Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Christoph von Wirtemberg. weilen Mangel gelitten; er sagt selbst, sein Zustand habebei Jedermann Mitleiden erregt; er ist sogar einmal in Ge- fahr gerathen, von den Türken weggeführt zu werden. Aber frühes Mißgeschick ist einem Fürsten oft nützlicher als der Müßiggang und die Schmeichelei des Hofes; ihm wollte das Glück in der Hauptsache doch wohl. Er bekam einen Lehrer, der gute Wissenschaften besaß und sich mit voller Hingebung an ihn anschloß, Michael Tifernus. Das Schick- sal dieses Mannes vergegenwärtigt uns recht den Zustand jener Zeiten. Als Kind war dieser Michael von den Tür- ken weggeführt worden, man wußte nicht von wo, doch hatten sie ihn zuletzt wieder liegen lassen. Man brachte den armen Findling nach Tybein, Duino, wovon er sei- nen Namen führt, unfern von Triest; da ist er von guten Menschen auferzogen, darnach in ein Collegium zu Wien ge- bracht und dort gebildet worden. In jener Stunde der Gefahr hatte er hauptsächlich seinen Zögling gerettet. Un- ter seiner Leitung gedieh derselbe nun vortrefflich. Und all- mählig zog man ihn auch an den Hof, denn nicht unfürst- lich wollte man ihn halten; er war 1530 mit dem Kaiser in Augsburg. Da mußte sich ihm aber allmählig auch die Welt aufschließen; es konnte nicht an Leuten fehlen, die ihm seine Ansprüche in Erinnerung brachten. Wie mochten ihn bei jener Belehnung Ferdinands die Fahnen von Wirtemberg und Teck in dessen Händen ansehn! Das Gefühl seines Rechtes erwuchs in ihm mit der Zunahme seiner männlichen Jahre und Kräfte: doch mußte er es zurückdrängen, verschlossen halten. Und in dieser gespann- ten Stimmung nun geschah ihm der Vorschlag, den Kaiser Ranke d. Gesch. III. 29
Chriſtoph von Wirtemberg. weilen Mangel gelitten; er ſagt ſelbſt, ſein Zuſtand habebei Jedermann Mitleiden erregt; er iſt ſogar einmal in Ge- fahr gerathen, von den Türken weggeführt zu werden. Aber frühes Mißgeſchick iſt einem Fürſten oft nützlicher als der Müßiggang und die Schmeichelei des Hofes; ihm wollte das Glück in der Hauptſache doch wohl. Er bekam einen Lehrer, der gute Wiſſenſchaften beſaß und ſich mit voller Hingebung an ihn anſchloß, Michael Tifernus. Das Schick- ſal dieſes Mannes vergegenwärtigt uns recht den Zuſtand jener Zeiten. Als Kind war dieſer Michael von den Tür- ken weggeführt worden, man wußte nicht von wo, doch hatten ſie ihn zuletzt wieder liegen laſſen. Man brachte den armen Findling nach Tybein, Duino, wovon er ſei- nen Namen führt, unfern von Trieſt; da iſt er von guten Menſchen auferzogen, darnach in ein Collegium zu Wien ge- bracht und dort gebildet worden. In jener Stunde der Gefahr hatte er hauptſächlich ſeinen Zögling gerettet. Un- ter ſeiner Leitung gedieh derſelbe nun vortrefflich. Und all- mählig zog man ihn auch an den Hof, denn nicht unfürſt- lich wollte man ihn halten; er war 1530 mit dem Kaiſer in Augsburg. Da mußte ſich ihm aber allmählig auch die Welt aufſchließen; es konnte nicht an Leuten fehlen, die ihm ſeine Anſprüche in Erinnerung brachten. Wie mochten ihn bei jener Belehnung Ferdinands die Fahnen von Wirtemberg und Teck in deſſen Händen anſehn! Das Gefühl ſeines Rechtes erwuchs in ihm mit der Zunahme ſeiner männlichen Jahre und Kräfte: doch mußte er es zurückdrängen, verſchloſſen halten. Und in dieſer geſpann- ten Stimmung nun geſchah ihm der Vorſchlag, den Kaiſer Ranke d. Geſch. III. 29
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Chriſtoph von Wirtemberg.
weilen Mangel gelitten; er ſagt ſelbſt, ſein Zuſtand habe
bei Jedermann Mitleiden erregt; er iſt ſogar einmal in Ge-
fahr gerathen, von den Türken weggeführt zu werden. Aber
frühes Mißgeſchick iſt einem Fürſten oft nützlicher als der
Müßiggang und die Schmeichelei des Hofes; ihm wollte
das Glück in der Hauptſache doch wohl. Er bekam einen
Lehrer, der gute Wiſſenſchaften beſaß und ſich mit voller
Hingebung an ihn anſchloß, Michael Tifernus. Das Schick-
ſal dieſes Mannes vergegenwärtigt uns recht den Zuſtand
jener Zeiten. Als Kind war dieſer Michael von den Tür-
ken weggeführt worden, man wußte nicht von wo, doch
hatten ſie ihn zuletzt wieder liegen laſſen. Man brachte
den armen Findling nach Tybein, Duino, wovon er ſei-
nen Namen führt, unfern von Trieſt; da iſt er von guten
Menſchen auferzogen, darnach in ein Collegium zu Wien ge-
bracht und dort gebildet worden. In jener Stunde der
Gefahr hatte er hauptſächlich ſeinen Zögling gerettet. Un-
ter ſeiner Leitung gedieh derſelbe nun vortrefflich. Und all-
mählig zog man ihn auch an den Hof, denn nicht unfürſt-
lich wollte man ihn halten; er war 1530 mit dem Kaiſer
in Augsburg. Da mußte ſich ihm aber allmählig auch
die Welt aufſchließen; es konnte nicht an Leuten fehlen,
die ihm ſeine Anſprüche in Erinnerung brachten. Wie
mochten ihn bei jener Belehnung Ferdinands die Fahnen
von Wirtemberg und Teck in deſſen Händen anſehn! Das
Gefühl ſeines Rechtes erwuchs in ihm mit der Zunahme
ſeiner männlichen Jahre und Kräfte: doch mußte er es
zurückdrängen, verſchloſſen halten. Und in dieſer geſpann-
ten Stimmung nun geſchah ihm der Vorſchlag, den Kaiſer
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