Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch. Fünftes Capitel.
tuirt, die Befugniß in Anspruch nehmen, das Gegründete
wieder umzustürzen und zu vernichten? Hat nicht vielmehr
das zum Daseyn Gelangte nun auch das Recht, zu seyn,
sich zu vertheidigen?

Die Reichsgewalt hatte sich in einem frühern Zeitpunkt
unfähig gefunden, die allgemeine Entzweiung beizulegen;
mit ihrem guten Willen war ihre Befugniß an die einzel-
nen Territorialgewalten übergegangen; war sie nun wohl
berechtigt, das was in Folge dieser ihrer Delegation ge-
schehen, nachdem sie zu größerer Energie gelangt, wieder zu
zerstören? Niemand könnte dieß zugeben; sonst würde bei dem
natürlichen Schwanken jeder durch Majorität beschließenden
Gewalt nach den Einwirkungen des Momentes selbst das Lang-
hergebrachte in Frage gestellt werden können. Nichts würde
seines Daseyns einen Augenblick sicher seyn. Denn wo-
durch unterschiede sich dem Prinzipe nach das neu zu Stande
Gekommene, in den Kreis der Gesetzlichkeit Aufgenommene,
von dem Althergebrachten, Länger-bestehenden?

Hier war nun noch besonders bedenklich, daß von ei-
ner der wichtigsten jener Anordnungen -- der Erlaubniß
der Messe -- weder in Proposition, noch Commission, noch
Ausschreiben etwas verlautet war. 1 Landgraf Philipp wollte
der Mehrheit der Stände nicht zugestehn, über die Ge-
biete der Minderheit so tief in ihr Inneres eingreifende Be-
schlüsse fassen zu dürfen, ohne deren Beistimmung.

Wie Hessen, so erklärten sich Chur-Sachsen, Lüneburg,
Anhalt, der Markgraf Georg von Brandenburg.

Von einer andern Seite faßten die Städte die Sache

1 Auszug aus der Beschwerungsschrift bei Müller p. 33.

Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
tuirt, die Befugniß in Anſpruch nehmen, das Gegründete
wieder umzuſtürzen und zu vernichten? Hat nicht vielmehr
das zum Daſeyn Gelangte nun auch das Recht, zu ſeyn,
ſich zu vertheidigen?

Die Reichsgewalt hatte ſich in einem frühern Zeitpunkt
unfähig gefunden, die allgemeine Entzweiung beizulegen;
mit ihrem guten Willen war ihre Befugniß an die einzel-
nen Territorialgewalten übergegangen; war ſie nun wohl
berechtigt, das was in Folge dieſer ihrer Delegation ge-
ſchehen, nachdem ſie zu größerer Energie gelangt, wieder zu
zerſtören? Niemand könnte dieß zugeben; ſonſt würde bei dem
natürlichen Schwanken jeder durch Majorität beſchließenden
Gewalt nach den Einwirkungen des Momentes ſelbſt das Lang-
hergebrachte in Frage geſtellt werden können. Nichts würde
ſeines Daſeyns einen Augenblick ſicher ſeyn. Denn wo-
durch unterſchiede ſich dem Prinzipe nach das neu zu Stande
Gekommene, in den Kreis der Geſetzlichkeit Aufgenommene,
von dem Althergebrachten, Länger-beſtehenden?

Hier war nun noch beſonders bedenklich, daß von ei-
ner der wichtigſten jener Anordnungen — der Erlaubniß
der Meſſe — weder in Propoſition, noch Commiſſion, noch
Ausſchreiben etwas verlautet war. 1 Landgraf Philipp wollte
der Mehrheit der Stände nicht zugeſtehn, über die Ge-
biete der Minderheit ſo tief in ihr Inneres eingreifende Be-
ſchlüſſe faſſen zu dürfen, ohne deren Beiſtimmung.

Wie Heſſen, ſo erklärten ſich Chur-Sachſen, Lüneburg,
Anhalt, der Markgraf Georg von Brandenburg.

