Sechstes Capitel. Spaltungen unter den Protestanten.
Fragt man nach dem reinen Resultate des Reichs- tags von 1529, so ist es folgendes.
An ein Einverständniß des Reiches in religiöser Hinsicht war schon lange nicht mehr zu denken; zwei Parteien setzten sich einander immer schärfer gegenüber. Die Reichsgewalt selbst hatte dieß gestattet; wie sie sich 1526 ausgesprochen, konnte sie als neutral angesehen werden. Jetzt aber, nachdem der erste Sturm vorüber gegangen war, der geistliche Stand nach eigenen lebhaften Irrungen sich zur Handhabung sei- ner gemeinschaftlichen Interessen wieder vereinigt, der Kai- ser mit dem Papst wieder freundschaftliche Verhältnisse an- geknüpft hatte, gelang es der katholischen Gesinnung sich der höchsten Gewalt zu bemächtigen; die Reichsgewalt, in den Händen der Majorität, nahm eine durchaus katholische Farbe und Haltung an.
Die Evangelischen, die noch eben auf das Bewußt- seyn einer anerkannten Legalität getrotzt, und sich die Hof- nung gemacht hatten, auf diesem Wege immer weiter zu schreiten, sahen sich plötzlich nicht allein von jedem Antheil
Ranke d. Gesch. III. 11
Sechstes Capitel. Spaltungen unter den Proteſtanten.
Fragt man nach dem reinen Reſultate des Reichs- tags von 1529, ſo iſt es folgendes.
An ein Einverſtändniß des Reiches in religiöſer Hinſicht war ſchon lange nicht mehr zu denken; zwei Parteien ſetzten ſich einander immer ſchärfer gegenüber. Die Reichsgewalt ſelbſt hatte dieß geſtattet; wie ſie ſich 1526 ausgeſprochen, konnte ſie als neutral angeſehen werden. Jetzt aber, nachdem der erſte Sturm vorüber gegangen war, der geiſtliche Stand nach eigenen lebhaften Irrungen ſich zur Handhabung ſei- ner gemeinſchaftlichen Intereſſen wieder vereinigt, der Kai- ſer mit dem Papſt wieder freundſchaftliche Verhältniſſe an- geknüpft hatte, gelang es der katholiſchen Geſinnung ſich der höchſten Gewalt zu bemächtigen; die Reichsgewalt, in den Händen der Majorität, nahm eine durchaus katholiſche Farbe und Haltung an.
Die Evangeliſchen, die noch eben auf das Bewußt- ſeyn einer anerkannten Legalität getrotzt, und ſich die Hof- nung gemacht hatten, auf dieſem Wege immer weiter zu ſchreiten, ſahen ſich plötzlich nicht allein von jedem Antheil
Ranke d. Geſch. III. 11
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[[161]/0177]
Sechstes Capitel.
Spaltungen unter den Proteſtanten.
Fragt man nach dem reinen Reſultate des Reichs-
tags von 1529, ſo iſt es folgendes.
An ein Einverſtändniß des Reiches in religiöſer Hinſicht
war ſchon lange nicht mehr zu denken; zwei Parteien ſetzten
ſich einander immer ſchärfer gegenüber. Die Reichsgewalt
ſelbſt hatte dieß geſtattet; wie ſie ſich 1526 ausgeſprochen,
konnte ſie als neutral angeſehen werden. Jetzt aber, nachdem
der erſte Sturm vorüber gegangen war, der geiſtliche Stand
nach eigenen lebhaften Irrungen ſich zur Handhabung ſei-
ner gemeinſchaftlichen Intereſſen wieder vereinigt, der Kai-
ſer mit dem Papſt wieder freundſchaftliche Verhältniſſe an-
geknüpft hatte, gelang es der katholiſchen Geſinnung ſich der
höchſten Gewalt zu bemächtigen; die Reichsgewalt, in den
Händen der Majorität, nahm eine durchaus katholiſche
Farbe und Haltung an.
Die Evangeliſchen, die noch eben auf das Bewußt-
ſeyn einer anerkannten Legalität getrotzt, und ſich die Hof-
nung gemacht hatten, auf dieſem Wege immer weiter zu
ſchreiten, ſahen ſich plötzlich nicht allein von jedem Antheil
Ranke d. Geſch. III. 11
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. [161]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/177>, abgerufen am 26.11.2024.
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