ziehen, so wie ohne die Ceremonie der Elevation, und theilte hierauf erst das Brod, dann auch den Wein aus mit den Worten: das ist der Kelch meines Blutes des neuen und ewigen Testamentes. Er traf damit den Sinn der Ge- meine: man wagte ihm nicht zu widersprechen. Er wieder- holte seinen Ritus am Neujahrstag, den Sonntag darauf, und so weiter: auch des Freitags erschien er auf dem Pre- digtstuhl. 1
Carlstadt gehörte zu den nicht seltenen deutschen Na- turen, die mit einer angeborenen Neigung zum Tiefsinn den Muth verbinden, alles zu verwerfen was man festgesetzt hat, oder alles zu behaupten was man verwirft, ohne daß sie doch das Bedürfniß hätten, sich zu voller Klarheit und allgemein gültiger Begründung ihrer Ideen zu erheben. Carlstadt hatte sich früher den Lehrmeinungen der Schola- stiker hingegeben, dann war er von Luther zu dem Stu- dium der h. Schrift fortgerissen worden: doch hatte er nicht die Geduld gehabt wie dieser, sich der Grundsprachen zu be- mächtigen: er nahm sich die seltsamsten willkührlichsten Er- klärungen nicht übel: er gieng nur dem Zuge seiner Ge- danken nach. Merkwürdig auf welche Bahnen er gerieth. Schon als man sich zur Leipziger Disputation rüstete, äußerte er sich auf eine sehr besondre Weise über die hei- lige Schrift, auf deren Gesammtinhalt er anwandte was man sonst nur von dem Gesetz verstand: sie diene zu Über- tretung, Sünde und Tod, und gewähre nicht den wahren Trost dessen die Seele bedürfe. Im Jahr 1520 ward es
1 Zeitung aus Wittenberg wie es ao 1521 etc. sey zugangen. In Strobels Miscellaneen V, p. 121.
Drittes Buch. Erſtes Capitel.
ziehen, ſo wie ohne die Ceremonie der Elevation, und theilte hierauf erſt das Brod, dann auch den Wein aus mit den Worten: das iſt der Kelch meines Blutes des neuen und ewigen Teſtamentes. Er traf damit den Sinn der Ge- meine: man wagte ihm nicht zu widerſprechen. Er wieder- holte ſeinen Ritus am Neujahrstag, den Sonntag darauf, und ſo weiter: auch des Freitags erſchien er auf dem Pre- digtſtuhl. 1
Carlſtadt gehörte zu den nicht ſeltenen deutſchen Na- turen, die mit einer angeborenen Neigung zum Tiefſinn den Muth verbinden, alles zu verwerfen was man feſtgeſetzt hat, oder alles zu behaupten was man verwirft, ohne daß ſie doch das Bedürfniß hätten, ſich zu voller Klarheit und allgemein gültiger Begründung ihrer Ideen zu erheben. Carlſtadt hatte ſich früher den Lehrmeinungen der Schola- ſtiker hingegeben, dann war er von Luther zu dem Stu- dium der h. Schrift fortgeriſſen worden: doch hatte er nicht die Geduld gehabt wie dieſer, ſich der Grundſprachen zu be- mächtigen: er nahm ſich die ſeltſamſten willkührlichſten Er- klärungen nicht übel: er gieng nur dem Zuge ſeiner Ge- danken nach. Merkwürdig auf welche Bahnen er gerieth. Schon als man ſich zur Leipziger Disputation rüſtete, äußerte er ſich auf eine ſehr beſondre Weiſe über die hei- lige Schrift, auf deren Geſammtinhalt er anwandte was man ſonſt nur von dem Geſetz verſtand: ſie diene zu Über- tretung, Sünde und Tod, und gewähre nicht den wahren Troſt deſſen die Seele bedürfe. Im Jahr 1520 ward es
1 Zeitung aus Wittenberg wie es ao̅ 1521 etc. ſey zugangen. In Strobels Miscellaneen V, p. 121.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0028"n="18"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Drittes Buch. Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
ziehen, ſo wie ohne die Ceremonie der Elevation, und theilte<lb/>
hierauf erſt das Brod, dann auch den Wein aus mit den<lb/>
