Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.Fünftes Buch. Drittes Capitel. ther, der eine angeborene Scheu hat, über den einfachenklaren Wortsinn einer Stelle hinauszugehn, antwortet in der Regel, daß er sich an das untrügliche Wort halte, daß bei Gott kein Ding unmöglich sey. Es ist aber wohl nicht denkbar, daß er dabei stehen geblieben wäre, hätte er sich nicht durch eine höhere Auffassung über jene Einwürfe er- hoben gefühlt. Indem er weiter gedrängt wird tritt er doch am Ende auch mit dieser hervor; es ist die Lehre von der Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur in Christo. Er findet, diese Vereinigung sey noch viel enger, als die zwischen Leib und Seele; auch durch den Tod habe sie nicht aufgelöst werden können; die Menschheit Christi sey durch ihre Vereinigung mit der Gottheit über das Reich des Natürlichen, außer und über alle Creatur erhoben wor- den. Wir haben hier einen Fall, der auch sonst wohl ein- tritt, wo Luther, selbst ohne es zu wissen, auf die vor der Entwickelung der hierarchischen Alleinherrschaft und der Ausbildung ihres Systemes in Gang gewesenen Meinun- gen zurückkommt. Schon Johann Scotus Erigena, im 9ten Jahrhundert, hat die Lehren vom Abendmahl und den zwei Naturen auf eine wenn nicht völlig gleiche, doch sehr ähnliche Weise mit einander in Verbindung gebracht. 1 Lu- thers Lehre ist nun, daß sich die Identität der göttlichen und der menschlichen Natur in dem Mysterium des Sa- craments darstelle. Der Leib Christi ist der ganze Chri- stus, göttlicher Natur, über die Bedingungen der Crea- 1 De divisione naturae bei Neander Kirchengeschichte IV, 472.
Der Unterschied liegt wohl hauptsächlich darin, daß Scotus noch ent- schiedener eine Verherrlichung der menschlichen Natur durch die göttliche annimmt. Caro in virtutem transformata nullo loco continetur. Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel. ther, der eine angeborene Scheu hat, über den einfachenklaren Wortſinn einer Stelle hinauszugehn, antwortet in der Regel, daß er ſich an das untrügliche Wort halte, daß bei Gott kein Ding unmöglich ſey. Es iſt aber wohl nicht denkbar, daß er dabei ſtehen geblieben wäre, hätte er ſich nicht durch eine höhere Auffaſſung über jene Einwürfe er- hoben gefühlt. Indem er weiter gedrängt wird tritt er doch am Ende auch mit dieſer hervor; es iſt die Lehre von der Vereinigung der göttlichen und der menſchlichen Natur in Chriſto. Er findet, dieſe Vereinigung ſey noch viel enger, als die zwiſchen Leib und Seele; auch durch den Tod habe ſie nicht aufgelöſt werden können; die Menſchheit Chriſti ſey durch ihre Vereinigung mit der Gottheit über das Reich des Natürlichen, außer und über alle Creatur erhoben wor- den. Wir haben hier einen Fall, der auch ſonſt wohl ein- tritt, wo Luther, ſelbſt ohne es zu wiſſen, auf die vor der Entwickelung der hierarchiſchen Alleinherrſchaft und der Ausbildung ihres Syſtemes in Gang geweſenen Meinun- gen zurückkommt. Schon Johann Scotus Erigena, im 9ten Jahrhundert, hat die Lehren vom Abendmahl und den zwei Naturen auf eine wenn nicht völlig gleiche, doch ſehr ähnliche Weiſe mit einander in Verbindung gebracht. 1 Lu- thers Lehre iſt nun, daß ſich die Identität der göttlichen und der menſchlichen Natur in dem Myſterium des Sa- craments darſtelle. Der Leib Chriſti iſt der ganze Chri- ſtus, göttlicher Natur, über die Bedingungen der Crea- 1 De divisione naturae bei Neander Kirchengeſchichte IV, 472.
