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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Drittes Capitel.
es sogar eine Anhöhe vor der Stadt, wo man sich um
einen von drinnen verjagten Prediger sammelte.

Und hätten sich ja keine Geistlichen gefunden, so hät-
ten Laien das Wort genommen. Unter den Augen des
Doctor Eck zu Ingolstadt las ein begeisterter Webergesell
die Schriften Luthers dem versammelten Haufen vor. Als
man dort einen jungen Magister, des Namens Seehofer,
der nach Melanchthons Heften zu dociren begann, zum
Widerruf nöthigte, erhob sich eine Dame zu seiner Ver-
theidigung, Argula von Staufen, vermählte Grumbach,
die von ihrem Vater auf Luthers Bücher hingewiesen, sich
ganz nach deren Anweisung gebildet in die h. Schrift ver-
senkt hatte; sie forderte die gesammte Universität zu einer Dis-
putation heraus: in Kenntniß der Schrift glaubte sie ihr
gewachsen zu seyn: vor den Fürsten, in Gegenwart der
Gemeine hoffte sie es zu bewähren. 1 Darauf trotzten
die Vorfechter der kirchlichen Bewegung. Freudig zählt
Heinrich von Kettenbach Länder und Städte auf -- er
nennt Nürnberg, Augsburg, Ulm, die Rheinlande, die
Schweiz und Sachsen, -- wo Weiber und Jungfrauen,
Knechte und Handwerker, Ritter und edle Herren mehr
Kenntniß von der Bibel haben als die hohen Schulen. 2

Wunderbarer Anblick: diese allgemeine, überall her-
vorbrechende, in ihrem Ursprung wahrhaft religiöse Über-
zeugung, in Opposition gegen die Jahrhunderte lang
verehrten Formen des kirchlich-politischen Lebens, in wel-

1 Winter Gesch. der evang. Lehre in Baiern I, 120 f.
2 Ein new Apologia unnd Verantwortung Martini Luthers
wyder der Papisten Mortgeschrey, die zehen klagen wyder jn ußbla-
siniren so wyt die Christenheyt ist. 1523.

Drittes Buch. Drittes Capitel.
es ſogar eine Anhöhe vor der Stadt, wo man ſich um
einen von drinnen verjagten Prediger ſammelte.

Und hätten ſich ja keine Geiſtlichen gefunden, ſo hät-
ten Laien das Wort genommen. Unter den Augen des
Doctor Eck zu Ingolſtadt las ein begeiſterter Webergeſell
die Schriften Luthers dem verſammelten Haufen vor. Als
man dort einen jungen Magiſter, des Namens Seehofer,
der nach Melanchthons Heften zu dociren begann, zum
Widerruf nöthigte, erhob ſich eine Dame zu ſeiner Ver-
theidigung, Argula von Staufen, vermählte Grumbach,
die von ihrem Vater auf Luthers Bücher hingewieſen, ſich
ganz nach deren Anweiſung gebildet in die h. Schrift ver-
ſenkt hatte; ſie forderte die geſammte Univerſität zu einer Dis-
putation heraus: in Kenntniß der Schrift glaubte ſie ihr
gewachſen zu ſeyn: vor den Fürſten, in Gegenwart der
Gemeine hoffte ſie es zu bewähren. 1 Darauf trotzten
die Vorfechter der kirchlichen Bewegung. Freudig zählt
Heinrich von Kettenbach Länder und Städte auf — er
nennt Nürnberg, Augsburg, Ulm, die Rheinlande, die
Schweiz und Sachſen, — wo Weiber und Jungfrauen,
Knechte und Handwerker, Ritter und edle Herren mehr
Kenntniß von der Bibel haben als die hohen Schulen. 2

Wunderbarer Anblick: dieſe allgemeine, überall her-
vorbrechende, in ihrem Urſprung wahrhaft religiöſe Über-
zeugung, in Oppoſition gegen die Jahrhunderte lang
verehrten Formen des kirchlich-politiſchen Lebens, in wel-

1 Winter Geſch. der evang. Lehre in Baiern I, 120 f.
2 Ein new Apologia unnd Verantwortung Martini Luthers
wyder der Papiſten Mortgeſchrey, die zehen klagen wyder jn ußbla-
ſiniren ſo wyt die Chriſtenheyt iſt. 1523.
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[76/0086] Drittes Buch. Drittes Capitel. es ſogar eine Anhöhe vor der Stadt, wo man ſich um einen von drinnen verjagten Prediger ſammelte. Und hätten ſich ja keine Geiſtlichen gefunden, ſo hät- ten Laien das Wort genommen. Unter den Augen des Doctor Eck zu Ingolſtadt las ein begeiſterter Webergeſell die Schriften Luthers dem verſammelten Haufen vor. Als man dort einen jungen Magiſter, des Namens Seehofer, der nach Melanchthons Heften zu dociren begann, zum Widerruf nöthigte, erhob ſich eine Dame zu ſeiner Ver- theidigung, Argula von Staufen, vermählte Grumbach, die von ihrem Vater auf Luthers Bücher hingewieſen, ſich ganz nach deren Anweiſung gebildet in die h. Schrift ver- ſenkt hatte; ſie forderte die geſammte Univerſität zu einer Dis- putation heraus: in Kenntniß der Schrift glaubte ſie ihr gewachſen zu ſeyn: vor den Fürſten, in Gegenwart der Gemeine hoffte ſie es zu bewähren. 1 Darauf trotzten die Vorfechter der kirchlichen Bewegung. Freudig zählt Heinrich von Kettenbach Länder und Städte auf — er nennt Nürnberg, Augsburg, Ulm, die Rheinlande, die Schweiz und Sachſen, — wo Weiber und Jungfrauen, Knechte und Handwerker, Ritter und edle Herren mehr Kenntniß von der Bibel haben als die hohen Schulen. 2 Wunderbarer Anblick: dieſe allgemeine, überall her- vorbrechende, in ihrem Urſprung wahrhaft religiöſe Über- zeugung, in Oppoſition gegen die Jahrhunderte lang verehrten Formen des kirchlich-politiſchen Lebens, in wel- 1 Winter Geſch. der evang. Lehre in Baiern I, 120 f. 2 Ein new Apologia unnd Verantwortung Martini Luthers wyder der Papiſten Mortgeſchrey, die zehen klagen wyder jn ußbla- ſiniren ſo wyt die Chriſtenheyt iſt. 1523.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/86>, abgerufen am 24.11.2024.