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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
lung der Verfassung in Lübeck vollendet. Wullenweber ver-
einigte nun die Macht eines Volksoberhauptes und einer
gesetzmäßigen Obrigkeit. Es schien nicht anders, als werde
er den holländischen Krieg sofort mit aller Anstrengung füh-
ren. Zu diesem Behuf ließ er die großen Kronleuchter aus
der Marienkirche wegnehmen und Geschütz daraus gießen.

Ehe er aber dazu schritt, traten Veränderungen ein,
welche seiner Thätigkeit eine ganz andre Richtung gaben.

Es liegt an und für sich in der Natur der Dinge,
daß die nordischen Regierungen des Feindes entledigt, den
sie so lange gefürchtet, sich nicht mehr so enge an die städ-
tische Macht anschlossen, welche sie vor demselben beschützt
hatte. Sie fühlten jetzt auf neue den Druck, den diese
selbst ausübte: -- die Hemmung der eigenen Handelsregsam-
keit: in dem Siege Lübecks über Holland konnten sie un-
möglich mehr so schlechtweg den eigenen Vortheil sehen.
Und war nicht dort jetzt eine demokratische Faction zur
Herrschaft gelangt, gegen welche sie eine natürliche Antipa-
thie hatten? Konnte diese nicht verwandte Regungen in
ihrer eignen Umgebung erwecken?

Dazu kam nun aber, daß König Friedrich im April
1533 zu Gottorp starb und eine ganze Anzahl Prätenden-
ten der dänischen Krone sich erhoben. Die Söhne Fried-
richs, von denen der eine, Christian, protestantisch gesinnt,
der andere, Johann, im katholischen Glauben erwachsen war,
hatten jeder zahlreiche Anhänger, der letztere besonders in
der hohen Geistlichkeit. Man versichert, daß auch ein ent-
fernter Verwandter, Churfürst Joachim von Brandenburg
Ansprüche gemacht und Hoffnungen habe hegen dürfen. An-

Sechstes Buch. Zehntes Capitel.
lung der Verfaſſung in Lübeck vollendet. Wullenweber ver-
einigte nun die Macht eines Volksoberhauptes und einer
geſetzmäßigen Obrigkeit. Es ſchien nicht anders, als werde
er den holländiſchen Krieg ſofort mit aller Anſtrengung füh-
ren. Zu dieſem Behuf ließ er die großen Kronleuchter aus
der Marienkirche wegnehmen und Geſchütz daraus gießen.

Ehe er aber dazu ſchritt, traten Veränderungen ein,
welche ſeiner Thätigkeit eine ganz andre Richtung gaben.

Es liegt an und für ſich in der Natur der Dinge,
daß die nordiſchen Regierungen des Feindes entledigt, den
ſie ſo lange gefürchtet, ſich nicht mehr ſo enge an die ſtäd-
tiſche Macht anſchloſſen, welche ſie vor demſelben beſchützt
hatte. Sie fühlten jetzt auf neue den Druck, den dieſe
ſelbſt ausübte: — die Hemmung der eigenen Handelsregſam-
keit: in dem Siege Lübecks über Holland konnten ſie un-
möglich mehr ſo ſchlechtweg den eigenen Vortheil ſehen.
Und war nicht dort jetzt eine demokratiſche Faction zur
Herrſchaft gelangt, gegen welche ſie eine natürliche Antipa-
thie hatten? Konnte dieſe nicht verwandte Regungen in
ihrer eignen Umgebung erwecken?

Dazu kam nun aber, daß König Friedrich im April
1533 zu Gottorp ſtarb und eine ganze Anzahl Prätenden-
ten der däniſchen Krone ſich erhoben. Die Söhne Fried-
richs, von denen der eine, Chriſtian, proteſtantiſch geſinnt,
der andere, Johann, im katholiſchen Glauben erwachſen war,
hatten jeder zahlreiche Anhänger, der letztere beſonders in
der hohen Geiſtlichkeit. Man verſichert, daß auch ein ent-
fernter Verwandter, Churfürſt Joachim von Brandenburg
Anſprüche gemacht und Hoffnungen habe hegen dürfen. An-

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[574/0590] Sechstes Buch. Zehntes Capitel. lung der Verfaſſung in Lübeck vollendet. Wullenweber ver- einigte nun die Macht eines Volksoberhauptes und einer geſetzmäßigen Obrigkeit. Es ſchien nicht anders, als werde er den holländiſchen Krieg ſofort mit aller Anſtrengung füh- ren. Zu dieſem Behuf ließ er die großen Kronleuchter aus der Marienkirche wegnehmen und Geſchütz daraus gießen. Ehe er aber dazu ſchritt, traten Veränderungen ein, welche ſeiner Thätigkeit eine ganz andre Richtung gaben. Es liegt an und für ſich in der Natur der Dinge, daß die nordiſchen Regierungen des Feindes entledigt, den ſie ſo lange gefürchtet, ſich nicht mehr ſo enge an die ſtäd- tiſche Macht anſchloſſen, welche ſie vor demſelben beſchützt hatte. Sie fühlten jetzt auf neue den Druck, den dieſe ſelbſt ausübte: — die Hemmung der eigenen Handelsregſam- keit: in dem Siege Lübecks über Holland konnten ſie un- möglich mehr ſo ſchlechtweg den eigenen Vortheil ſehen. Und war nicht dort jetzt eine demokratiſche Faction zur Herrſchaft gelangt, gegen welche ſie eine natürliche Antipa- thie hatten? Konnte dieſe nicht verwandte Regungen in ihrer eignen Umgebung erwecken? Dazu kam nun aber, daß König Friedrich im April 1533 zu Gottorp ſtarb und eine ganze Anzahl Prätenden- ten der däniſchen Krone ſich erhoben. Die Söhne Fried- richs, von denen der eine, Chriſtian, proteſtantiſch geſinnt, der andere, Johann, im katholiſchen Glauben erwachſen war, hatten jeder zahlreiche Anhänger, der letztere beſonders in der hohen Geiſtlichkeit. Man verſichert, daß auch ein ent- fernter Verwandter, Churfürſt Joachim von Brandenburg Anſprüche gemacht und Hoffnungen habe hegen dürfen. An-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/590>, abgerufen am 22.11.2024.