Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch. Sechstes Capitel.
seiner Stadt, wenn er seine Absicht kund gethan hätte, zu-
rückgehalten zu werden; man hätte ihn schwerlich auf eine
so weite Reise durch so manches zweifelhafte oder feindse-
lige Gebiet ziehen lassen; nur im Einverständniß mit eini-
gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch
nur seiner Frau seine Absicht mitgetheilt hätte, ehe er auch
nur einmal ein hessisches sicheres Geleit erhalten, machte
er sich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber
gesehen, sein Fürst hätte ihnen die Reise verboten. Luther
erklärte unaufhörlich, die Zusammenkunft werde zu nichts
helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er
nicht zu bewegen gewesen, weiter zu gehn, ehe er nicht
das sichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em-
pfang genommen hatte. 1

Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen;
wußten sie doch, daß der Fürst, bei dem sie mit ihren Geg-
nern zusammentreffen sollten, politisch ohne Frage, und bei-
nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger
fühlten wohl, daß sie sich im Widerspruch mit den Wünschen
Philipps befanden; sie waren entschlossen, nicht zu weichen,
sondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.

So kam man in sehr entgegengesetzter Stimmung zu-
sammen. Denn das ist nun einmal die Natur des Men-
schen, daß er in alle seinem Thun unter den Einflüssen des
Momentes zu Werke geht.

Erhob man sich aber einmal darüber, so hatte die
Versammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.


1 Nach Bullinger, der für dieses Gespräch überhaupt sehr merk-
würdig ist, p. 214 bemerkte der Landgraf selbst diesen Unterschied.

Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.
ſeiner Stadt, wenn er ſeine Abſicht kund gethan hätte, zu-
rückgehalten zu werden; man hätte ihn ſchwerlich auf eine
ſo weite Reiſe durch ſo manches zweifelhafte oder feindſe-
lige Gebiet ziehen laſſen; nur im Einverſtändniß mit eini-
gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch
nur ſeiner Frau ſeine Abſicht mitgetheilt hätte, ehe er auch
nur einmal ein heſſiſches ſicheres Geleit erhalten, machte
er ſich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber
geſehen, ſein Fürſt hätte ihnen die Reiſe verboten. Luther
erklärte unaufhörlich, die Zuſammenkunft werde zu nichts
helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er
nicht zu bewegen geweſen, weiter zu gehn, ehe er nicht
das ſichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em-
pfang genommen hatte. 1

Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen;
wußten ſie doch, daß der Fürſt, bei dem ſie mit ihren Geg-
nern zuſammentreffen ſollten, politiſch ohne Frage, und bei-
nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger
fühlten wohl, daß ſie ſich im Widerſpruch mit den Wünſchen
Philipps befanden; ſie waren entſchloſſen, nicht zu weichen,
ſondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.

So kam man in ſehr entgegengeſetzter Stimmung zu-
ſammen. Denn das iſt nun einmal die Natur des Men-
ſchen, daß er in alle ſeinem Thun unter den Einflüſſen des
Momentes zu Werke geht.

Erhob man ſich aber einmal darüber, ſo hatte die
Verſammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.


