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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fortschritte der Reformation in der Schweiz.
weisen. Die Prediger wurden mit aufgeschlitzter Zunge ver-
jagt, oder gar mit dem Schwert hingerichtet. Flüchtlinge,
die sich von der deutschen Seite nach der Schweiz gerettet,
wurden der östreichischen Regierung der Vorlande ausgelie-
fert, die sie ohne Weiteres umbringen ließ. 1 Alle Bücher der
neuen Lehre, auch Testamente und Bibeln wurden wegge-
nommen. In dem Bade zu Baden wurde den Verstor-
benen, wenn sie evangelisch gewesen, ein ehrliches Begräb-
niß versagt.

Schon längst hatten das die Züricher mit Unwillen
wahrgenommen; so wie sie einigermaaßen die Kraft dazu
fühlten, beschlossen sie es nicht mehr zu leiden. Es ist
einer der vornehmsten Artikel in dem Bunde zwischen Zürich
und Bern, daß man in den gemeinen Herrschaften und Vog-
teien, die auch ihnen an ihrem gebührenden Theile gehören,
fortan die Kirchengemeinden, die durch Stimmenmehrheit
beschließen sich zu dem Evangelium zu halten, durch keine
Gewalt daran verhindern lassen wolle. 2

Hierauf regten sich allenthalben in Thurgau und Rhein-
thal die unterdrückten evangelischen Neigungen. Die fünf
Orte verzweifelten, sie lediglich mit ihrer landvogtlichen
Gewalt niederzuhalten; am 30. Nov. 1528 versammelten
sie alle Gerichtsherrn und Sendboten der Gemeinden von
Thurgau in Frauenfeld, um sie zu ermahnen, sich von dem
Mehrtheil der Orte, denen sie Gehorsam schuldig, in Hin-
sicht des Glaubens nicht zu sondern, vielmehr dem Land-
vogt zur Bestrafung der Abtrünnigen beizustehn. An die-

1 Ausschreiben von Zürich 3. März 1529. Vgl. Bullinger
II, p. 31.
2 Urkunde des Burgrechtes bei Bullinger Bd. II, p. 11.
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Fortſchritte der Reformation in der Schweiz.
weiſen. Die Prediger wurden mit aufgeſchlitzter Zunge ver-
jagt, oder gar mit dem Schwert hingerichtet. Flüchtlinge,
die ſich von der deutſchen Seite nach der Schweiz gerettet,
wurden der öſtreichiſchen Regierung der Vorlande ausgelie-
fert, die ſie ohne Weiteres umbringen ließ. 1 Alle Bücher der
neuen Lehre, auch Teſtamente und Bibeln wurden wegge-
nommen. In dem Bade zu Baden wurde den Verſtor-
benen, wenn ſie evangeliſch geweſen, ein ehrliches Begräb-
niß verſagt.

Schon längſt hatten das die Züricher mit Unwillen
wahrgenommen; ſo wie ſie einigermaaßen die Kraft dazu
fühlten, beſchloſſen ſie es nicht mehr zu leiden. Es iſt
einer der vornehmſten Artikel in dem Bunde zwiſchen Zürich
und Bern, daß man in den gemeinen Herrſchaften und Vog-
teien, die auch ihnen an ihrem gebührenden Theile gehören,
fortan die Kirchengemeinden, die durch Stimmenmehrheit
beſchließen ſich zu dem Evangelium zu halten, durch keine
Gewalt daran verhindern laſſen wolle. 2

Hierauf regten ſich allenthalben in Thurgau und Rhein-
thal die unterdrückten evangeliſchen Neigungen. Die fünf
Orte verzweifelten, ſie lediglich mit ihrer landvogtlichen
Gewalt niederzuhalten; am 30. Nov. 1528 verſammelten
ſie alle Gerichtsherrn und Sendboten der Gemeinden von
Thurgau in Frauenfeld, um ſie zu ermahnen, ſich von dem
Mehrtheil der Orte, denen ſie Gehorſam ſchuldig, in Hin-
ſicht des Glaubens nicht zu ſondern, vielmehr dem Land-
vogt zur Beſtrafung der Abtrünnigen beizuſtehn. An die-

1 Ausſchreiben von Zuͤrich 3. Maͤrz 1529. Vgl. Bullinger
II, p. 31.
2 Urkunde des Burgrechtes bei Bullinger Bd. II, p. 11.
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[823[323]/0339] Fortſchritte der Reformation in der Schweiz. weiſen. Die Prediger wurden mit aufgeſchlitzter Zunge ver- jagt, oder gar mit dem Schwert hingerichtet. Flüchtlinge, die ſich von der deutſchen Seite nach der Schweiz gerettet, wurden der öſtreichiſchen Regierung der Vorlande ausgelie- fert, die ſie ohne Weiteres umbringen ließ. 1 Alle Bücher der neuen Lehre, auch Teſtamente und Bibeln wurden wegge- nommen. In dem Bade zu Baden wurde den Verſtor- benen, wenn ſie evangeliſch geweſen, ein ehrliches Begräb- niß verſagt. Schon längſt hatten das die Züricher mit Unwillen wahrgenommen; ſo wie ſie einigermaaßen die Kraft dazu fühlten, beſchloſſen ſie es nicht mehr zu leiden. Es iſt einer der vornehmſten Artikel in dem Bunde zwiſchen Zürich und Bern, daß man in den gemeinen Herrſchaften und Vog- teien, die auch ihnen an ihrem gebührenden Theile gehören, fortan die Kirchengemeinden, die durch Stimmenmehrheit beſchließen ſich zu dem Evangelium zu halten, durch keine Gewalt daran verhindern laſſen wolle. 2 Hierauf regten ſich allenthalben in Thurgau und Rhein- thal die unterdrückten evangeliſchen Neigungen. Die fünf Orte verzweifelten, ſie lediglich mit ihrer landvogtlichen Gewalt niederzuhalten; am 30. Nov. 1528 verſammelten ſie alle Gerichtsherrn und Sendboten der Gemeinden von Thurgau in Frauenfeld, um ſie zu ermahnen, ſich von dem Mehrtheil der Orte, denen ſie Gehorſam ſchuldig, in Hin- ſicht des Glaubens nicht zu ſondern, vielmehr dem Land- vogt zur Beſtrafung der Abtrünnigen beizuſtehn. An die- 1 Ausſchreiben von Zuͤrich 3. Maͤrz 1529. Vgl. Bullinger II, p. 31. 2 Urkunde des Burgrechtes bei Bullinger Bd. II, p. 11. 21*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 823[323]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/339>, abgerufen am 22.11.2024.