Alles was einst zu Gunsten der evangelischen Lehre geschehen war, hatte auf der Hinneigung der Mehrheit in den Ständen zu derselben beruht. Wie ganz aber war jetzt diese Mehrheit umgewandelt! Was die frühere be- schlossen, suchte die jetzige aufzuheben. In den Sitzungen vom 6. und 7. April nahm sie das Gutachten an, wie es ihr aus dem Ausschuß zukam.
Und nun dürfte man sich nicht von dem Wortlaut täuschen lassen, nach welchem es wohl scheinen konnte, als solle nur der Fortschritt der Bewegung gehemmt wer- den. Allerdings war dieß die nächste Absicht; faßt man aber die Bestimmungen, die man festsetzte, näher ins Auge, so konnten sich die Veränderungen, die auf den Grund der frühern Reichsabschiede in den einzelnen Landschaften bereits getroffen waren, in der That dabei nicht behaupten.
Ein Hauptmotiv des vorigen Abschiedes hatte in der Nothwendigkeit gelegen, die inneren Irrungen in den Land- schaften beizulegen; deshalb war es Fürsten und Untertha- nen überlassen worden, sich mit einander in religiöser Hin- sicht zu vereinigen; jetzt sollten alle die, welche die lateini- nische Messe abgeschafft hatten, sie doch wieder zulassen. Was ließ sich davon anders erwarten, als eine völlige Auf- ösung des eben Gegründeten?
Ferner beruhte das Wesen der getroffenen Verände- rung in einer stillschweigenden Ausschließung der bischöfli- chen Jurisdiction; die Obrigkeit der Bischöfe, d. i. auch die geistliche, ward jetzt aufs neue bestätigt. Man konnte sich nicht verbergen, daß damit unter anderem das Recht,
Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Alles was einſt zu Gunſten der evangeliſchen Lehre geſchehen war, hatte auf der Hinneigung der Mehrheit in den Ständen zu derſelben beruht. Wie ganz aber war jetzt dieſe Mehrheit umgewandelt! Was die frühere be- ſchloſſen, ſuchte die jetzige aufzuheben. In den Sitzungen vom 6. und 7. April nahm ſie das Gutachten an, wie es ihr aus dem Ausſchuß zukam.
Und nun dürfte man ſich nicht von dem Wortlaut täuſchen laſſen, nach welchem es wohl ſcheinen konnte, als ſolle nur der Fortſchritt der Bewegung gehemmt wer- den. Allerdings war dieß die nächſte Abſicht; faßt man aber die Beſtimmungen, die man feſtſetzte, näher ins Auge, ſo konnten ſich die Veränderungen, die auf den Grund der frühern Reichsabſchiede in den einzelnen Landſchaften bereits getroffen waren, in der That dabei nicht behaupten.
Ein Hauptmotiv des vorigen Abſchiedes hatte in der Nothwendigkeit gelegen, die inneren Irrungen in den Land- ſchaften beizulegen; deshalb war es Fürſten und Untertha- nen überlaſſen worden, ſich mit einander in religiöſer Hin- ſicht zu vereinigen; jetzt ſollten alle die, welche die lateini- niſche Meſſe abgeſchafft hatten, ſie doch wieder zulaſſen. Was ließ ſich davon anders erwarten, als eine völlige Auf- öſung des eben Gegründeten?