1 Nach Bullinger, der fuͤr dieſes Geſpraͤch uͤberhaupt ſehr merk-
wuͤrdig iſt, p. 214 bemerkte der Landgraf ſelbſt dieſen Unterſchied.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="170"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Buch. Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;einer Stadt, wenn er &#x017F;eine Ab&#x017F;icht kund gethan hätte, zu-<lb/>
rückgehalten zu werden; man hätte ihn &#x017F;chwerlich auf eine<lb/>
&#x017F;o weite Rei&#x017F;e durch &#x017F;o manches zweifelhafte oder feind&#x017F;e-<lb/>
lige Gebiet ziehen la&#x017F;&#x017F;en; nur im Einver&#x017F;tändniß mit eini-<lb/>
gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch<lb/>
nur &#x017F;einer Frau &#x017F;eine Ab&#x017F;icht mitgetheilt hätte, ehe er auch<lb/>
nur einmal ein he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ches &#x017F;icheres Geleit erhalten, machte<lb/>
er &#x017F;ich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber<lb/>
ge&#x017F;ehen, &#x017F;ein Für&#x017F;t hätte ihnen die Rei&#x017F;e verboten. Luther<lb/>
erklärte unaufhörlich, die Zu&#x017F;ammenkunft werde zu nichts<lb/>
helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er<lb/>
nicht zu bewegen gewe&#x017F;en, weiter zu gehn, ehe er nicht<lb/>
das &#x017F;ichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em-<lb/>
pfang genommen hatte. <note place="foot" n="1">Nach Bullinger, der fu&#x0364;r die&#x017F;es Ge&#x017F;pra&#x0364;ch u&#x0364;berhaupt &#x017F;ehr merk-<lb/>
wu&#x0364;rdig i&#x017F;t, <hi rendition="#aq">p.</hi> 214 bemerkte der Landgraf &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;en Unter&#x017F;chied.</note></p><lb/>
          <p>Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen;<lb/>
wußten &#x017F;ie doch, daß der Für&#x017F;t, bei dem &#x017F;ie mit ihren Geg-<lb/>
nern zu&#x017F;ammentreffen &#x017F;ollten, politi&#x017F;ch ohne Frage, und bei-<lb/>
nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger<lb/>
fühlten wohl, daß &#x017F;ie &#x017F;ich im Wider&#x017F;pruch mit den Wün&#x017F;chen<lb/>
Philipps befanden; &#x017F;ie waren ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, nicht zu weichen,<lb/>
&#x017F;ondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.</p><lb/>
          <p>So kam man in &#x017F;ehr entgegenge&#x017F;etzter Stimmung zu-<lb/>
&#x017F;ammen. Denn das i&#x017F;t nun einmal die Natur des Men-<lb/>
&#x017F;chen, daß er in alle &#x017F;einem Thun unter den Einflü&#x017F;&#x017F;en des<lb/>
Momentes zu Werke geht.</p><lb/>
          <p>Erhob man &#x017F;ich aber einmal darüber, &#x017F;o hatte die<lb/>
Ver&#x017F;ammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0186] Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel. ſeiner Stadt, wenn er ſeine Abſicht kund gethan hätte, zu- rückgehalten zu werden; man hätte ihn ſchwerlich auf eine ſo weite Reiſe durch ſo manches zweifelhafte oder feindſe- lige Gebiet ziehen laſſen; nur im Einverſtändniß mit eini- gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch nur ſeiner Frau ſeine Abſicht mitgetheilt hätte, ehe er auch nur einmal ein heſſiſches ſicheres Geleit erhalten, machte er ſich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber geſehen, ſein Fürſt hätte ihnen die Reiſe verboten. Luther erklärte unaufhörlich, die Zuſammenkunft werde zu nichts helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er nicht zu bewegen geweſen, weiter zu gehn, ehe er nicht das ſichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em- pfang genommen hatte. 1 Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen; wußten ſie doch, daß der Fürſt, bei dem ſie mit ihren Geg- nern zuſammentreffen ſollten, politiſch ohne Frage, und bei- nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger fühlten wohl, daß ſie ſich im Widerſpruch mit den Wünſchen Philipps befanden; ſie waren entſchloſſen, nicht zu weichen, ſondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten. So kam man in ſehr entgegengeſetzter Stimmung zu- ſammen. Denn das iſt nun einmal die Natur des Men- ſchen, daß er in alle ſeinem Thun unter den Einflüſſen des Momentes zu Werke geht. Erhob man ſich aber einmal darüber, ſo hatte die Verſammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes. 1 Nach Bullinger, der fuͤr dieſes Geſpraͤch uͤberhaupt ſehr merk- wuͤrdig iſt, p. 214 bemerkte der Landgraf ſelbſt dieſen Unterſchied.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/186
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/186>, abgerufen am 25.11.2024.