Aber seit den Zeiten der Inquisitionsgerichte, der fest- gesetzten, intoleranten Herrschaft eines dogmatischen Sy- stems, war ein so starrer Begriff von Rechtgläubigkeit in die Welt gekommen, daß sich beide doch zunächst, ohne Rück- sicht auf ihre gemeinschaftlichen Gegner, unter einander mit heftigem Eifer befehdeten.
Wir werden später der Wechselfälle gedenken, in de- nen dieser Streit sich bewegt hat; jetzt fassen wir ins Auge, wie Zwingli sich an seiner Stelle weiter Raum machte.
Vertheidigung. Ausbreitung.
Obgleich Zwingli um vieles weiter gegangen, als Luther, so erhob sich doch auch gegen ihn eine ihn überbietende Mei- nung; auch er hatte mit der Wiedertaufe zu kämpfen.
Man forderte ihn auf, eine Gemeinde von Wahrhaft- gläubigen abzusondern, denn nur denen allein gelte die Ver- heißung. Er entgegnete, man könne ja doch den Himmel nicht auf Erden einführen, Christus habe gelehrt, das Un- kraut mit dem Waizen aufwachsen zu lassen. 1
Man verlangte dann wenigstens, daß er die ganze Zür- cherische Gemeinde zu den Berathungen herbeiziehn, sich nicht mit dem großen Rathe, der nur aus zweihundert Mitglie- dern bestand, begnügen solle. Aber Zwingli fürchtete den Einfluß der geistvorgebenden leidenschaftlichen Demagogen auf eine größere Versammlung. Er hielt dafür, daß die Gemeinde in dem großen Rathe kirchlich so wie politisch hinreichend repräsentirt sey. Das stillschweigende Einver- ständniß der Gemeinde hielt er für eine ganz genügende
1Elenchus contra Catabaptistas Opp. III, 362.
Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Aber ſeit den Zeiten der Inquiſitionsgerichte, der feſt- geſetzten, intoleranten Herrſchaft eines dogmatiſchen Sy- ſtems, war ein ſo ſtarrer Begriff von Rechtgläubigkeit in die Welt gekommen, daß ſich beide doch zunächſt, ohne Rück- ſicht auf ihre gemeinſchaftlichen Gegner, unter einander mit heftigem Eifer befehdeten.
Wir werden ſpäter der Wechſelfälle gedenken, in de- nen dieſer Streit ſich bewegt hat; jetzt faſſen wir ins Auge, wie Zwingli ſich an ſeiner Stelle weiter Raum machte.
Vertheidigung. Ausbreitung.
Obgleich Zwingli um vieles weiter gegangen, als Luther, ſo erhob ſich doch auch gegen ihn eine ihn überbietende Mei- nung; auch er hatte mit der Wiedertaufe zu kämpfen.
Man forderte ihn auf, eine Gemeinde von Wahrhaft- gläubigen abzuſondern, denn nur denen allein gelte die Ver- heißung. Er entgegnete, man könne ja doch den Himmel nicht auf Erden einführen, Chriſtus habe gelehrt, das Un- kraut mit dem Waizen aufwachſen zu laſſen. 1
Man verlangte dann wenigſtens, daß er die ganze Zür- cheriſche Gemeinde zu den Berathungen herbeiziehn, ſich nicht mit dem großen Rathe, der nur aus zweihundert Mitglie- dern beſtand, begnügen ſolle. Aber Zwingli fürchtete den Einfluß der geiſtvorgebenden leidenſchaftlichen Demagogen auf eine größere Verſammlung. Er hielt dafür, daß die Gemeinde in dem großen Rathe kirchlich ſo wie politiſch hinreichend repräſentirt ſey. Das ſtillſchweigende Einver- ſtändniß der Gemeinde hielt er für eine ganz genügende
1Elenchus contra Catabaptistas Opp. III, 362.
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Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
Aber ſeit den Zeiten der Inquiſitionsgerichte, der feſt-
geſetzten, intoleranten Herrſchaft eines dogmatiſchen Sy-
ſtems, war ein ſo ſtarrer Begriff von Rechtgläubigkeit in
die Welt gekommen, daß ſich beide doch zunächſt, ohne Rück-
ſicht auf ihre gemeinſchaftlichen Gegner, unter einander mit
heftigem Eifer befehdeten.
Wir werden ſpäter der Wechſelfälle gedenken, in de-
nen dieſer Streit ſich bewegt hat; jetzt faſſen wir ins Auge,
wie Zwingli ſich an ſeiner Stelle weiter Raum machte.
Vertheidigung. Ausbreitung.
Obgleich Zwingli um vieles weiter gegangen, als Luther,
ſo erhob ſich doch auch gegen ihn eine ihn überbietende Mei-
nung; auch er hatte mit der Wiedertaufe zu kämpfen.
Man forderte ihn auf, eine Gemeinde von Wahrhaft-
gläubigen abzuſondern, denn nur denen allein gelte die Ver-
heißung. Er entgegnete, man könne ja doch den Himmel
nicht auf Erden einführen, Chriſtus habe gelehrt, das Un-
kraut mit dem Waizen aufwachſen zu laſſen. 1
Man verlangte dann wenigſtens, daß er die ganze Zür-
cheriſche Gemeinde zu den Berathungen herbeiziehn, ſich nicht
mit dem großen Rathe, der nur aus zweihundert Mitglie-
dern beſtand, begnügen ſolle. Aber Zwingli fürchtete den
Einfluß der geiſtvorgebenden leidenſchaftlichen Demagogen
auf eine größere Verſammlung. Er hielt dafür, daß die
Gemeinde in dem großen Rathe kirchlich ſo wie politiſch
hinreichend repräſentirt ſey. Das ſtillſchweigende Einver-
ſtändniß der Gemeinde hielt er für eine ganz genügende
1 Elenchus contra Catabaptistas Opp. III, 362.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/106>, abgerufen am 22.12.2024.
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