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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Luther in Coburg.
liege unter einem hohen Berg, auf dessen Spitze sein Vet-
ter Georg stehe; gegen Morgen sank der Berg zusammen,
und der feindliche Blutverwandte fiel neben ihm nieder.

Genug, der alte Fürst wich und wankte nicht. Große
Ereignisse geschehen überhaupt nicht ohne eine große mo-
ralische Anstrengung. Neue Bildungen bedürfen dieses ge-
heimnißvollen innern Kerns. Churfürst Johann erklärte
nach wie vor, der Kaiser solle in ihm in allen Stücken
einen getreuen friedlichen Fürsten finden, aber dazu werde
er ihn nie vermögen, die ewige Wahrheit nicht als die
Wahrheit, das unvergängliche Gotteswort nicht als Got-
teswort zu betrachten.

Der Mann, der ihn hiebei am meisten festhielt, ist
ohne Zweifel Luther, obwohl er nicht zugegen war.

Luther war von der Acht, mit der er belegt worden,
noch nicht freigesprochen; so sicher er demungeachtet auch
seitdem geblieben, so konnte ihn der Churfürst doch nicht an
den Reichstag mitbringen; er ließ ihn an den Grenzen sei-
nes Landes, in Coburg.

Es kam Luthern zu Statten, daß er nicht in das Ge-
dränge der Geschäfte und Tagesbegebenheiten fortgerissen,
die Ereignisse von einem höhern Standpunkte aus über-
blicken konnte.

Da nahm ihn vor allem Wunder, daß der Kaiser so
enge verbündet mit dem Papst, der Franzosen so sicher
schien, daß auch die Reichsstände die Partei des Papstes
wieder ergriffen. Er betrachtet diese Dinge mit einer ge-
wissen Ironie. Der Herr: par ma foi, wie er den Kö-
nig von Frankreich bezeichnet, werde doch des Schimpfs

Luther in Coburg.
liege unter einem hohen Berg, auf deſſen Spitze ſein Vet-
ter Georg ſtehe; gegen Morgen ſank der Berg zuſammen,
und der feindliche Blutverwandte fiel neben ihm nieder.

Genug, der alte Fürſt wich und wankte nicht. Große
Ereigniſſe geſchehen überhaupt nicht ohne eine große mo-
raliſche Anſtrengung. Neue Bildungen bedürfen dieſes ge-
heimnißvollen innern Kerns. Churfürſt Johann erklärte
nach wie vor, der Kaiſer ſolle in ihm in allen Stücken
einen getreuen friedlichen Fürſten finden, aber dazu werde
er ihn nie vermögen, die ewige Wahrheit nicht als die
Wahrheit, das unvergängliche Gotteswort nicht als Got-
teswort zu betrachten.

Der Mann, der ihn hiebei am meiſten feſthielt, iſt
ohne Zweifel Luther, obwohl er nicht zugegen war.

Luther war von der Acht, mit der er belegt worden,
noch nicht freigeſprochen; ſo ſicher er demungeachtet auch
ſeitdem geblieben, ſo konnte ihn der Churfürſt doch nicht an
den Reichstag mitbringen; er ließ ihn an den Grenzen ſei-
nes Landes, in Coburg.

Es kam Luthern zu Statten, daß er nicht in das Ge-
dränge der Geſchäfte und Tagesbegebenheiten fortgeriſſen,
die Ereigniſſe von einem höhern Standpunkte aus über-
blicken konnte.

Da nahm ihn vor allem Wunder, daß der Kaiſer ſo
enge verbündet mit dem Papſt, der Franzoſen ſo ſicher
ſchien, daß auch die Reichsſtände die Partei des Papſtes
wieder ergriffen. Er betrachtet dieſe Dinge mit einer ge-
wiſſen Ironie. Der Herr: par ma foi, wie er den Kö-
nig von Frankreich bezeichnet, werde doch des Schimpfs

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[265/0281] Luther in Coburg. liege unter einem hohen Berg, auf deſſen Spitze ſein Vet- ter Georg ſtehe; gegen Morgen ſank der Berg zuſammen, und der feindliche Blutverwandte fiel neben ihm nieder. Genug, der alte Fürſt wich und wankte nicht. Große Ereigniſſe geſchehen überhaupt nicht ohne eine große mo- raliſche Anſtrengung. Neue Bildungen bedürfen dieſes ge- heimnißvollen innern Kerns. Churfürſt Johann erklärte nach wie vor, der Kaiſer ſolle in ihm in allen Stücken einen getreuen friedlichen Fürſten finden, aber dazu werde er ihn nie vermögen, die ewige Wahrheit nicht als die Wahrheit, das unvergängliche Gotteswort nicht als Got- teswort zu betrachten. Der Mann, der ihn hiebei am meiſten feſthielt, iſt ohne Zweifel Luther, obwohl er nicht zugegen war. Luther war von der Acht, mit der er belegt worden, noch nicht freigeſprochen; ſo ſicher er demungeachtet auch ſeitdem geblieben, ſo konnte ihn der Churfürſt doch nicht an den Reichstag mitbringen; er ließ ihn an den Grenzen ſei- nes Landes, in Coburg. Es kam Luthern zu Statten, daß er nicht in das Ge- dränge der Geſchäfte und Tagesbegebenheiten fortgeriſſen, die Ereigniſſe von einem höhern Standpunkte aus über- blicken konnte. Da nahm ihn vor allem Wunder, daß der Kaiſer ſo enge verbündet mit dem Papſt, der Franzoſen ſo ſicher ſchien, daß auch die Reichsſtände die Partei des Papſtes wieder ergriffen. Er betrachtet dieſe Dinge mit einer ge- wiſſen Ironie. Der Herr: par ma foi, wie er den Kö- nig von Frankreich bezeichnet, werde doch des Schimpfs

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/281>, abgerufen am 24.11.2024.