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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Protestation.
mehr vor König und kaiserlichen Commissarien, aber noch
immer vor versammelten Ständen, und ließen die Prote-
station verlesen, die ihnen den Namen der Protestanten ge-
geben hat.

Darin hoben sie nun besonders den reichsrechtlichen
Gesichtspunkt hervor. 1 Sie erklärten, daß sie nicht ver-
pflichtet seyen, ohne ihre Mitbewilligung aus dem zunächst
zu Speier gemachten Abschied zu schreiten, den man mit so
starken Clauseln gegenseitiger Versprechungen bekräftigt und
gemeinschaftlich versiegelt habe; das Vorhaben der übrigen
Stände, denselben einseitig aufzuheben, sey machtlos, nich-
tig und in Rücksicht auf sie unverbindlich: sie würden fort-
fahren, nach dem Inhalt des vorigen Abschiedes, mit ihren
Unterthanen in Hinsicht der Religion sich so zu verhalten,
wie sie es gegen Gott und den Kaiser zu verantworten ge-
dächten. Lasse man sich nicht abhalten, den Abschied nach
den genommenen Beschlüssen zu verfassen, so möge man
auch diese ihre Protestation demselben einverleiben.

Eine Erklärung, auch in ihrer Form von einem sehr
merkwürdigen Charakter, mit aller möglichen äußern Rück-
sicht abgefaßt. Die Stände werden "lieben Herren Vet-
tern, Oheime, Freunde," genannt; sorgfältig sondernd titu-
lirt man sie: Eure Liebden und Ihr Andern; man unter-
scheidet freundliche Bitte an die Einen und gnädiges Ge-
sinnen an die Andern; indem man keinen Augenblick seine
fürstliche Würde aus den Augen setzt, bittet man die Geg-

1 Ein allgemeiner juridischer Grund, den sie anführen ist:
daß "auch in menschen Handlungen und Sachen das mirer wider
das minder nicht fürdrücken möcht, da die Sachen nit ir vil in ein
gemein, sundern ieden sunderlich belangt. Müller p. 114.

Proteſtation.
mehr vor König und kaiſerlichen Commiſſarien, aber noch
immer vor verſammelten Ständen, und ließen die Prote-
ſtation verleſen, die ihnen den Namen der Proteſtanten ge-
geben hat.

Darin hoben ſie nun beſonders den reichsrechtlichen
Geſichtspunkt hervor. 1 Sie erklärten, daß ſie nicht ver-
pflichtet ſeyen, ohne ihre Mitbewilligung aus dem zunächſt
zu Speier gemachten Abſchied zu ſchreiten, den man mit ſo
ſtarken Clauſeln gegenſeitiger Verſprechungen bekräftigt und
gemeinſchaftlich verſiegelt habe; das Vorhaben der übrigen
Stände, denſelben einſeitig aufzuheben, ſey machtlos, nich-
tig und in Rückſicht auf ſie unverbindlich: ſie würden fort-
fahren, nach dem Inhalt des vorigen Abſchiedes, mit ihren
Unterthanen in Hinſicht der Religion ſich ſo zu verhalten,
wie ſie es gegen Gott und den Kaiſer zu verantworten ge-
dächten. Laſſe man ſich nicht abhalten, den Abſchied nach
den genommenen Beſchlüſſen zu verfaſſen, ſo möge man
auch dieſe ihre Proteſtation demſelben einverleiben.

Eine Erklärung, auch in ihrer Form von einem ſehr
merkwürdigen Charakter, mit aller möglichen äußern Rück-
ſicht abgefaßt. Die Stände werden „lieben Herren Vet-
tern, Oheime, Freunde,“ genannt; ſorgfältig ſondernd titu-
lirt man ſie: Eure Liebden und Ihr Andern; man unter-
ſcheidet freundliche Bitte an die Einen und gnädiges Ge-
ſinnen an die Andern; indem man keinen Augenblick ſeine
fürſtliche Würde aus den Augen ſetzt, bittet man die Geg-

1 Ein allgemeiner juridiſcher Grund, den ſie anfuͤhren iſt:
daß „auch in menſchen Handlungen und Sachen das mirer wider
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[155/0171] Proteſtation. mehr vor König und kaiſerlichen Commiſſarien, aber noch immer vor verſammelten Ständen, und ließen die Prote- ſtation verleſen, die ihnen den Namen der Proteſtanten ge- geben hat. Darin hoben ſie nun beſonders den reichsrechtlichen Geſichtspunkt hervor. 1 Sie erklärten, daß ſie nicht ver- pflichtet ſeyen, ohne ihre Mitbewilligung aus dem zunächſt zu Speier gemachten Abſchied zu ſchreiten, den man mit ſo ſtarken Clauſeln gegenſeitiger Verſprechungen bekräftigt und gemeinſchaftlich verſiegelt habe; das Vorhaben der übrigen Stände, denſelben einſeitig aufzuheben, ſey machtlos, nich- tig und in Rückſicht auf ſie unverbindlich: ſie würden fort- fahren, nach dem Inhalt des vorigen Abſchiedes, mit ihren Unterthanen in Hinſicht der Religion ſich ſo zu verhalten, wie ſie es gegen Gott und den Kaiſer zu verantworten ge- dächten. Laſſe man ſich nicht abhalten, den Abſchied nach den genommenen Beſchlüſſen zu verfaſſen, ſo möge man auch dieſe ihre Proteſtation demſelben einverleiben. Eine Erklärung, auch in ihrer Form von einem ſehr merkwürdigen Charakter, mit aller möglichen äußern Rück- ſicht abgefaßt. Die Stände werden „lieben Herren Vet- tern, Oheime, Freunde,“ genannt; ſorgfältig ſondernd titu- lirt man ſie: Eure Liebden und Ihr Andern; man unter- ſcheidet freundliche Bitte an die Einen und gnädiges Ge- ſinnen an die Andern; indem man keinen Augenblick ſeine fürſtliche Würde aus den Augen ſetzt, bittet man die Geg- 1 Ein allgemeiner juridiſcher Grund, den ſie anfuͤhren iſt: daß „auch in menſchen Handlungen und Sachen das mirer wider das minder nicht fuͤrdruͤcken moͤcht, da die Sachen nit ir vil in ein gemein, ſundern ieden ſunderlich belangt. Muͤller p. 114.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/171>, abgerufen am 26.11.2024.