Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch. Erstes Capitel.
genblick durch neu ankommende Graubündner unterstützt,
mit eben so viel Glück wie Geschicklichkeit ihren Übergang
über die Adda: Lautrec sah sich ganz auf die festen Städte
beschränkt.

Da aber war alles schon lange in feindseliger Gäh-
rung. Die Gibellinen haßten die französische Regierung:
auch die Guelfen waren von ihr nicht mit alle der Rück-
sicht behandelt worden die sie forderten: ihr vornehmstes
Oberhaupt, der alte Trivulzi, der eine Zeitlang mehr ver-
mochte als der französische Gouverneur, war eben darum
in die Ungnade des Königs gefallen und darin gestorben;
dazu kamen die Erpressungen und Gewaltsamkeiten, welche
die Herrschaft der Franzosen in fremden Ländern gewöhn-
lich verhaßt machen: als Lautrec in Mailand anlangte,
fand er eine so starke Bewegung daß er eine strenge Execu-
tion für nothwendig hielt; den alten Christoph Pallavicini,
einen nahen Verwandten des Hauses Medici, eins der
Oberhäupter der gibellinischen Faction ließ er in dem Ca-
stell enthaupten. 1 Diese Grausamkeit, der Anblick eines
geschlagenen Heeres, das Gerücht von der Annäherung ei-
nes übermächtigen Feindes, man kann denken wie alle das
wirkte. Schon immer hatten Prospero und Cardinal Ju-
lius ihre Hofnung auf diese Stimmung gesetzt. 2 Franz

1 Cronaca Grumello, bei Verri III, 221.
2 Sepulveda Praefatio in Aristotelem de parvis naturalibus
(Cf. Sepulvedae Vita et Scripta p. CVII)
sagt von Julius: "non
ignarus, in uno Mediolano cetera oppida expugnari."
Ganz gut
drückt Vettori die Umwandlung des Zustandes aus. In Milano in
facto la parte Ghibellina e superiore assai, i popoli sono sempre
desiderosi di mutazioni: chi lascia la campagna e si ritira den-
tro alle mura, perde di riputatione.

Viertes Buch. Erſtes Capitel.
genblick durch neu ankommende Graubündner unterſtützt,
mit eben ſo viel Glück wie Geſchicklichkeit ihren Übergang
über die Adda: Lautrec ſah ſich ganz auf die feſten Städte
beſchränkt.

Da aber war alles ſchon lange in feindſeliger Gäh-
rung. Die Gibellinen haßten die franzöſiſche Regierung:
auch die Guelfen waren von ihr nicht mit alle der Rück-
ſicht behandelt worden die ſie forderten: ihr vornehmſtes
Oberhaupt, der alte Trivulzi, der eine Zeitlang mehr ver-
mochte als der franzöſiſche Gouverneur, war eben darum
in die Ungnade des Königs gefallen und darin geſtorben;
dazu kamen die Erpreſſungen und Gewaltſamkeiten, welche
die Herrſchaft der Franzoſen in fremden Ländern gewöhn-
lich verhaßt machen: als Lautrec in Mailand anlangte,
fand er eine ſo ſtarke Bewegung daß er eine ſtrenge Execu-
tion für nothwendig hielt; den alten Chriſtoph Pallavicini,
einen nahen Verwandten des Hauſes Medici, eins der
Oberhäupter der gibelliniſchen Faction ließ er in dem Ca-
ſtell enthaupten. 1 Dieſe Grauſamkeit, der Anblick eines
geſchlagenen Heeres, das Gerücht von der Annäherung ei-
nes übermächtigen Feindes, man kann denken wie alle das
wirkte. Schon immer hatten Prospero und Cardinal Ju-
lius ihre Hofnung auf dieſe Stimmung geſetzt. 2 Franz

