Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Politischer Widerstand.
neue Kirchenform setzte sich fest, ohne daß das Bestehen,
die Einrichtungen der Stadt und des Staates dadurch er-
schüttert, gefährdet worden wären.

Mittlerweile hatte sich aber von einer andern Seite
her, aus politischen Motiven noch ein gefährlicherer Wi-
derspruch geregt.

Zwingli hatte nicht allein religiöse, sondern auch pa-
triotische Ideen; er bekämpfte, wie wir uns erinnern, mit
großem Erfolge die Unordnungen des Reislaufens und der
Jahrgelder. Schon war er in Zürich damit völlig durch-
gedrungen; die Priester mußten einst alle Pensionen feier-
lich verschwören; im Jahre 1521 nahm Zürich allein von
allen Cantonen den neuen französischen Bund nicht an.
Die Unglücksfälle, welche dieser Bund nach sich zog, suchte
Zwingli dazu zu benutzen, um auch Andere für sein Sy-
stem zu gewinnen. Man muß die "göttliche Vermahnung"
lesen, die er nach der Schlacht von Bicocca "an die ältesten
ehrenfesten Eidgenossen zu Schwytz" ergehen ließ, um den
Zusammenhang zu bemerken, der seine religiösen und poli-
tischen Bestrebungen verband. Seine Ueberzeugung war,
daß durch die heimlichen Gaben aus der Fremde Vernunft
und Frömmigkeit verblendet, nichts als Zwietracht gestiftet
werde. Er dringt darauf, daß man den Eigennutz verban-
nen müsse. Und frage Jemand, wie dieß möglich sey, da
der Eigennutz in eines Jeden Herzen wurzle, so sey die
Antwort, man müsse dafür sorgen, daß das göttliche Wort
gelehrt werde, klar und verständlich, ohne den Zwang mensch-
licher Weisheit. Denn dadurch nehme Gott die Herzen ein.
"Wo aber Gott in des Menschen Herzen nicht ist, da ist

Politiſcher Widerſtand.
neue Kirchenform ſetzte ſich feſt, ohne daß das Beſtehen,
die Einrichtungen der Stadt und des Staates dadurch er-
ſchüttert, gefährdet worden wären.

Mittlerweile hatte ſich aber von einer andern Seite
her, aus politiſchen Motiven noch ein gefährlicherer Wi-
derſpruch geregt.

