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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Ausbreitung der Lehre.
man seiner Büberei zum Trotz ihm die Macht zuschreibe,
über den Himmel zu erheben, oder in die Hölle zu binden:
darum könne er auch manchen Vogel rupfen: ihm falle der
Schweiß des Armen zu, und mit tausend Pferden könne
er reiten: er heißt Entchristelo: neben ihm erscheinen mit
ähnlichen Expectorationen der Cardinal Hochmuth, der Bi-
schof Goldmund Wolfsmagen, der Vicarius Fabeler, der
Kirchherr Meeher, und wie sie sonst schon in diesen Na-
menbildungen dem Spott und der Verachtung Preis gegeben
werden: zuletzt aber tritt auch der Doctor auf, der die reine
Lehre im Tone der Predigt verkündigt. 1 Unter diesen Ein-
drücken bildete sich Burkard Waldis, der dann die alte
Thierfabel mit so großem Erfolg auf die geistlichen Streitig-
keiten angewendet hat. Unmittelbar aber stellte sich das große
poetische Talent, das es in der Nation gab, Luthern zur
Seite. Das Gedicht von Hans Sachs: die Wittember-
gisch Nachtigall ist vom Jahr 1523. Er betrachtet darin
die Lehre die seit 400 Jahren geherrscht habe, wie den
Mondschein, bei dem man in Wüsteneien irre gegangen,
jetzt aber kündigt die Nachtigall Sonne und Tageslicht an,
und steigt über die trüben Wolken auf. Die Gesinnung eines
durch das untrügliche Wort belehrten seiner Sache gewiß ge-
wordenen gesunden Menschenverstandes ist dann überhaupt
die Grundlage der mannichfaltigen wohl nicht von dem
Beigeschmack des Handwerks freien, aber sinnreichen, hei-

1 Ein Faßnachtspyl, so zu Bern uf der Hern Faßnacht in
dem MDXXII Jare von Burgerßsonen offentlich gemacht ist Darinn
die Warheit in Schimpffswyß vom pabst und siner priesterschaft ge-
meldet würt. Neu gedruckt bei Grüneisen: Nicl. Manuel p. 339.
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Ausbreitung der Lehre.
man ſeiner Büberei zum Trotz ihm die Macht zuſchreibe,
über den Himmel zu erheben, oder in die Hölle zu binden:
darum könne er auch manchen Vogel rupfen: ihm falle der
Schweiß des Armen zu, und mit tauſend Pferden könne
er reiten: er heißt Entchriſtelo: neben ihm erſcheinen mit
ähnlichen Expectorationen der Cardinal Hochmuth, der Bi-
ſchof Goldmund Wolfsmagen, der Vicarius Fabeler, der
Kirchherr Meeher, und wie ſie ſonſt ſchon in dieſen Na-
menbildungen dem Spott und der Verachtung Preis gegeben
werden: zuletzt aber tritt auch der Doctor auf, der die reine
Lehre im Tone der Predigt verkündigt. 1 Unter dieſen Ein-
drücken bildete ſich Burkard Waldis, der dann die alte
Thierfabel mit ſo großem Erfolg auf die geiſtlichen Streitig-
keiten angewendet hat. Unmittelbar aber ſtellte ſich das große
poetiſche Talent, das es in der Nation gab, Luthern zur
Seite. Das Gedicht von Hans Sachs: die Wittember-
giſch Nachtigall iſt vom Jahr 1523. Er betrachtet darin
die Lehre die ſeit 400 Jahren geherrſcht habe, wie den
Mondſchein, bei dem man in Wüſteneien irre gegangen,
jetzt aber kündigt die Nachtigall Sonne und Tageslicht an,
und ſteigt über die trüben Wolken auf. Die Geſinnung eines
durch das untrügliche Wort belehrten ſeiner Sache gewiß ge-
wordenen geſunden Menſchenverſtandes iſt dann überhaupt
die Grundlage der mannichfaltigen wohl nicht von dem
Beigeſchmack des Handwerks freien, aber ſinnreichen, hei-

1 Ein Faßnachtſpyl, ſo zu Bern uf der Hern Faßnacht in
dem MDXXII Jare von Burgerßſonen offentlich gemacht iſt Darinn
die Warheit in Schimpffswyß vom pabſt und ſiner prieſterſchaft ge-
meldet wuͤrt. Neu gedruckt bei Gruͤneiſen: Nicl. Manuel p. 339.
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[83/0093] Ausbreitung der Lehre. man ſeiner Büberei zum Trotz ihm die Macht zuſchreibe, über den Himmel zu erheben, oder in die Hölle zu binden: darum könne er auch manchen Vogel rupfen: ihm falle der Schweiß des Armen zu, und mit tauſend Pferden könne er reiten: er heißt Entchriſtelo: neben ihm erſcheinen mit ähnlichen Expectorationen der Cardinal Hochmuth, der Bi- ſchof Goldmund Wolfsmagen, der Vicarius Fabeler, der Kirchherr Meeher, und wie ſie ſonſt ſchon in dieſen Na- menbildungen dem Spott und der Verachtung Preis gegeben werden: zuletzt aber tritt auch der Doctor auf, der die reine Lehre im Tone der Predigt verkündigt. 1 Unter dieſen Ein- drücken bildete ſich Burkard Waldis, der dann die alte Thierfabel mit ſo großem Erfolg auf die geiſtlichen Streitig- keiten angewendet hat. Unmittelbar aber ſtellte ſich das große poetiſche Talent, das es in der Nation gab, Luthern zur Seite. Das Gedicht von Hans Sachs: die Wittember- giſch Nachtigall iſt vom Jahr 1523. Er betrachtet darin die Lehre die ſeit 400 Jahren geherrſcht habe, wie den Mondſchein, bei dem man in Wüſteneien irre gegangen, jetzt aber kündigt die Nachtigall Sonne und Tageslicht an, und ſteigt über die trüben Wolken auf. Die Geſinnung eines durch das untrügliche Wort belehrten ſeiner Sache gewiß ge- wordenen geſunden Menſchenverſtandes iſt dann überhaupt die Grundlage der mannichfaltigen wohl nicht von dem Beigeſchmack des Handwerks freien, aber ſinnreichen, hei- 1 Ein Faßnachtſpyl, ſo zu Bern uf der Hern Faßnacht in dem MDXXII Jare von Burgerßſonen offentlich gemacht iſt Darinn die Warheit in Schimpffswyß vom pabſt und ſiner prieſterſchaft ge- meldet wuͤrt. Neu gedruckt bei Gruͤneiſen: Nicl. Manuel p. 339. 6*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/93>, abgerufen am 23.11.2024.