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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Stellung des Kaisers.
ten hin wahrgenommen, den Barbarenstaat die Donau
hinunter zurückgewiesen hätte. Und mußte nicht der Kai-
ser in der That hiezu eine gewisse Hinneigung empfinden?
Hatte nicht von Anfang an auch er von einer Reformation
der Kirche geredet, und dieß Wort noch zuletzt öfter wie-
derholt? War nicht in denjenigen deutschen Fürsten, die
auf die Seite der Hierarchie getreten, die gefährlichste Ei-
fersucht gegen sein Haus zu bemerken? Mußte es ihm nicht
einleuchten, welch ein gewaltiges Mittel der Macht für ihn
darin gelegen hätte, sich mit den populären Tendenzen zu
verbünden, von deren unaufhaltsamen Um-sich-greifen alle
Briefe redeten, die ihm aus Deutschland kamen, und die sich
nichts Besseres wünschten als unter seinen Fahnen zu dienen?

Selten jedoch ist ein Mensch fähig, in dem Kampfe
entgegengesetzter Weltkräfte sich mit voller Freiheit für die
eine oder die andre Seite zu entscheiden; ich glaube nicht,
daß sich Carl V die Frage, welche Partei er zu ergreifen
habe, nur jemals vorgelegt hat. Der deutschen Nation war
es nicht bestimmt, sich unter der Führung eines gemein-
schaftlichen Oberhauptes weiter zu entwickeln. Durch seine
persönliche Lage, und den bisherigen Gang der Politik sah
sich Carl V vielmehr zu einem ihren Wünschen entgegen-
gesetzten Systeme hingedrängt.

Die Erfahrung hatte so eben gezeigt, in welche gar nicht
abzusehende Verwickelungen es ihn geführt haben würde, den
Papst ferner zu bekämpfen. Im Angesicht einer unüber-
windlichen Nothwendigkeit hatte er sich zu einem nachgie-
bigern Verhalten gegen denselben, zu einer Verbindung mit
ihm entschlossen.


Stellung des Kaiſers.
ten hin wahrgenommen, den Barbarenſtaat die Donau
hinunter zurückgewieſen hätte. Und mußte nicht der Kai-
ſer in der That hiezu eine gewiſſe Hinneigung empfinden?
Hatte nicht von Anfang an auch er von einer Reformation
der Kirche geredet, und dieß Wort noch zuletzt öfter wie-
derholt? War nicht in denjenigen deutſchen Fürſten, die
auf die Seite der Hierarchie getreten, die gefährlichſte Ei-
ferſucht gegen ſein Haus zu bemerken? Mußte es ihm nicht
einleuchten, welch ein gewaltiges Mittel der Macht für ihn
darin gelegen hätte, ſich mit den populären Tendenzen zu
verbünden, von deren unaufhaltſamen Um-ſich-greifen alle
Briefe redeten, die ihm aus Deutſchland kamen, und die ſich
nichts Beſſeres wünſchten als unter ſeinen Fahnen zu dienen?

Selten jedoch iſt ein Menſch fähig, in dem Kampfe
entgegengeſetzter Weltkräfte ſich mit voller Freiheit für die
eine oder die andre Seite zu entſcheiden; ich glaube nicht,
daß ſich Carl V die Frage, welche Partei er zu ergreifen
habe, nur jemals vorgelegt hat. Der deutſchen Nation war
es nicht beſtimmt, ſich unter der Führung eines gemein-
ſchaftlichen Oberhauptes weiter zu entwickeln. Durch ſeine
perſönliche Lage, und den bisherigen Gang der Politik ſah
ſich Carl V vielmehr zu einem ihren Wünſchen entgegen-
geſetzten Syſteme hingedrängt.

Die Erfahrung hatte ſo eben gezeigt, in welche gar nicht
abzuſehende Verwickelungen es ihn geführt haben würde, den
Papſt ferner zu bekämpfen. Im Angeſicht einer unüber-
windlichen Nothwendigkeit hatte er ſich zu einem nachgie-
bigern Verhalten gegen denſelben, zu einer Verbindung mit
ihm entſchloſſen.


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[105/0121] Stellung des Kaiſers. ten hin wahrgenommen, den Barbarenſtaat die Donau hinunter zurückgewieſen hätte. Und mußte nicht der Kai- ſer in der That hiezu eine gewiſſe Hinneigung empfinden? Hatte nicht von Anfang an auch er von einer Reformation der Kirche geredet, und dieß Wort noch zuletzt öfter wie- derholt? War nicht in denjenigen deutſchen Fürſten, die auf die Seite der Hierarchie getreten, die gefährlichſte Ei- ferſucht gegen ſein Haus zu bemerken? Mußte es ihm nicht einleuchten, welch ein gewaltiges Mittel der Macht für ihn darin gelegen hätte, ſich mit den populären Tendenzen zu verbünden, von deren unaufhaltſamen Um-ſich-greifen alle Briefe redeten, die ihm aus Deutſchland kamen, und die ſich nichts Beſſeres wünſchten als unter ſeinen Fahnen zu dienen? Selten jedoch iſt ein Menſch fähig, in dem Kampfe entgegengeſetzter Weltkräfte ſich mit voller Freiheit für die eine oder die andre Seite zu entſcheiden; ich glaube nicht, daß ſich Carl V die Frage, welche Partei er zu ergreifen habe, nur jemals vorgelegt hat. Der deutſchen Nation war es nicht beſtimmt, ſich unter der Führung eines gemein- ſchaftlichen Oberhauptes weiter zu entwickeln. Durch ſeine perſönliche Lage, und den bisherigen Gang der Politik ſah ſich Carl V vielmehr zu einem ihren Wünſchen entgegen- geſetzten Syſteme hingedrängt. Die Erfahrung hatte ſo eben gezeigt, in welche gar nicht abzuſehende Verwickelungen es ihn geführt haben würde, den Papſt ferner zu bekämpfen. Im Angeſicht einer unüber- windlichen Nothwendigkeit hatte er ſich zu einem nachgie- bigern Verhalten gegen denſelben, zu einer Verbindung mit ihm entſchloſſen.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/121>, abgerufen am 23.11.2024.