Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Sechstes Buch. Sechstes Capitel. der Mauer; Jurischitz erwartete nur den Tod: ich freuemich, sagte er, daß mir die Gnade Gottes ein so ehren- volles Ende bestimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch rettete. Jene wehrlosen Flüchtlinge, Weiber, Greise und Kinder, sahen sich nun doch der Wuth des entsetzlichen barbarischen Feindes preisgegeben. Indem er auf sie ein- drang, stießen sie ein Geschrei aus, in dem sich das Anru- fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermischte, jenes durchdringende Geschrei, wie es die Natur aus dem lebendigen Geschöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es sich von dem unabwendbaren Verderben bedroht sieht. Kann man dieß ein Gebet nennen, so ward nie ein Gebet un- mittelbarer erhört. Die siegreichen Osmanen erschraken vor der Verzweiflung. Längst war ihnen der Widerstand, den sie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten sie, aus dem Schlosse, aus jedem Hause frische Mannschaften vordringen zu sehen, sie glaubten in den Lüften einen Rit- ter in seinem Harnisch zu erblicken, der ihnen mit gezück- tem Schwerte drohe. So wichen sie zurück. "Der allmäch- tige Gott," ruft Jurischitz aus, "hat uns sichtbarlich gerettet." 1 Ein Ereigniß, welches an die Delphischen Götter ge- 1 Schreiben von Jurischitz in Göbels Beiträgen p. 303. Fer-
ner was Jovius aus seinem Munde hörte lib. XXX, p. 105. Se- pulveda X, 17--23. Sechstes Buch. Sechstes Capitel. der Mauer; Juriſchitz erwartete nur den Tod: ich freuemich, ſagte er, daß mir die Gnade Gottes ein ſo ehren- volles Ende beſtimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch rettete. Jene wehrloſen Flüchtlinge, Weiber, Greiſe und Kinder, ſahen ſich nun doch der Wuth des entſetzlichen barbariſchen Feindes preisgegeben. Indem er auf ſie ein- drang, ſtießen ſie ein Geſchrei aus, in dem ſich das Anru- fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermiſchte, jenes durchdringende Geſchrei, wie es die Natur aus dem lebendigen Geſchöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es ſich von dem unabwendbaren Verderben bedroht ſieht. Kann man dieß ein Gebet nennen, ſo ward nie ein Gebet un- mittelbarer erhört. Die ſiegreichen Osmanen erſchraken vor der Verzweiflung. Längſt war ihnen der Widerſtand, den ſie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten ſie, aus dem Schloſſe, aus jedem Hauſe friſche Mannſchaften vordringen zu ſehen, ſie glaubten in den Lüften einen Rit- ter in ſeinem Harniſch zu erblicken, der ihnen mit gezück- tem Schwerte drohe. So wichen ſie zurück. „Der allmäch- tige Gott,“ ruft Juriſchitz aus, „hat uns ſichtbarlich gerettet.“ 1 Ein Ereigniß, welches an die Delphiſchen Götter ge- 1 Schreiben von Juriſchitz in Goͤbels Beitraͤgen p. 303. Fer-
ner was Jovius aus ſeinem Munde hoͤrte lib. XXX, p. 105. Se- pulveda X, 17—23. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0446" n="430"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechstes Buch. Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/> der Mauer; Juriſchitz erwartete nur den Tod: ich freue<lb/> mich, ſagte er, daß mir die Gnade Gottes ein ſo ehren-<lb/> volles Ende beſtimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch<lb/> rettete. Jene wehrloſen Flüchtlinge, Weiber, Greiſe und<lb/> Kinder, ſahen ſich nun doch der Wuth des entſetzlichen<lb/> barbariſchen Feindes preisgegeben. Indem er auf ſie ein-<lb/> drang, ſtießen ſie ein Geſchrei aus, in dem ſich das Anru-<lb/> fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermiſchte,<lb/> jenes durchdringende Geſchrei, wie es die Natur aus dem<lb/> lebendigen Geſchöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es ſich<lb/> von dem unabwendbaren Verderben bedroht ſieht. Kann<lb/> man dieß ein Gebet nennen, ſo ward nie ein Gebet un-<lb/> mittelbarer erhört. Die ſiegreichen Osmanen erſchraken vor<lb/> der Verzweiflung. Längſt war ihnen der Widerſtand, den<lb/> ſie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten ſie,<lb/> aus dem Schloſſe, aus jedem Hauſe friſche Mannſchaften<lb/> vordringen zu ſehen, ſie glaubten in den Lüften einen Rit-<lb/> ter in ſeinem Harniſch zu erblicken, der ihnen mit gezück-<lb/> tem Schwerte drohe. So wichen ſie zurück. „Der allmäch-<lb/> tige Gott,“ ruft Juriſchitz aus, „hat uns ſichtbarlich gerettet.“ <note place="foot" n="1">Schreiben von Juriſchitz in Goͤbels Beitraͤgen <hi rendition="#aq">p.</hi> 303. Fer-<lb/> ner was Jovius aus ſeinem Munde hoͤrte <hi rendition="#aq">lib. XXX, p. 105. Se-<lb/> pulveda X,</hi> 17—23.</note></p><lb/> <p>Ein Ereigniß, welches an die Delphiſchen Götter ge-<lb/> mahnen könnte, die ſich dem Einbruch der Gallier in Grie-<lb/> chenland entgegenſtellten; an die Erſcheinung, die dem Dru-<lb/> ſus mitten in Deutſchland zurief: „Bis hieher und nicht<lb/> weiter;“ an andere Wendungen des Geſchicks, welche die<lb/> Meinung der Menſchen in dem Moment ihres Geſchehens<lb/> mit einer höhern Waltung, wie ſie dieſelbe nun auch auf-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [430/0446]
Sechstes Buch. Sechstes Capitel.
der Mauer; Juriſchitz erwartete nur den Tod: ich freue
mich, ſagte er, daß mir die Gnade Gottes ein ſo ehren-
volles Ende beſtimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch
rettete. Jene wehrloſen Flüchtlinge, Weiber, Greiſe und
Kinder, ſahen ſich nun doch der Wuth des entſetzlichen
barbariſchen Feindes preisgegeben. Indem er auf ſie ein-
drang, ſtießen ſie ein Geſchrei aus, in dem ſich das Anru-
fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermiſchte,
jenes durchdringende Geſchrei, wie es die Natur aus dem
lebendigen Geſchöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es ſich
von dem unabwendbaren Verderben bedroht ſieht. Kann
man dieß ein Gebet nennen, ſo ward nie ein Gebet un-
mittelbarer erhört. Die ſiegreichen Osmanen erſchraken vor
der Verzweiflung. Längſt war ihnen der Widerſtand, den
ſie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten ſie,
aus dem Schloſſe, aus jedem Hauſe friſche Mannſchaften
vordringen zu ſehen, ſie glaubten in den Lüften einen Rit-
ter in ſeinem Harniſch zu erblicken, der ihnen mit gezück-
tem Schwerte drohe. So wichen ſie zurück. „Der allmäch-
tige Gott,“ ruft Juriſchitz aus, „hat uns ſichtbarlich gerettet.“ 1
Ein Ereigniß, welches an die Delphiſchen Götter ge-
mahnen könnte, die ſich dem Einbruch der Gallier in Grie-
chenland entgegenſtellten; an die Erſcheinung, die dem Dru-
ſus mitten in Deutſchland zurief: „Bis hieher und nicht
weiter;“ an andere Wendungen des Geſchicks, welche die
Meinung der Menſchen in dem Moment ihres Geſchehens
mit einer höhern Waltung, wie ſie dieſelbe nun auch auf-
1 Schreiben von Juriſchitz in Goͤbels Beitraͤgen p. 303. Fer-
ner was Jovius aus ſeinem Munde hoͤrte lib. XXX, p. 105. Se-
pulveda X, 17—23.
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