Der Unterſchied liegt wohl hauptſaͤchlich darin, daß Scotus noch ent- ſchiedener eine Verherrlichung der menſchlichen Natur durch die goͤttliche annimmt. Caro in virtutem transformata nullo loco continetur. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0100" n="84"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/> ther, der eine angeborene Scheu hat, über den einfachen<lb/> klaren Wortſinn einer Stelle hinauszugehn, antwortet in<lb/> der Regel, daß er ſich an das untrügliche Wort halte, daß<lb/> bei Gott kein Ding unmöglich ſey. Es iſt aber wohl nicht<lb/> denkbar, daß er dabei ſtehen geblieben wäre, hätte er ſich<lb/> nicht durch eine höhere Auffaſſung über jene Einwürfe er-<lb/> hoben gefühlt. Indem er weiter gedrängt wird tritt er doch<lb/> am Ende auch mit dieſer hervor; es iſt die Lehre von der<lb/> Vereinigung der göttlichen und der menſchlichen Natur in<lb/> Chriſto. Er findet, dieſe Vereinigung ſey noch viel enger,<lb/> als die zwiſchen Leib und Seele; auch durch den Tod habe<lb/> ſie nicht aufgelöſt werden können; die Menſchheit Chriſti<lb/> ſey durch ihre Vereinigung mit der Gottheit über das Reich<lb/> des Natürlichen, außer und über alle Creatur erhoben wor-<lb/> den. Wir haben hier einen Fall, der auch ſonſt wohl ein-<lb/> tritt, wo Luther, ſelbſt ohne es zu wiſſen, auf die vor der<lb/> Entwickelung der hierarchiſchen Alleinherrſchaft und der<lb/> Ausbildung ihres Syſtemes in Gang geweſenen Meinun-<lb/> gen zurückkommt. Schon Johann Scotus Erigena, im<lb/> 9ten Jahrhundert, hat die Lehren vom Abendmahl und den<lb/> zwei Naturen auf eine wenn nicht völlig gleiche, doch ſehr<lb/> ähnliche Weiſe mit einander in Verbindung gebracht. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">De divisione naturae</hi> bei Neander Kirchengeſchichte <hi rendition="#aq">IV,</hi> 472.<lb/> Der Unterſchied liegt wohl hauptſaͤchlich darin, daß Scotus noch ent-<lb/> ſchiedener eine Verherrlichung der menſchlichen Natur durch die goͤttliche<lb/> annimmt. <hi rendition="#aq">Caro in virtutem transformata nullo loco continetur.</hi></note> Lu-<lb/> thers Lehre iſt nun, daß ſich die Identität der göttlichen<lb/> und der menſchlichen Natur in dem Myſterium des Sa-<lb/> craments darſtelle. Der Leib Chriſti iſt der ganze Chri-<lb/> ſtus, göttlicher Natur, über die Bedingungen der Crea-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0100]
Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
ther, der eine angeborene Scheu hat, über den einfachen
klaren Wortſinn einer Stelle hinauszugehn, antwortet in
der Regel, daß er ſich an das untrügliche Wort halte, daß
bei Gott kein Ding unmöglich ſey. Es iſt aber wohl nicht
denkbar, daß er dabei ſtehen geblieben wäre, hätte er ſich
nicht durch eine höhere Auffaſſung über jene Einwürfe er-
hoben gefühlt. Indem er weiter gedrängt wird tritt er doch
am Ende auch mit dieſer hervor; es iſt die Lehre von der
Vereinigung der göttlichen und der menſchlichen Natur in
Chriſto. Er findet, dieſe Vereinigung ſey noch viel enger,
als die zwiſchen Leib und Seele; auch durch den Tod habe
ſie nicht aufgelöſt werden können; die Menſchheit Chriſti
ſey durch ihre Vereinigung mit der Gottheit über das Reich
des Natürlichen, außer und über alle Creatur erhoben wor-
den. Wir haben hier einen Fall, der auch ſonſt wohl ein-
tritt, wo Luther, ſelbſt ohne es zu wiſſen, auf die vor der
Entwickelung der hierarchiſchen Alleinherrſchaft und der
Ausbildung ihres Syſtemes in Gang geweſenen Meinun-
gen zurückkommt. Schon Johann Scotus Erigena, im
9ten Jahrhundert, hat die Lehren vom Abendmahl und den
zwei Naturen auf eine wenn nicht völlig gleiche, doch ſehr
ähnliche Weiſe mit einander in Verbindung gebracht. 1 Lu-
thers Lehre iſt nun, daß ſich die Identität der göttlichen
und der menſchlichen Natur in dem Myſterium des Sa-
craments darſtelle. Der Leib Chriſti iſt der ganze Chri-
ſtus, göttlicher Natur, über die Bedingungen der Crea-
1 De divisione naturae bei Neander Kirchengeſchichte IV, 472.
Der Unterſchied liegt wohl hauptſaͤchlich darin, daß Scotus noch ent-
ſchiedener eine Verherrlichung der menſchlichen Natur durch die goͤttliche
annimmt. Caro in virtutem transformata nullo loco continetur.
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