen, im Angeſicht der verſammelten Gemeinde habe er
in die Luft geſprengt werden ſollen.

Erinnern wir uns nun, daß in allen hanſiſchen Städ-
ten, ja in ganz Niederdeutſchland, ähnliche Beſtrebungen ſich
regten, und wo ſie auch fürs erſte zurückgedrängt worden,
doch keineswegs völlig unterdrückt waren, faſſen wir da-
mit zuſammen, welchen Beifall nun nach Weſten hin die
Wiedertaufe fand, die das demokratiſche Prinzip nur reli-
giös umkleidete, ſo ſehen wir wohl, welche gewaltige Re-
gung noch einmal die nordiſch-germaniſche Welt ergriffen
hatte. Es iſt eine Gährung beinah wie die des Bauern-
aufruhrs, der in Niederdeutſchland nicht hatte eindringen
können, ſondern an deſſen Grenzen geſcheitert war. Jetzt
aber, 10 Jahre ſpäter, war Niederdeutſchland in einer nicht
viel geringern Agitation. Damals, an dem Bauernkriege,
hatten ſchon einige Städte Antheil genommen, jetzt waren ſie
die Vorkämpfer. Lübeck, wie Bonnus ſagt, eine Hauptſtadt
der ganzen Sachſenzunge, gab nur den Ton an. Was ließ
ſich erwarten, wenn da die kühnen Demagogen den Platz
behielten, ihre Pläne durchführten! —

Wie aber einſt die Bauern, ſo konnten auch jetzt
die Städte eines ritterlichen Anführers nicht entbehren.
Sie gewannen den Grafen Chriſtoph von Oldenburg, der
zwar Domherr in Cöln, aber nichts deſto minder ſehr
kriegeriſch, nichts deſto minder ein ſehr eifriger Proteſtant
war. Sein Lehrer Schiffhower hatte einſt viel Hiſtorien
mit ihm geleſen; dann hatte er ſich an den Hof Philipps
von Heſſen begeben, mit der kriegeriſch-religiöſen Sinnes-

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[580/0596] Sechstes Buch. Zehntes Capitel. wollen, unter ſeinem Stuhl in der Kirche habe Pulver ge- legen, im Angeſicht der verſammelten Gemeinde habe er in die Luft geſprengt werden ſollen. Erinnern wir uns nun, daß in allen hanſiſchen Städ- ten, ja in ganz Niederdeutſchland, ähnliche Beſtrebungen ſich regten, und wo ſie auch fürs erſte zurückgedrängt worden, doch keineswegs völlig unterdrückt waren, faſſen wir da- mit zuſammen, welchen Beifall nun nach Weſten hin die Wiedertaufe fand, die das demokratiſche Prinzip nur reli- giös umkleidete, ſo ſehen wir wohl, welche gewaltige Re- gung noch einmal die nordiſch-germaniſche Welt ergriffen hatte. Es iſt eine Gährung beinah wie die des Bauern- aufruhrs, der in Niederdeutſchland nicht hatte eindringen können, ſondern an deſſen Grenzen geſcheitert war. Jetzt aber, 10 Jahre ſpäter, war Niederdeutſchland in einer nicht viel geringern Agitation. Damals, an dem Bauernkriege, hatten ſchon einige Städte Antheil genommen, jetzt waren ſie die Vorkämpfer. Lübeck, wie Bonnus ſagt, eine Hauptſtadt der ganzen Sachſenzunge, gab nur den Ton an. Was ließ ſich erwarten, wenn da die kühnen Demagogen den Platz behielten, ihre Pläne durchführten! — Wie aber einſt die Bauern, ſo konnten auch jetzt die Städte eines ritterlichen Anführers nicht entbehren. Sie gewannen den Grafen Chriſtoph von Oldenburg, der zwar Domherr in Cöln, aber nichts deſto minder ſehr kriegeriſch, nichts deſto minder ein ſehr eifriger Proteſtant war. Sein Lehrer Schiffhower hatte einſt viel Hiſtorien mit ihm geleſen; dann hatte er ſich an den Hof Philipps von Heſſen begeben, mit der kriegeriſch-religiöſen Sinnes-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/596>, abgerufen am 22.11.2024.