1 Cronaca Grumello, bei Verri III, 221.
2 Sepulveda Praefatio in Aristotelem de parvis naturalibus
(Cf. Sepulvedae Vita et Scripta p. CVII)
ſagt von Julius: „non
ignarus, in uno Mediolano cetera oppida expugnari.“
Ganz gut
druͤckt Vettori die Umwandlung des Zuſtandes aus. In Milano in
facto la parte Ghibellina è superiore assai, i popoli sono sempre
desiderosi di mutazioni: chi lascia la campagna e si ritira den-
tro alle mura, perde di riputatione.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0280" n="270"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
genblick durch neu ankommende Graubündner unter&#x017F;tützt,<lb/>
mit eben &#x017F;o viel Glück wie Ge&#x017F;chicklichkeit ihren Übergang<lb/>
über die Adda: Lautrec &#x017F;ah &#x017F;ich ganz auf die fe&#x017F;ten Städte<lb/>
be&#x017F;chränkt.</p><lb/>
            <p>Da aber war alles &#x017F;chon lange in feind&#x017F;eliger Gäh-<lb/>
rung. Die Gibellinen haßten die franzö&#x017F;i&#x017F;che Regierung:<lb/>
auch die Guelfen waren von ihr nicht mit alle der Rück-<lb/>
&#x017F;icht behandelt worden die &#x017F;ie forderten: ihr vornehm&#x017F;tes<lb/>
Oberhaupt, der alte Trivulzi, der eine Zeitlang mehr ver-<lb/>
mochte als der franzö&#x017F;i&#x017F;che Gouverneur, war eben darum<lb/>
in die Ungnade des Königs gefallen und darin ge&#x017F;torben;<lb/>
dazu kamen die Erpre&#x017F;&#x017F;ungen und Gewalt&#x017F;amkeiten, welche<lb/>
die Herr&#x017F;chaft der Franzo&#x017F;en in fremden Ländern gewöhn-<lb/>
lich verhaßt machen: als Lautrec in Mailand anlangte,<lb/>
fand er eine &#x017F;o &#x017F;tarke Bewegung daß er eine &#x017F;trenge Execu-<lb/>
tion für nothwendig hielt; den alten Chri&#x017F;toph Pallavicini,<lb/>
einen nahen Verwandten des Hau&#x017F;es Medici, eins der<lb/>
Oberhäupter der gibellini&#x017F;chen Faction ließ er in dem Ca-<lb/>
&#x017F;tell enthaupten. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Cronaca Grumello,</hi> bei Verri <hi rendition="#aq">III,</hi> 221.</note> Die&#x017F;e Grau&#x017F;amkeit, der Anblick eines<lb/>
ge&#x017F;chlagenen Heeres, das Gerücht von der Annäherung ei-<lb/>
nes übermächtigen Feindes, man kann denken wie alle das<lb/>
wirkte. Schon immer hatten Prospero und Cardinal Ju-<lb/>
lius ihre Hofnung auf die&#x017F;e Stimmung ge&#x017F;etzt. <note place="foot" n="2">Sepulveda <hi rendition="#aq">Praefatio in Aristotelem de parvis naturalibus<lb/>
(Cf. Sepulvedae Vita et Scripta p. CVII)</hi> &#x017F;agt von Julius: <hi rendition="#aq">&#x201E;non<lb/>
ignarus, in uno Mediolano cetera oppida expugnari.&#x201C;</hi> Ganz gut<lb/>
dru&#x0364;ckt Vettori die Umwandlung des Zu&#x017F;tandes aus. <hi rendition="#aq">In Milano in<lb/>
facto la parte Ghibellina è superiore assai, i popoli sono sempre<lb/>
desiderosi di mutazioni: chi lascia la campagna e si ritira den-<lb/>
tro alle mura, perde di riputatione.</hi></note> Franz<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0280] Viertes Buch. Erſtes Capitel. genblick durch neu ankommende Graubündner unterſtützt, mit eben ſo viel Glück wie Geſchicklichkeit ihren Übergang über die Adda: Lautrec ſah ſich ganz auf die feſten Städte beſchränkt. Da aber war alles ſchon lange in feindſeliger Gäh- rung. Die Gibellinen haßten die franzöſiſche Regierung: auch die Guelfen waren von ihr nicht mit alle der Rück- ſicht behandelt worden die ſie forderten: ihr vornehmſtes Oberhaupt, der alte Trivulzi, der eine Zeitlang mehr ver- mochte als der franzöſiſche Gouverneur, war eben darum in die Ungnade des Königs gefallen und darin geſtorben; dazu kamen die Erpreſſungen und Gewaltſamkeiten, welche die Herrſchaft der Franzoſen in fremden Ländern gewöhn- lich verhaßt machen: als Lautrec in Mailand anlangte, fand er eine ſo ſtarke Bewegung daß er eine ſtrenge Execu- tion für nothwendig hielt; den alten Chriſtoph Pallavicini, einen nahen Verwandten des Hauſes Medici, eins der Oberhäupter der gibelliniſchen Faction ließ er in dem Ca- ſtell enthaupten. 1 Dieſe Grauſamkeit, der Anblick eines geſchlagenen Heeres, das Gerücht von der Annäherung ei- nes übermächtigen Feindes, man kann denken wie alle das wirkte. Schon immer hatten Prospero und Cardinal Ju- lius ihre Hofnung auf dieſe Stimmung geſetzt. 2 Franz 1 Cronaca Grumello, bei Verri III, 221. 2 Sepulveda Praefatio in Aristotelem de parvis naturalibus (Cf. Sepulvedae Vita et Scripta p. CVII) ſagt von Julius: „non ignarus, in uno Mediolano cetera oppida expugnari.“ Ganz gut druͤckt Vettori die Umwandlung des Zuſtandes aus. In Milano in facto la parte Ghibellina è superiore assai, i popoli sono sempre desiderosi di mutazioni: chi lascia la campagna e si ritira den- tro alle mura, perde di riputatione.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/280
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/280>, abgerufen am 29.11.2024.