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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Reform. in den niederdeutschen Städten.
Glauben zu verharren; die Folge war, daß sie den Her-
zog bat, ihr den Reformator, den er aus Augsburg mit-
gebracht, Urbanus Regius, auf eine Zeitlang zu überlassen,
um auch ihre Kirche einzurichten; was dieser dann nach
und nach wirklich ausführte. 1

So gewaltig drang der protestantische Geist in den
niederdeutschen Gebieten vor. Schon hatte er einen Theil
der Fürstenthümer inne; schon war er in den wendischen
Städten zur Herrschaft gelangt; er griff in Westfalen --
wir werden darauf zurückkommen -- mächtig um sich; er
machte den Versuch, das norddeutsche Wesen ganz zu
durchdringen.

Es ließ sich jedoch vorhersehen, daß ehe dieß gelingen
konnte, noch manche Stürme zu bestehen waren.

Dem kirchlichen Bestreben hatten sich überaus starke
politische Tendenzen beigemischt, und es war erst die Frage,
in wie fern sich dieselben in das Geleis der herkömmlichen
Zustände lenken, oder umwälzende Kräfte in sich entwickeln
würden.

Damit hingen auch Abwandlungen der religiösen Mei-
nung zusammen, die sich nicht immer innerhalb der Schran-
ken des lutherischen Systems hielten, und von denen nicht ab-
zusehen war, welche Richtung sie noch einschlagen konnten.

Wir werden diese Entwickelungen, die so höchst merk-
würdig geworden sind, weiter wahrnehmen; es kam die Zeit,
wo der mächtig aufgeregte Geist sich noch einmal auf ganz
ungewohnten Bahnen versuchte.

Zunächst war jedoch davon noch nicht die Rede.


1 Obiges Schreiben: "haben heud der Rath und die Gemeyne
mir semptlich geschrieben."

Reform. in den niederdeutſchen Staͤdten.
Glauben zu verharren; die Folge war, daß ſie den Her-
zog bat, ihr den Reformator, den er aus Augsburg mit-
gebracht, Urbanus Regius, auf eine Zeitlang zu überlaſſen,
um auch ihre Kirche einzurichten; was dieſer dann nach
und nach wirklich ausführte. 1

So gewaltig drang der proteſtantiſche Geiſt in den
niederdeutſchen Gebieten vor. Schon hatte er einen Theil
der Fürſtenthümer inne; ſchon war er in den wendiſchen
Städten zur Herrſchaft gelangt; er griff in Weſtfalen —
wir werden darauf zurückkommen — mächtig um ſich; er
machte den Verſuch, das norddeutſche Weſen ganz zu
durchdringen.

Es ließ ſich jedoch vorherſehen, daß ehe dieß gelingen
konnte, noch manche Stürme zu beſtehen waren.

Dem kirchlichen Beſtreben hatten ſich überaus ſtarke
politiſche Tendenzen beigemiſcht, und es war erſt die Frage,
in wie fern ſich dieſelben in das Geleis der herkömmlichen
Zuſtände lenken, oder umwälzende Kräfte in ſich entwickeln
würden.

Damit hingen auch Abwandlungen der religiöſen Mei-
nung zuſammen, die ſich nicht immer innerhalb der Schran-
ken des lutheriſchen Syſtems hielten, und von denen nicht ab-
zuſehen war, welche Richtung ſie noch einſchlagen konnten.

Wir werden dieſe Entwickelungen, die ſo höchſt merk-
würdig geworden ſind, weiter wahrnehmen; es kam die Zeit,
wo der mächtig aufgeregte Geiſt ſich noch einmal auf ganz
ungewohnten Bahnen verſuchte.

Zunächſt war jedoch davon noch nicht die Rede.


1 Obiges Schreiben: „haben heud der Rath und die Gemeyne
mir ſemptlich geſchrieben.“
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[389/0405] Reform. in den niederdeutſchen Staͤdten. Glauben zu verharren; die Folge war, daß ſie den Her- zog bat, ihr den Reformator, den er aus Augsburg mit- gebracht, Urbanus Regius, auf eine Zeitlang zu überlaſſen, um auch ihre Kirche einzurichten; was dieſer dann nach und nach wirklich ausführte. 1 So gewaltig drang der proteſtantiſche Geiſt in den niederdeutſchen Gebieten vor. Schon hatte er einen Theil der Fürſtenthümer inne; ſchon war er in den wendiſchen Städten zur Herrſchaft gelangt; er griff in Weſtfalen — wir werden darauf zurückkommen — mächtig um ſich; er machte den Verſuch, das norddeutſche Weſen ganz zu durchdringen. Es ließ ſich jedoch vorherſehen, daß ehe dieß gelingen konnte, noch manche Stürme zu beſtehen waren. Dem kirchlichen Beſtreben hatten ſich überaus ſtarke politiſche Tendenzen beigemiſcht, und es war erſt die Frage, in wie fern ſich dieſelben in das Geleis der herkömmlichen Zuſtände lenken, oder umwälzende Kräfte in ſich entwickeln würden. Damit hingen auch Abwandlungen der religiöſen Mei- nung zuſammen, die ſich nicht immer innerhalb der Schran- ken des lutheriſchen Syſtems hielten, und von denen nicht ab- zuſehen war, welche Richtung ſie noch einſchlagen konnten. Wir werden dieſe Entwickelungen, die ſo höchſt merk- würdig geworden ſind, weiter wahrnehmen; es kam die Zeit, wo der mächtig aufgeregte Geiſt ſich noch einmal auf ganz ungewohnten Bahnen verſuchte. Zunächſt war jedoch davon noch nicht die Rede. 1 Obiges Schreiben: „haben heud der Rath und die Gemeyne mir ſemptlich geſchrieben.“

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/405>, abgerufen am 24.11.2024.