Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Fünftes Buch. Siebentes Capitel. immer wetteiferten "sich mit dem Halsbande der Unterthä-nigkeit zu schmücken," in diesem großen Verein ihre Stelle gefunden. Es war das westliche Asien und das östliche Europa, wie sie unter dem Einfluß des erobernden Islam sich gestaltet hatten und gestalteten; jetzt machten sie einen er- sten Versuch auf das Herz des christlichen Europa's. Die leichten Truppen suchten höher an der Donau hinauf die fa- belhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Gränze der phantastischen Welt der orientalischen Mythe. Das Lastthier der arabischen Wüste ward mit Mundvorrath und Munition an die Mauern einer deutschen Stadt herange- trieben: man zählte in dem Lager bei 22,000 Cameele. Mit orientalischem Pomp feiert man das Andenken der vor Wien Gefallenen; vom Iskendertschausch Farfara heißt es in der Geschichte Potschewi's, er habe hier bei der An- kunft den Becher des islamitischen Martyrthums getrun- ken, und der Welt vergessen. Denn einen heiligen Krieg "gegen die staubgleichen Ungläubigen" glaubte man zu füh- ren. Im Angesicht der vornehmsten Burg der letzten deut- schen Kaiser erscholl jetzt die Doctrin der hohen Pforte, daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müsse, wie nur Ein Gott im Himmel sey, und Soliman ließ sich verneh- men, der Herr wolle er seyn; er werde sein Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er die Christenheit mit seinem Säbel bezwungen. Man erzählte sich, er rechne auf eine an drei Jahre lange Abwesenheit von Constantinopel, um diesen Plan auszuführen. So stumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel. immer wetteiferten „ſich mit dem Halsbande der Unterthä-nigkeit zu ſchmücken,“ in dieſem großen Verein ihre Stelle gefunden. Es war das weſtliche Aſien und das öſtliche Europa, wie ſie unter dem Einfluß des erobernden Islam ſich geſtaltet hatten und geſtalteten; jetzt machten ſie einen er- ſten Verſuch auf das Herz des chriſtlichen Europa’s. Die leichten Truppen ſuchten höher an der Donau hinauf die fa- belhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Gränze der phantaſtiſchen Welt der orientaliſchen Mythe. Das Laſtthier der arabiſchen Wüſte ward mit Mundvorrath und Munition an die Mauern einer deutſchen Stadt herange- trieben: man zählte in dem Lager bei 22,000 Cameele. Mit orientaliſchem Pomp feiert man das Andenken der vor Wien Gefallenen; vom Iskendertſchauſch Farfara heißt es in der Geſchichte Potſchewi’s, er habe hier bei der An- kunft den Becher des islamitiſchen Martyrthums getrun- ken, und der Welt vergeſſen. Denn einen heiligen Krieg „gegen die ſtaubgleichen Ungläubigen“ glaubte man zu füh- ren. Im Angeſicht der vornehmſten Burg der letzten deut- ſchen Kaiſer erſcholl jetzt die Doctrin der hohen Pforte, daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müſſe, wie nur Ein Gott im Himmel ſey, und Soliman ließ ſich verneh- men, der Herr wolle er ſeyn; er werde ſein Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er die Chriſtenheit mit ſeinem Säbel bezwungen. Man erzählte ſich, er rechne auf eine an drei Jahre lange Abweſenheit von Conſtantinopel, um dieſen Plan auszuführen. So ſtumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0212" n="196"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel</hi>.</fw><lb/> immer wetteiferten „ſich mit dem Halsbande der Unterthä-<lb/> nigkeit zu ſchmücken,“ in dieſem großen Verein ihre Stelle<lb/> gefunden. 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Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.
immer wetteiferten „ſich mit dem Halsbande der Unterthä-
nigkeit zu ſchmücken,“ in dieſem großen Verein ihre Stelle
gefunden. Es war das weſtliche Aſien und das öſtliche
Europa, wie ſie unter dem Einfluß des erobernden Islam
ſich geſtaltet hatten und geſtalteten; jetzt machten ſie einen er-
ſten Verſuch auf das Herz des chriſtlichen Europa’s. Die
leichten Truppen ſuchten höher an der Donau hinauf die fa-
belhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Gränze
der phantaſtiſchen Welt der orientaliſchen Mythe. Das
Laſtthier der arabiſchen Wüſte ward mit Mundvorrath und
Munition an die Mauern einer deutſchen Stadt herange-
trieben: man zählte in dem Lager bei 22,000 Cameele.
Mit orientaliſchem Pomp feiert man das Andenken der
vor Wien Gefallenen; vom Iskendertſchauſch Farfara heißt
es in der Geſchichte Potſchewi’s, er habe hier bei der An-
kunft den Becher des islamitiſchen Martyrthums getrun-
ken, und der Welt vergeſſen. Denn einen heiligen Krieg
„gegen die ſtaubgleichen Ungläubigen“ glaubte man zu füh-
ren. Im Angeſicht der vornehmſten Burg der letzten deut-
ſchen Kaiſer erſcholl jetzt die Doctrin der hohen Pforte,
daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müſſe, wie nur
Ein Gott im Himmel ſey, und Soliman ließ ſich verneh-
men, der Herr wolle er ſeyn; er werde ſein Haupt nicht
zur Ruhe legen, bis er die Chriſtenheit mit ſeinem Säbel
bezwungen. Man erzählte ſich, er rechne auf eine an drei
Jahre lange Abweſenheit von Conſtantinopel, um dieſen
Plan auszuführen.
So ſtumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht
die Größe dieſer Gefahr zu fühlen.
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