Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Dahin aber warfen sich nun auch die vorwärtsdrän-
genden Tendenzen, das Neue suchend, mit aller Kraft.

In Münster, wo die Geistlichkeit von jeher vorge-
herrscht, kam es zu dem theokratisch-socialistischen Versuche
den wir eben beobachteten.

Eine geistige Bewegung aber, der man ihren Lauf
läßt, wird allemal die eigenthümlichsten Triebe des Orga-
nismus, den sie ergreift, in Thätigkeit setzen. In Lübeck,
im Mittelpunkte der Hanse, gab es andre Interessen, kauf-
männisch-kriegerischer Art; und eben diese waren es nun,
welche hier von dem demokratisch-religiösen Geist auf das
lebendigste angeregt wurden; es kam in Lübeck zu nicht viel
weniger merkwürdigen Ereignissen, als in Münster, obwohl
sie von ganz anderer Natur waren.

Um sie aber zu verstehn, haben wir uns erst auf dem
Boden umzusehen, wo sie sich bewegen.

Dann erinnern wir uns zuvörderst, daß die Macht der
alten Hause auf zwei Momenten beruhte, erstlich der Vereini-
gung der sämmtlichen deutschen Küstenstädte von Narwa nach
Brügge unter sich, sodann dem Verhältniß der Superiorität,
in das sich die mittlern von ihnen, die sogenannten wendi-
schen Städte, zu den skandinavischen Reichen gesetzt hatten.

Noch in diesem Jahrhundert war Skandinavien für
den gesammten Handel von der größten Wichtigkeit. In
gleichzeitigen Verzeichnissen wird aufgezählt, was die Ge-
birge der großen Halbinsel, die Ebene der Vorlande,
und das Meer, das sie umgiebt, dem Verkehr liefern,
das Eisen und Kupfer von Schweden, die Pelterie des
Norder- und die Masten des Süder-Landes von Norwe-

Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Dahin aber warfen ſich nun auch die vorwärtsdrän-
genden Tendenzen, das Neue ſuchend, mit aller Kraft.

In Münſter, wo die Geiſtlichkeit von jeher vorge-
herrſcht, kam es zu dem theokratiſch-ſocialiſtiſchen Verſuche
den wir eben beobachteten.

Eine geiſtige Bewegung aber, der man ihren Lauf
läßt, wird allemal die eigenthümlichſten Triebe des Orga-
nismus, den ſie ergreift, in Thätigkeit ſetzen. In Lübeck,
im Mittelpunkte der Hanſe, gab es andre Intereſſen, kauf-
männiſch-kriegeriſcher Art; und eben dieſe waren es nun,
welche hier von dem demokratiſch-religiöſen Geiſt auf das
lebendigſte angeregt wurden; es kam in Lübeck zu nicht viel
weniger merkwürdigen Ereigniſſen, als in Münſter, obwohl
ſie von ganz anderer Natur waren.

Um ſie aber zu verſtehn, haben wir uns erſt auf dem
Boden umzuſehen, wo ſie ſich bewegen.

Dann erinnern wir uns zuvörderſt, daß die Macht der
alten Hauſe auf zwei Momenten beruhte, erſtlich der Vereini-
gung der ſämmtlichen deutſchen Küſtenſtädte von Narwa nach
Brügge unter ſich, ſodann dem Verhältniß der Superiorität,
in das ſich die mittlern von ihnen, die ſogenannten wendi-
ſchen Städte, zu den ſkandinaviſchen Reichen geſetzt hatten.