Zwingli hatte nicht allein religiöſe, ſondern auch pa-
triotiſche Ideen; er bekämpfte, wie wir uns erinnern, mit
großem Erfolge die Unordnungen des Reislaufens und der
Jahrgelder. Schon war er in Zürich damit völlig durch-
gedrungen; die Prieſter mußten einſt alle Penſionen feier-
lich verſchwören; im Jahre 1521 nahm Zürich allein von
allen Cantonen den neuen franzöſiſchen Bund nicht an.
Die Unglücksfälle, welche dieſer Bund nach ſich zog, ſuchte
Zwingli dazu zu benutzen, um auch Andere für ſein Sy-
ſtem zu gewinnen. Man muß die „göttliche Vermahnung“
leſen, die er nach der Schlacht von Bicocca „an die älteſten
ehrenfeſten Eidgenoſſen zu Schwytz“ ergehen ließ, um den
Zuſammenhang zu bemerken, der ſeine religiöſen und poli-
tiſchen Beſtrebungen verband. Seine Ueberzeugung war,
daß durch die heimlichen Gaben aus der Fremde Vernunft
und Frömmigkeit verblendet, nichts als Zwietracht geſtiftet
werde. Er dringt darauf, daß man den Eigennutz verban-
nen müſſe. Und frage Jemand, wie dieß möglich ſey, da
der Eigennutz in eines Jeden Herzen wurzle, ſo ſey die
Antwort, man müſſe dafür ſorgen, daß das göttliche Wort
gelehrt werde, klar und verſtändlich, ohne den Zwang menſch-
licher Weisheit. Denn dadurch nehme Gott die Herzen ein.
„Wo aber Gott in des Menſchen Herzen nicht iſt, da iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0109" n="93"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Politi&#x017F;cher Wider&#x017F;tand</hi>.</fw><lb/>
neue Kirchenform &#x017F;etzte &#x017F;ich fe&#x017F;t, ohne daß das Be&#x017F;tehen,<lb/>
die Einrichtungen der Stadt und des Staates dadurch er-<lb/>
&#x017F;chüttert, gefährdet worden wären.</p><lb/>
            <p>Mittlerweile hatte &#x017F;ich aber von einer andern Seite<lb/>
her, aus politi&#x017F;chen Motiven noch ein gefährlicherer Wi-<lb/>
der&#x017F;pruch geregt.</p><lb/>
            <p>Zwingli hatte nicht allein religiö&#x017F;e, &#x017F;ondern auch pa-<lb/>
trioti&#x017F;che Ideen; er bekämpfte, wie wir uns erinnern, mit<lb/>
großem Erfolge die Unordnungen des Reislaufens und der<lb/>
Jahrgelder. Schon war er in Zürich damit völlig durch-<lb/>
gedrungen; die Prie&#x017F;ter mußten ein&#x017F;t alle Pen&#x017F;ionen feier-<lb/>
lich ver&#x017F;chwören; im Jahre 1521 nahm Zürich allein von<lb/>
allen Cantonen den neuen franzö&#x017F;i&#x017F;chen Bund nicht an.<lb/>
Die Unglücksfälle, welche die&#x017F;er Bund nach &#x017F;ich zog, &#x017F;uchte<lb/>
Zwingli dazu zu benutzen, um auch Andere für &#x017F;ein Sy-<lb/>
&#x017F;tem zu gewinnen. Man muß die &#x201E;göttliche Vermahnung&#x201C;<lb/>
le&#x017F;en, die er nach der Schlacht von Bicocca &#x201E;an die älte&#x017F;ten<lb/>
ehrenfe&#x017F;ten Eidgeno&#x017F;&#x017F;en zu Schwytz&#x201C; ergehen ließ, um den<lb/>
Zu&#x017F;ammenhang zu bemerken, der &#x017F;eine religiö&#x017F;en und poli-<lb/>
ti&#x017F;chen Be&#x017F;trebungen verband. Seine Ueberzeugung war,<lb/>
daß durch die heimlichen Gaben aus der Fremde Vernunft<lb/>
und Frömmigkeit verblendet, nichts als Zwietracht ge&#x017F;tiftet<lb/>
werde. Er dringt darauf, daß man den Eigennutz verban-<lb/>
nen mü&#x017F;&#x017F;e. Und frage Jemand, wie dieß möglich &#x017F;ey, da<lb/>
der Eigennutz in eines Jeden Herzen wurzle, &#x017F;o &#x017F;ey die<lb/>
Antwort, man mü&#x017F;&#x017F;e dafür &#x017F;orgen, daß das göttliche Wort<lb/>
gelehrt werde, klar und ver&#x017F;tändlich, ohne den Zwang men&#x017F;ch-<lb/>
licher Weisheit. Denn dadurch nehme Gott die Herzen ein.<lb/>
&#x201E;Wo aber Gott in des Men&#x017F;chen Herzen nicht i&#x017F;t, da i&#x017F;t<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0109] Politiſcher Widerſtand. neue Kirchenform ſetzte ſich feſt, ohne daß das Beſtehen, die Einrichtungen der Stadt und des Staates dadurch er- ſchüttert, gefährdet worden wären. Mittlerweile hatte ſich aber von einer andern Seite her, aus politiſchen Motiven noch ein gefährlicherer Wi- derſpruch geregt. Zwingli hatte nicht allein religiöſe, ſondern auch pa- triotiſche Ideen; er bekämpfte, wie wir uns erinnern, mit großem Erfolge die Unordnungen des Reislaufens und der Jahrgelder. Schon war er in Zürich damit völlig durch- gedrungen; die Prieſter mußten einſt alle Penſionen feier- lich verſchwören; im Jahre 1521 nahm Zürich allein von allen Cantonen den neuen franzöſiſchen Bund nicht an. Die Unglücksfälle, welche dieſer Bund nach ſich zog, ſuchte Zwingli dazu zu benutzen, um auch Andere für ſein Sy- ſtem zu gewinnen. Man muß die „göttliche Vermahnung“ leſen, die er nach der Schlacht von Bicocca „an die älteſten ehrenfeſten Eidgenoſſen zu Schwytz“ ergehen ließ, um den Zuſammenhang zu bemerken, der ſeine religiöſen und poli- tiſchen Beſtrebungen verband. Seine Ueberzeugung war, daß durch die heimlichen Gaben aus der Fremde Vernunft und Frömmigkeit verblendet, nichts als Zwietracht geſtiftet werde. Er dringt darauf, daß man den Eigennutz verban- nen müſſe. Und frage Jemand, wie dieß möglich ſey, da der Eigennutz in eines Jeden Herzen wurzle, ſo ſey die Antwort, man müſſe dafür ſorgen, daß das göttliche Wort gelehrt werde, klar und verſtändlich, ohne den Zwang menſch- licher Weisheit. Denn dadurch nehme Gott die Herzen ein. „Wo aber Gott in des Menſchen Herzen nicht iſt, da iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/109
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/109>, abgerufen am 22.11.2024.