Von einer andern Seite faßten die Städte die Sache

1 Auszug aus der Beſchwerungsſchrift bei Muͤller p. 33.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0166" n="150"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Buch. Fu&#x0364;nftes Capitel</hi>.</fw><lb/>
tuirt, die Befugniß in An&#x017F;pruch nehmen, das Gegründete<lb/>
wieder umzu&#x017F;türzen und zu vernichten? Hat nicht vielmehr<lb/>
das zum Da&#x017F;eyn Gelangte nun auch das Recht, zu &#x017F;eyn,<lb/>
&#x017F;ich zu vertheidigen?</p><lb/>
          <p>Die Reichsgewalt hatte &#x017F;ich in einem frühern Zeitpunkt<lb/>
unfähig gefunden, die allgemeine Entzweiung beizulegen;<lb/>
mit ihrem guten Willen war ihre Befugniß an die einzel-<lb/>
nen Territorialgewalten übergegangen; war &#x017F;ie nun wohl<lb/>
berechtigt, das was in Folge die&#x017F;er ihrer Delegation ge-<lb/>
&#x017F;chehen, nachdem &#x017F;ie zu größerer Energie gelangt, wieder zu<lb/>
zer&#x017F;tören? Niemand könnte dieß zugeben; &#x017F;on&#x017F;t würde bei dem<lb/>
natürlichen Schwanken jeder durch Majorität be&#x017F;chließenden<lb/>
Gewalt nach den Einwirkungen des Momentes &#x017F;elb&#x017F;t das Lang-<lb/>
hergebrachte in Frage ge&#x017F;tellt werden können. Nichts würde<lb/>
&#x017F;eines Da&#x017F;eyns einen Augenblick &#x017F;icher &#x017F;eyn. Denn wo-<lb/>
durch unter&#x017F;chiede &#x017F;ich dem Prinzipe nach das neu zu Stande<lb/>
Gekommene, in den Kreis der Ge&#x017F;etzlichkeit Aufgenommene,<lb/>
von dem Althergebrachten, Länger-be&#x017F;tehenden?</p><lb/>
          <p>Hier war nun noch be&#x017F;onders bedenklich, daß von ei-<lb/>
ner der wichtig&#x017F;ten jener Anordnungen &#x2014; der Erlaubniß<lb/>
der Me&#x017F;&#x017F;e &#x2014; weder in Propo&#x017F;ition, noch Commi&#x017F;&#x017F;ion, noch<lb/>
Aus&#x017F;chreiben etwas verlautet war. <note place="foot" n="1">Auszug aus der Be&#x017F;chwerungs&#x017F;chrift bei Mu&#x0364;ller <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">p.</hi></hi> 33.</note> Landgraf Philipp wollte<lb/>
der Mehrheit der Stände nicht zuge&#x017F;tehn, über die Ge-<lb/>
biete der Minderheit &#x017F;o tief in ihr Inneres eingreifende Be-<lb/>
&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e fa&#x017F;&#x017F;en zu dürfen, ohne deren Bei&#x017F;timmung.</p><lb/>
          <p>Wie He&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o erklärten &#x017F;ich Chur-Sach&#x017F;en, Lüneburg,<lb/>
Anhalt, der Markgraf Georg von Brandenburg.</p><lb/>
          <p>Von einer andern Seite faßten die Städte die Sache<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0166] Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel. tuirt, die Befugniß in Anſpruch nehmen, das Gegründete wieder umzuſtürzen und zu vernichten? Hat nicht vielmehr das zum Daſeyn Gelangte nun auch das Recht, zu ſeyn, ſich zu vertheidigen? Die Reichsgewalt hatte ſich in einem frühern Zeitpunkt unfähig gefunden, die allgemeine Entzweiung beizulegen; mit ihrem guten Willen war ihre Befugniß an die einzel- nen Territorialgewalten übergegangen; war ſie nun wohl berechtigt, das was in Folge dieſer ihrer Delegation ge- ſchehen, nachdem ſie zu größerer Energie gelangt, wieder zu zerſtören? Niemand könnte dieß zugeben; ſonſt würde bei dem natürlichen Schwanken jeder durch Majorität beſchließenden Gewalt nach den Einwirkungen des Momentes ſelbſt das Lang- hergebrachte in Frage geſtellt werden können. Nichts würde ſeines Daſeyns einen Augenblick ſicher ſeyn. Denn wo- durch unterſchiede ſich dem Prinzipe nach das neu zu Stande Gekommene, in den Kreis der Geſetzlichkeit Aufgenommene, von dem Althergebrachten, Länger-beſtehenden? Hier war nun noch beſonders bedenklich, daß von ei- ner der wichtigſten jener Anordnungen — der Erlaubniß der Meſſe — weder in Propoſition, noch Commiſſion, noch Ausſchreiben etwas verlautet war. 1 Landgraf Philipp wollte der Mehrheit der Stände nicht zugeſtehn, über die Ge- biete der Minderheit ſo tief in ihr Inneres eingreifende Be- ſchlüſſe faſſen zu dürfen, ohne deren Beiſtimmung. Wie Heſſen, ſo erklärten ſich Chur-Sachſen, Lüneburg, Anhalt, der Markgraf Georg von Brandenburg. Von einer andern Seite faßten die Städte die Sache 1 Auszug aus der Beſchwerungsſchrift bei Muͤller p. 33.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/166
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/166>, abgerufen am 22.11.2024.