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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Siebentes Capitel.
sich Niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken
lassen. Sie beherrschten den ganzen Umkreis derselben; die Gie-
bel der benachbarten Häuser waren mit Pfeilen wie bepflanzt.

Unter dem Dunst und Hall dieses Schießens bereite-
ten nun aber die Osmanen noch einen ganz andern An-
griff vor. -- Welches auch die Meister gewesen seyn mö-
gen, von denen sie ursprünglich darin unterwiesen wor-
den sind, Armenier oder andere, eine Hauptstärke ihrer
damaligen Belagerungskunst bestand in dem Untergraben
der Mauern, dem Anlegen von Minen. 1 Die Abend-
länder erstaunten, wenn sie dieselben später einmal ansich-
tig wurden, mit Eingängen eng wie eine Thür, dann
weiter, nicht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen,
glatte, wohlabgemessene, weite Höhlungen; zugleich darauf
berechnet, daß das stürzende Gemäuer nach innen, nicht
nach außen fallen mußte. Diese Kunst -- denn eigent-
liches Belagerungsgeschütz führten sie nur wenig bei sich --
wendeten sie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen sie
auf ein Volk, das sich ebenfalls auf unterirdische Arbeiten
verstand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vor-
haben des Feindes; Wasserbecken und Trommeln wurden
aufgestellt, um die geringste Erschütterung des Erdbodens
daran wahrzunehmen; man lauschte in allen Kellern und
unterirdischen Gemächern -- es sind noch abenteuerliche
Sagen davon im Gange -- und grub ihnen dann entge-
gen. Es begann gleichsam ein Krieg unter der Erde.

1 Später hat sich Marsigli viel Mühe gegeben, das Verfah-
ren der Türken hiebei zu erforschen. Vgl. Stato militare degli Ot-
tomanni II, c. XI, p
37. Das Corps der Lagumdschi, Minengräber,
war belehnt nicht besoldet und um so mehr in Ehren. Hammer
Staatsverfassung der Osm. II, 233.

Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
ſich Niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken
laſſen. Sie beherrſchten den ganzen Umkreis derſelben; die Gie-
bel der benachbarten Häuſer waren mit Pfeilen wie bepflanzt.

Unter dem Dunſt und Hall dieſes Schießens bereite-
ten nun aber die Osmanen noch einen ganz andern An-
griff vor. — Welches auch die Meiſter geweſen ſeyn mö-
gen, von denen ſie urſprünglich darin unterwieſen wor-
den ſind, Armenier oder andere, eine Hauptſtärke ihrer
damaligen Belagerungskunſt beſtand in dem Untergraben
der Mauern, dem Anlegen von Minen. 1 Die Abend-
länder erſtaunten, wenn ſie dieſelben ſpäter einmal anſich-
tig wurden, mit Eingängen eng wie eine Thür, dann
weiter, nicht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen,
glatte, wohlabgemeſſene, weite Höhlungen; zugleich darauf
berechnet, daß das ſtürzende Gemäuer nach innen, nicht
nach außen fallen mußte. Dieſe Kunſt — denn eigent-
liches Belagerungsgeſchütz führten ſie nur wenig bei ſich —
wendeten ſie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen ſie
auf ein Volk, das ſich ebenfalls auf unterirdiſche Arbeiten
verſtand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vor-
haben des Feindes; Waſſerbecken und Trommeln wurden
aufgeſtellt, um die geringſte Erſchütterung des Erdbodens
daran wahrzunehmen; man lauſchte in allen Kellern und
unterirdiſchen Gemächern — es ſind noch abenteuerliche
Sagen davon im Gange — und grub ihnen dann entge-
gen. Es begann gleichſam ein Krieg unter der Erde.

1 Spaͤter hat ſich Marſigli viel Muͤhe gegeben, das Verfah-
ren der Tuͤrken hiebei zu erforſchen. Vgl. Stato militare degli Ot-
tomanni II, c. XI, p
37. Das Corps der Lagumdſchi, Minengraͤber,
war belehnt nicht beſoldet und um ſo mehr in Ehren. Hammer
Staatsverfaſſung der Osm. II, 233.
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[204/0220] Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel. ſich Niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken laſſen. Sie beherrſchten den ganzen Umkreis derſelben; die Gie- bel der benachbarten Häuſer waren mit Pfeilen wie bepflanzt. Unter dem Dunſt und Hall dieſes Schießens bereite- ten nun aber die Osmanen noch einen ganz andern An- griff vor. — Welches auch die Meiſter geweſen ſeyn mö- gen, von denen ſie urſprünglich darin unterwieſen wor- den ſind, Armenier oder andere, eine Hauptſtärke ihrer damaligen Belagerungskunſt beſtand in dem Untergraben der Mauern, dem Anlegen von Minen. 1 Die Abend- länder erſtaunten, wenn ſie dieſelben ſpäter einmal anſich- tig wurden, mit Eingängen eng wie eine Thür, dann weiter, nicht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen, glatte, wohlabgemeſſene, weite Höhlungen; zugleich darauf berechnet, daß das ſtürzende Gemäuer nach innen, nicht nach außen fallen mußte. Dieſe Kunſt — denn eigent- liches Belagerungsgeſchütz führten ſie nur wenig bei ſich — wendeten ſie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen ſie auf ein Volk, das ſich ebenfalls auf unterirdiſche Arbeiten verſtand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vor- haben des Feindes; Waſſerbecken und Trommeln wurden aufgeſtellt, um die geringſte Erſchütterung des Erdbodens daran wahrzunehmen; man lauſchte in allen Kellern und unterirdiſchen Gemächern — es ſind noch abenteuerliche Sagen davon im Gange — und grub ihnen dann entge- gen. Es begann gleichſam ein Krieg unter der Erde. 1 Spaͤter hat ſich Marſigli viel Muͤhe gegeben, das Verfah- ren der Tuͤrken hiebei zu erforſchen. Vgl. Stato militare degli Ot- tomanni II, c. XI, p 37. Das Corps der Lagumdſchi, Minengraͤber, war belehnt nicht beſoldet und um ſo mehr in Ehren. Hammer Staatsverfaſſung der Osm. II, 233.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/220>, abgerufen am 24.11.2024.