Noch in dieſem Jahrhundert war Skandinavien für
den geſammten Handel von der größten Wichtigkeit. In
gleichzeitigen Verzeichniſſen wird aufgezählt, was die Ge-
birge der großen Halbinſel, die Ebene der Vorlande,
und das Meer, das ſie umgiebt, dem Verkehr liefern,
das Eiſen und Kupfer von Schweden, die Pelterie des
Norder- und die Maſten des Süder-Landes von Norwe-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0582" n="566"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Zehntes Capitel</hi>.</fw><lb/>
          <p>Dahin aber warfen &#x017F;ich nun auch die vorwärtsdrän-<lb/>
genden Tendenzen, das Neue &#x017F;uchend, mit aller Kraft.</p><lb/>
          <p>In Mün&#x017F;ter, wo die Gei&#x017F;tlichkeit von jeher vorge-<lb/>
herr&#x017F;cht, kam es zu dem theokrati&#x017F;ch-&#x017F;ociali&#x017F;ti&#x017F;chen Ver&#x017F;uche<lb/>
den wir eben beobachteten.</p><lb/>
          <p>Eine gei&#x017F;tige Bewegung aber, der man ihren Lauf<lb/>
läßt, wird allemal die eigenthümlich&#x017F;ten Triebe des Orga-<lb/>
nismus, den &#x017F;ie ergreift, in Thätigkeit &#x017F;etzen. In Lübeck,<lb/>
im Mittelpunkte der Han&#x017F;e, gab es andre Intere&#x017F;&#x017F;en, kauf-<lb/>
männi&#x017F;ch-kriegeri&#x017F;cher Art; und eben die&#x017F;e waren es nun,<lb/>
welche hier von dem demokrati&#x017F;ch-religiö&#x017F;en Gei&#x017F;t auf das<lb/>
lebendig&#x017F;te angeregt wurden; es kam in Lübeck zu nicht viel<lb/>
weniger merkwürdigen Ereigni&#x017F;&#x017F;en, als in Mün&#x017F;ter, obwohl<lb/>
&#x017F;ie von ganz anderer Natur waren.</p><lb/>
          <p>Um &#x017F;ie aber zu ver&#x017F;tehn, haben wir uns er&#x017F;t auf dem<lb/>
Boden umzu&#x017F;ehen, wo &#x017F;ie &#x017F;ich bewegen.</p><lb/>
          <p>Dann erinnern wir uns zuvörder&#x017F;t, daß die Macht der<lb/>
alten Hau&#x017F;e auf zwei Momenten beruhte, er&#x017F;tlich der Vereini-<lb/>
gung der &#x017F;ämmtlichen deut&#x017F;chen Kü&#x017F;ten&#x017F;tädte von Narwa nach<lb/>
Brügge unter &#x017F;ich, &#x017F;odann dem Verhältniß der Superiorität,<lb/>
in das &#x017F;ich die mittlern von ihnen, die &#x017F;ogenannten wendi-<lb/>
&#x017F;chen Städte, zu den &#x017F;kandinavi&#x017F;chen Reichen ge&#x017F;etzt hatten.</p><lb/>
          <p>Noch in die&#x017F;em Jahrhundert war Skandinavien für<lb/>
den ge&#x017F;ammten Handel von der größten Wichtigkeit. In<lb/>
gleichzeitigen Verzeichni&#x017F;&#x017F;en wird aufgezählt, was die Ge-<lb/>
birge der großen Halbin&#x017F;el, die Ebene der Vorlande,<lb/>
und das Meer, das &#x017F;ie umgiebt, dem Verkehr liefern,<lb/>
das Ei&#x017F;en und Kupfer von Schweden, die Pelterie des<lb/>
Norder- und die Ma&#x017F;ten des Süder-Landes von Norwe-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[566/0582] Sechstes Buch. Zehntes Capitel. Dahin aber warfen ſich nun auch die vorwärtsdrän- genden Tendenzen, das Neue ſuchend, mit aller Kraft. In Münſter, wo die Geiſtlichkeit von jeher vorge- herrſcht, kam es zu dem theokratiſch-ſocialiſtiſchen Verſuche den wir eben beobachteten. Eine geiſtige Bewegung aber, der man ihren Lauf läßt, wird allemal die eigenthümlichſten Triebe des Orga- nismus, den ſie ergreift, in Thätigkeit ſetzen. In Lübeck, im Mittelpunkte der Hanſe, gab es andre Intereſſen, kauf- männiſch-kriegeriſcher Art; und eben dieſe waren es nun, welche hier von dem demokratiſch-religiöſen Geiſt auf das lebendigſte angeregt wurden; es kam in Lübeck zu nicht viel weniger merkwürdigen Ereigniſſen, als in Münſter, obwohl ſie von ganz anderer Natur waren. Um ſie aber zu verſtehn, haben wir uns erſt auf dem Boden umzuſehen, wo ſie ſich bewegen. Dann erinnern wir uns zuvörderſt, daß die Macht der alten Hauſe auf zwei Momenten beruhte, erſtlich der Vereini- gung der ſämmtlichen deutſchen Küſtenſtädte von Narwa nach Brügge unter ſich, ſodann dem Verhältniß der Superiorität, in das ſich die mittlern von ihnen, die ſogenannten wendi- ſchen Städte, zu den ſkandinaviſchen Reichen geſetzt hatten. Noch in dieſem Jahrhundert war Skandinavien für den geſammten Handel von der größten Wichtigkeit. In gleichzeitigen Verzeichniſſen wird aufgezählt, was die Ge- birge der großen Halbinſel, die Ebene der Vorlande, und das Meer, das ſie umgiebt, dem Verkehr liefern, das Eiſen und Kupfer von Schweden, die Pelterie des Norder- und die Maſten des Süder-Landes von Norwe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/582
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/582>, abgerufen am 22.11.2024.