Ferner beruhte das Weſen der getroffenen Verände- rung in einer ſtillſchweigenden Ausſchließung der biſchöfli- chen Jurisdiction; die Obrigkeit der Biſchöfe, d. i. auch die geiſtliche, ward jetzt aufs neue beſtätigt. Man konnte ſich nicht verbergen, daß damit unter anderem das Recht,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0164"n="148"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel</hi>.</fw><lb/><p>Alles was einſt zu Gunſten der evangeliſchen Lehre<lb/>
geſchehen war, hatte auf der Hinneigung der Mehrheit<lb/>
in den Ständen zu derſelben beruht. Wie ganz aber war<lb/>
jetzt dieſe Mehrheit umgewandelt! Was die frühere be-<lb/>ſchloſſen, ſuchte die jetzige aufzuheben. In den Sitzungen<lb/>
vom 6. und 7. April nahm ſie das Gutachten an, wie es<lb/>
ihr aus dem Ausſchuß zukam.</p><lb/><p>Und nun dürfte man ſich nicht von dem Wortlaut<lb/>
täuſchen laſſen, nach welchem es wohl ſcheinen konnte,<lb/>
als ſolle nur der Fortſchritt der Bewegung gehemmt wer-<lb/>
den. Allerdings war dieß die nächſte Abſicht; faßt man aber<lb/>
die Beſtimmungen, die man feſtſetzte, näher ins Auge, ſo<lb/>
konnten ſich die Veränderungen, die auf den Grund der<lb/>
frühern Reichsabſchiede in den einzelnen Landſchaften bereits<lb/>
getroffen waren, in der That dabei nicht behaupten.</p><lb/><p>Ein Hauptmotiv des vorigen Abſchiedes hatte in der<lb/>
Nothwendigkeit gelegen, die inneren Irrungen in den <choice><sic>Land-<lb/>
fchaften</sic><corr>Land-<lb/>ſchaften</corr></choice> beizulegen; deshalb war es Fürſten und Untertha-<lb/>
nen überlaſſen worden, ſich mit einander in religiöſer Hin-<lb/>ſicht zu vereinigen; jetzt ſollten alle die, welche die lateini-<lb/>
niſche Meſſe abgeſchafft hatten, ſie doch wieder zulaſſen.<lb/>
Was ließ ſich davon anders erwarten, als eine völlige Auf-<lb/>
öſung des eben Gegründeten?</p><lb/><p>Ferner beruhte das Weſen der getroffenen Verände-<lb/>
rung in einer ſtillſchweigenden Ausſchließung der biſchöfli-<lb/>
chen Jurisdiction; die Obrigkeit der Biſchöfe, d. i. auch<lb/>
die geiſtliche, ward jetzt aufs neue beſtätigt. Man konnte<lb/>ſich nicht verbergen, daß damit unter anderem das Recht,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[148/0164]
Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Alles was einſt zu Gunſten der evangeliſchen Lehre
geſchehen war, hatte auf der Hinneigung der Mehrheit
in den Ständen zu derſelben beruht. Wie ganz aber war
jetzt dieſe Mehrheit umgewandelt! Was die frühere be-
ſchloſſen, ſuchte die jetzige aufzuheben. In den Sitzungen
vom 6. und 7. April nahm ſie das Gutachten an, wie es
ihr aus dem Ausſchuß zukam.
Und nun dürfte man ſich nicht von dem Wortlaut
täuſchen laſſen, nach welchem es wohl ſcheinen konnte,
als ſolle nur der Fortſchritt der Bewegung gehemmt wer-
den. Allerdings war dieß die nächſte Abſicht; faßt man aber
die Beſtimmungen, die man feſtſetzte, näher ins Auge, ſo
konnten ſich die Veränderungen, die auf den Grund der
frühern Reichsabſchiede in den einzelnen Landſchaften bereits
getroffen waren, in der That dabei nicht behaupten.
Ein Hauptmotiv des vorigen Abſchiedes hatte in der
Nothwendigkeit gelegen, die inneren Irrungen in den Land-
ſchaften beizulegen; deshalb war es Fürſten und Untertha-
nen überlaſſen worden, ſich mit einander in religiöſer Hin-
ſicht zu vereinigen; jetzt ſollten alle die, welche die lateini-
niſche Meſſe abgeſchafft hatten, ſie doch wieder zulaſſen.
Was ließ ſich davon anders erwarten, als eine völlige Auf-
öſung des eben Gegründeten?
Ferner beruhte das Weſen der getroffenen Verände-
rung in einer ſtillſchweigenden Ausſchließung der biſchöfli-
chen Jurisdiction; die Obrigkeit der Biſchöfe, d. i. auch
die geiſtliche, ward jetzt aufs neue beſtätigt. Man konnte
ſich nicht verbergen, daß damit unter anderem das Recht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/164>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.