Münster gegangen, um, wie sie sagte, ihrer Seele Selig- keit bei dem Worte Gottes zu suchen, fühlte sich durch die Geschichte der Judith, die sie einst bei Tisch verlesen hörte angetrieben, diesem Beispiel nachzufolgen. Sie ging in der That heraus, so gut wie möglich herausgeputzt, mit Schmuck, den man ihr aus der Canzlei mitgegeben, und mit einigem Geld versehn. Aber eben schon ihr unge- wohnter Aufzug erregte Verdacht. Sie ward nicht bis zu dem Bischof gelassen, den sie zu tödten im Sinne gehabt. In dem Verhör bekannte sie ihr Vorhaben und starb dafür. 1
Am 30. August 1534 versuchte der Bischof die Stadt zu stürmen. Allein er fand sie auf das beste vorbereitet, ihn zu empfangen. Ein Kern von tapfern Mannschaften stand auf dem Markte, um unter der Führung des Königs immer derjenigen Stelle die am meisten bedroht seyn würde zur Hülfe zu kommen. Andere waren hinter den Mauern rings her in den Baumgärten aufgestellt. Die Hauptmacht erwar- tete unmittelbar auf den Wällen den Feind: zwischen den Männern standen Knaben und Frauen, jene mit Bogen und Pfeil, diese mit großen Kesseln, um darin, wie sie sagten, das Morgenessen für die Feinde zu kochen. Früh um fünf gab in dem Lager die große hessische Karthaune, genannt der Teufel, das Zeichen; gegen sechs verschiedene Stellen auf einmal setzten sich die Landsknechte in Bewe- gung; es gelang ihnen wirklich, über die Gräben und Zäune zu kommen; dann legten sie die Leitern an; schon
1 Bekanntnisse Hyllen Feyken aen pyn am Freydag nach Na- tivitatis Joh. Baptistä -- pynlig Bekanntnisse H. F. am Saterdag na J. B. Bei Niesert I, 40, 44.
Vertheidigung.
Münſter gegangen, um, wie ſie ſagte, ihrer Seele Selig- keit bei dem Worte Gottes zu ſuchen, fühlte ſich durch die Geſchichte der Judith, die ſie einſt bei Tiſch verleſen hörte angetrieben, dieſem Beiſpiel nachzufolgen. Sie ging in der That heraus, ſo gut wie möglich herausgeputzt, mit Schmuck, den man ihr aus der Canzlei mitgegeben, und mit einigem Geld verſehn. Aber eben ſchon ihr unge- wohnter Aufzug erregte Verdacht. Sie ward nicht bis zu dem Biſchof gelaſſen, den ſie zu tödten im Sinne gehabt. In dem Verhör bekannte ſie ihr Vorhaben und ſtarb dafür. 1
Am 30. Auguſt 1534 verſuchte der Biſchof die Stadt zu ſtürmen. Allein er fand ſie auf das beſte vorbereitet, ihn zu empfangen. Ein Kern von tapfern Mannſchaften ſtand auf dem Markte, um unter der Führung des Königs immer derjenigen Stelle die am meiſten bedroht ſeyn würde zur Hülfe zu kommen. Andere waren hinter den Mauern rings her in den Baumgärten aufgeſtellt. Die Hauptmacht erwar- tete unmittelbar auf den Wällen den Feind: zwiſchen den Männern ſtanden Knaben und Frauen, jene mit Bogen und Pfeil, dieſe mit großen Keſſeln, um darin, wie ſie ſagten, das Morgeneſſen für die Feinde zu kochen. Früh um fünf gab in dem Lager die große heſſiſche Karthaune, genannt der Teufel, das Zeichen; gegen ſechs verſchiedene Stellen auf einmal ſetzten ſich die Landsknechte in Bewe- gung; es gelang ihnen wirklich, über die Gräben und Zäune zu kommen; dann legten ſie die Leitern an; ſchon
1 Bekanntniſſe Hyllen Feyken aen pyn am Freydag nach Na- tivitatis Joh. Baptiſtaͤ — pynlig Bekanntniſſe H. F. am Saterdag na J. B. Bei Nieſert I, 40, 44.
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Vertheidigung.
Münſter gegangen, um, wie ſie ſagte, ihrer Seele Selig-
keit bei dem Worte Gottes zu ſuchen, fühlte ſich durch
die Geſchichte der Judith, die ſie einſt bei Tiſch verleſen
hörte angetrieben, dieſem Beiſpiel nachzufolgen. Sie ging
in der That heraus, ſo gut wie möglich herausgeputzt,
mit Schmuck, den man ihr aus der Canzlei mitgegeben,
und mit einigem Geld verſehn. Aber eben ſchon ihr unge-
wohnter Aufzug erregte Verdacht. Sie ward nicht bis zu
dem Biſchof gelaſſen, den ſie zu tödten im Sinne gehabt. In
dem Verhör bekannte ſie ihr Vorhaben und ſtarb dafür. 1
Am 30. Auguſt 1534 verſuchte der Biſchof die Stadt
zu ſtürmen. Allein er fand ſie auf das beſte vorbereitet, ihn
zu empfangen. Ein Kern von tapfern Mannſchaften ſtand
auf dem Markte, um unter der Führung des Königs immer
derjenigen Stelle die am meiſten bedroht ſeyn würde zur Hülfe
zu kommen. Andere waren hinter den Mauern rings her
in den Baumgärten aufgeſtellt. Die Hauptmacht erwar-
tete unmittelbar auf den Wällen den Feind: zwiſchen den
Männern ſtanden Knaben und Frauen, jene mit Bogen
und Pfeil, dieſe mit großen Keſſeln, um darin, wie ſie
ſagten, das Morgeneſſen für die Feinde zu kochen. Früh
um fünf gab in dem Lager die große heſſiſche Karthaune,
genannt der Teufel, das Zeichen; gegen ſechs verſchiedene
Stellen auf einmal ſetzten ſich die Landsknechte in Bewe-
gung; es gelang ihnen wirklich, über die Gräben und
Zäune zu kommen; dann legten ſie die Leitern an; ſchon
1 Bekanntniſſe Hyllen Feyken aen pyn am Freydag nach Na-
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na J. B. Bei Nieſert I, 40, 44.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/559>, abgerufen am 22.11.2024.
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