Worten: das iſt der Kelch meines Blutes des neuen und<lb/>
ewigen Teſtamentes. Er traf damit den Sinn der Ge-<lb/>
meine: man wagte ihm nicht zu widerſprechen. Er wieder-<lb/>
holte ſeinen Ritus am Neujahrstag, den Sonntag darauf,<lb/>
und ſo weiter: auch des Freitags erſchien er auf dem Pre-<lb/>
digtſtuhl. <noteplace="foot"n="1">Zeitung aus Wittenberg wie es <hirendition="#aq">ao̅ 1521 etc.</hi>ſey zugangen.<lb/>
In Strobels Miscellaneen <hirendition="#aq">V, p.</hi> 121.</note></p><lb/><p>Carlſtadt gehörte zu den nicht ſeltenen deutſchen Na-<lb/>
turen, die mit einer angeborenen Neigung zum Tiefſinn den<lb/>
Muth verbinden, alles zu verwerfen was man feſtgeſetzt<lb/>
hat, oder alles zu behaupten was man verwirft, ohne<lb/>
daß ſie doch das Bedürfniß hätten, ſich zu voller Klarheit<lb/>
und allgemein gültiger Begründung ihrer Ideen zu erheben.<lb/>
Carlſtadt hatte ſich früher den Lehrmeinungen der Schola-<lb/>ſtiker hingegeben, dann war er von Luther zu dem Stu-<lb/>
dium der h. Schrift fortgeriſſen worden: doch hatte er nicht<lb/>
die Geduld gehabt wie dieſer, ſich der Grundſprachen zu be-<lb/>
mächtigen: er nahm ſich die ſeltſamſten willkührlichſten Er-<lb/>
klärungen nicht übel: er gieng nur dem Zuge ſeiner Ge-<lb/>
danken nach. Merkwürdig auf welche Bahnen er gerieth.<lb/>
Schon als man ſich zur Leipziger Disputation rüſtete,<lb/>
äußerte er ſich auf eine ſehr beſondre Weiſe über die hei-<lb/>
lige Schrift, auf deren Geſammtinhalt er anwandte was<lb/>
man ſonſt nur von dem Geſetz verſtand: ſie diene zu Über-<lb/>
tretung, Sünde und Tod, und gewähre nicht den wahren<lb/>
Troſt deſſen die Seele bedürfe. Im Jahr 1520 ward es<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[18/0028]
Drittes Buch. Erſtes Capitel.
ziehen, ſo wie ohne die Ceremonie der Elevation, und theilte
hierauf erſt das Brod, dann auch den Wein aus mit den
Worten: das iſt der Kelch meines Blutes des neuen und
ewigen Teſtamentes. Er traf damit den Sinn der Ge-
meine: man wagte ihm nicht zu widerſprechen. Er wieder-
holte ſeinen Ritus am Neujahrstag, den Sonntag darauf,
und ſo weiter: auch des Freitags erſchien er auf dem Pre-
digtſtuhl. 1
Carlſtadt gehörte zu den nicht ſeltenen deutſchen Na-
turen, die mit einer angeborenen Neigung zum Tiefſinn den
Muth verbinden, alles zu verwerfen was man feſtgeſetzt
hat, oder alles zu behaupten was man verwirft, ohne
daß ſie doch das Bedürfniß hätten, ſich zu voller Klarheit
und allgemein gültiger Begründung ihrer Ideen zu erheben.
Carlſtadt hatte ſich früher den Lehrmeinungen der Schola-
ſtiker hingegeben, dann war er von Luther zu dem Stu-
dium der h. Schrift fortgeriſſen worden: doch hatte er nicht
die Geduld gehabt wie dieſer, ſich der Grundſprachen zu be-
mächtigen: er nahm ſich die ſeltſamſten willkührlichſten Er-
klärungen nicht übel: er gieng nur dem Zuge ſeiner Ge-
danken nach. Merkwürdig auf welche Bahnen er gerieth.
Schon als man ſich zur Leipziger Disputation rüſtete,
äußerte er ſich auf eine ſehr beſondre Weiſe über die hei-
lige Schrift, auf deren Geſammtinhalt er anwandte was
man ſonſt nur von dem Geſetz verſtand: ſie diene zu Über-
tretung, Sünde und Tod, und gewähre nicht den wahren
Troſt deſſen die Seele bedürfe. Im Jahr 1520 ward es
1 Zeitung aus Wittenberg wie es ao̅ 1521 etc. ſey zugangen.
In Strobels Miscellaneen V, p. 121.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/28>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.