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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Sächsische Visitation.
die Mittheilung des Sacraments unter Einer Gestalt ge-
statten zu können, wo sich Jemand aus Gewissensscrupeln
noch nicht von dem alten Ritus lossagen wolle; obgleich
man den Zwang der Ohrenbeichte verwarf, da sie nicht
in göttlichen Schriften gegründet sey, erklärte man es doch
für heilsam, daß ein Jeder die Sünden beichte von denen
er sich beschwert fühle, worin er Rath zu bedürfen glaube;
man schaffte nicht einmal alle Feste der Heiligen ab, schon
genug, wenn man nur dieselben nicht anrufe, auch nicht
um ihre Fürbitte. Die Idee, die wir schon öfter wahr-
genommen, daß man nur die unbedingte religiöse Bedeu-
tung, die allein seligmachende Kraft der in den letzten Jahr-
hunderten entwickelten Formationen verwarf, aber übrigens
keineswegs den geistigen Grund und Boden der lateinischen
Kirche verließ, stellt sich hier noch einmal sehr deutlich dar.
Man suchte sich nur des Zwanges der tausendfältigen Tra-
ditionen, der hierarchischen Anmaaßungen zu entledigen, und
den reinen Inhalt der h. Schrift, der Offenbarung wieder-
zugewinnen. 1 Was damit irgend bestehen konnte behielt
man bei. Man trug Sorge, die Gemüther der gemeinen
Leute nicht mit den schwierigen controversen Lehren, na-
mentlich über die guten Werke und den freien Willen, zu
verwirren. Nicht daß man im Mindesten von den ein-
mal gewonnenen Überzeugungen abgewichen wäre, von der

1 Vgl. Luthers Vorrede auf das Büchlin des Herrn Licen-
tiaten Klingenbeil 1528. Altenb. IV, 456. "Wir haben die Schrift
für uns, dazu der alten Väter Sprüche und der vorigen Kirchen Ge-
setze, dazu des Papsts selbst eigenen Brauch, da bleiben wir bei: sie
aber haben etlicher Väter Gegensprüche, newe Canones und ihren
eignen Muthwillen ohn alle Schrifft und Wort Gottes."

Saͤchſiſche Viſitation.
die Mittheilung des Sacraments unter Einer Geſtalt ge-
ſtatten zu können, wo ſich Jemand aus Gewiſſensſcrupeln
noch nicht von dem alten Ritus losſagen wolle; obgleich
man den Zwang der Ohrenbeichte verwarf, da ſie nicht
in göttlichen Schriften gegründet ſey, erklärte man es doch
für heilſam, daß ein Jeder die Sünden beichte von denen
er ſich beſchwert fühle, worin er Rath zu bedürfen glaube;
man ſchaffte nicht einmal alle Feſte der Heiligen ab, ſchon
genug, wenn man nur dieſelben nicht anrufe, auch nicht
um ihre Fürbitte. Die Idee, die wir ſchon öfter wahr-
genommen, daß man nur die unbedingte religiöſe Bedeu-
tung, die allein ſeligmachende Kraft der in den letzten Jahr-
hunderten entwickelten Formationen verwarf, aber übrigens
keineswegs den geiſtigen Grund und Boden der lateiniſchen
Kirche verließ, ſtellt ſich hier noch einmal ſehr deutlich dar.
Man ſuchte ſich nur des Zwanges der tauſendfältigen Tra-
ditionen, der hierarchiſchen Anmaaßungen zu entledigen, und
den reinen Inhalt der h. Schrift, der Offenbarung wieder-
zugewinnen. 1 Was damit irgend beſtehen konnte behielt
man bei. Man trug Sorge, die Gemüther der gemeinen
Leute nicht mit den ſchwierigen controverſen Lehren, na-
mentlich über die guten Werke und den freien Willen, zu
verwirren. Nicht daß man im Mindeſten von den ein-
mal gewonnenen Überzeugungen abgewichen wäre, von der

1 Vgl. Luthers Vorrede auf das Buͤchlin des Herrn Licen-
tiaten Klingenbeil 1528. Altenb. IV, 456. „Wir haben die Schrift
fuͤr uns, dazu der alten Vaͤter Spruͤche und der vorigen Kirchen Ge-
ſetze, dazu des Papſts ſelbſt eigenen Brauch, da bleiben wir bei: ſie
aber haben etlicher Vaͤter Gegenſpruͤche, newe Canones und ihren
eignen Muthwillen ohn alle Schrifft und Wort Gottes.“
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[443/0453] Saͤchſiſche Viſitation. die Mittheilung des Sacraments unter Einer Geſtalt ge- ſtatten zu können, wo ſich Jemand aus Gewiſſensſcrupeln noch nicht von dem alten Ritus losſagen wolle; obgleich man den Zwang der Ohrenbeichte verwarf, da ſie nicht in göttlichen Schriften gegründet ſey, erklärte man es doch für heilſam, daß ein Jeder die Sünden beichte von denen er ſich beſchwert fühle, worin er Rath zu bedürfen glaube; man ſchaffte nicht einmal alle Feſte der Heiligen ab, ſchon genug, wenn man nur dieſelben nicht anrufe, auch nicht um ihre Fürbitte. Die Idee, die wir ſchon öfter wahr- genommen, daß man nur die unbedingte religiöſe Bedeu- tung, die allein ſeligmachende Kraft der in den letzten Jahr- hunderten entwickelten Formationen verwarf, aber übrigens keineswegs den geiſtigen Grund und Boden der lateiniſchen Kirche verließ, ſtellt ſich hier noch einmal ſehr deutlich dar. Man ſuchte ſich nur des Zwanges der tauſendfältigen Tra- ditionen, der hierarchiſchen Anmaaßungen zu entledigen, und den reinen Inhalt der h. Schrift, der Offenbarung wieder- zugewinnen. 1 Was damit irgend beſtehen konnte behielt man bei. Man trug Sorge, die Gemüther der gemeinen Leute nicht mit den ſchwierigen controverſen Lehren, na- mentlich über die guten Werke und den freien Willen, zu verwirren. Nicht daß man im Mindeſten von den ein- mal gewonnenen Überzeugungen abgewichen wäre, von der 1 Vgl. Luthers Vorrede auf das Buͤchlin des Herrn Licen- tiaten Klingenbeil 1528. Altenb. IV, 456. „Wir haben die Schrift fuͤr uns, dazu der alten Vaͤter Spruͤche und der vorigen Kirchen Ge- ſetze, dazu des Papſts ſelbſt eigenen Brauch, da bleiben wir bei: ſie aber haben etlicher Vaͤter Gegenſpruͤche, newe Canones und ihren eignen Muthwillen ohn alle Schrifft und Wort Gottes.“

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/453>, abgerufen am 27.11.2024.