Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Buch. Erstes Capitel.
Provinzen Meißen und Thüringen nach Wittenberg beru-
fen. Alle diese Augustiner waren mehr oder minder von
Luthers Meinung: sie hielten seine Sache für die ihre.
Auch in seiner Abwesenheit trafen sie, wie er später erklärt
hat, in ihrem Urtheil mit dem seinen zusammen. Sie
giengen nicht so weit, wie Frater Gabriel, die Gelübde
für sündlich zu erklären; aber sie wollten sie auch nicht
mehr für verbindlich halten. Ihre Meinung war: alle
Creatur sey dem Worte Gottes unterworfen, und brauche
sich nicht mit menschlichen Satzungen beschweren zu lassen:
Jedermann stehe frei, das Kloster zu verlassen oder darin zu
bleiben. 1 Wer da gehe, müsse nur seine Freiheit nicht
nach dem Gelüste des Fleisches mißbrauchen: wer es vor-
ziehe zu bleiben, möge auch die Kutte behalten und seinen
Obern aus Liebe Gehorsam leisten. Zugleich entschlossen
sie sich, nicht mehr zu betteln, und jene gestifteten für
Geld abzuhaltenden Messen, die Votivmessen abzuschaffen.

Indessen war auch die Universität von dem Fürsten
aufgefordert worden, ihr Urtheil über die Messe im allgemei-
nen auszusprechen. Es ward eine Commission niedergesetzt,
in der auch Melanchthon saß, und diese entschied sich
für die Abschaffung der Messe, nicht allein in Wittenberg
sondern im ganzen Lande, es möge daraus folgen was da
wolle. 2 Allein als nun die Gesammtheit der Corporation

dieß
1 Decreta Augustinianorum C. Ref. I, 456: nur ist die
Versammlung nicht in den October zu setzen, sondern eher in den
Dezember oder Anfang Januar, wie das Seckendorf (Historia Luther.
I.[s]
54 § 129) aus einem gleichzeitigen Briefe anmerkt. Vgl.
Spal. Ann. 610.
2 Ernstlich Handlung der Universität etc. C. E. I, 465.

Drittes Buch. Erſtes Capitel.
Provinzen Meißen und Thüringen nach Wittenberg beru-
fen. Alle dieſe Auguſtiner waren mehr oder minder von
Luthers Meinung: ſie hielten ſeine Sache für die ihre.
Auch in ſeiner Abweſenheit trafen ſie, wie er ſpäter erklärt
hat, in ihrem Urtheil mit dem ſeinen zuſammen. Sie
giengen nicht ſo weit, wie Frater Gabriel, die Gelübde
für ſündlich zu erklären; aber ſie wollten ſie auch nicht
mehr für verbindlich halten. Ihre Meinung war: alle
Creatur ſey dem Worte Gottes unterworfen, und brauche
ſich nicht mit menſchlichen Satzungen beſchweren zu laſſen:
Jedermann ſtehe frei, das Kloſter zu verlaſſen oder darin zu
bleiben. 1 Wer da gehe, müſſe nur ſeine Freiheit nicht
nach dem Gelüſte des Fleiſches mißbrauchen: wer es vor-
ziehe zu bleiben, möge auch die Kutte behalten und ſeinen
Obern aus Liebe Gehorſam leiſten. Zugleich entſchloſſen
ſie ſich, nicht mehr zu betteln, und jene geſtifteten für
Geld abzuhaltenden Meſſen, die Votivmeſſen abzuſchaffen.

Indeſſen war auch die Univerſität von dem Fürſten
aufgefordert worden, ihr Urtheil über die Meſſe im allgemei-
nen auszuſprechen. Es ward eine Commiſſion niedergeſetzt,
in der auch Melanchthon ſaß, und dieſe entſchied ſich
für die Abſchaffung der Meſſe, nicht allein in Wittenberg
ſondern im ganzen Lande, es möge daraus folgen was da
wolle. 2 Allein als nun die Geſammtheit der Corporation

dieß
1 Decreta Augustinianorum C. Ref. I, 456: nur iſt die
Verſammlung nicht in den October zu ſetzen, ſondern eher in den
Dezember oder Anfang Januar, wie das Seckendorf (Historia Luther.
I.[s]
54 § 129) aus einem gleichzeitigen Briefe anmerkt. Vgl.
Spal. Ann. 610.
2 Ernſtlich Handlung der Univerſitaͤt ꝛc. C. E. I, 465.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="16"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
Provinzen Meißen und Thüringen nach Wittenberg beru-<lb/>
fen. Alle die&#x017F;e Augu&#x017F;tiner waren mehr oder minder von<lb/>
Luthers Meinung: &#x017F;ie hielten &#x017F;eine Sache für die ihre.<lb/>
Auch in &#x017F;einer Abwe&#x017F;enheit trafen &#x017F;ie, wie er &#x017F;päter erklärt<lb/>
hat, in ihrem Urtheil mit dem &#x017F;einen zu&#x017F;ammen. Sie<lb/>
giengen nicht &#x017F;o weit, wie Frater Gabriel, die Gelübde<lb/>
für &#x017F;ündlich zu erklären; aber &#x017F;ie wollten &#x017F;ie auch nicht<lb/>
mehr für verbindlich halten. Ihre Meinung war: alle<lb/>
Creatur &#x017F;ey dem Worte Gottes unterworfen, und brauche<lb/>
&#x017F;ich nicht mit men&#x017F;chlichen Satzungen be&#x017F;chweren zu la&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
Jedermann &#x017F;tehe frei, das Klo&#x017F;ter zu verla&#x017F;&#x017F;en oder darin zu<lb/>
bleiben. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Decreta Augustinianorum C. Ref. I,</hi> 456: nur i&#x017F;t die<lb/>
Ver&#x017F;ammlung nicht in den October zu &#x017F;etzen, &#x017F;ondern eher in den<lb/>
Dezember oder Anfang Januar, wie das Seckendorf (<hi rendition="#aq">Historia Luther.<lb/>
I.<supplied>s</supplied></hi> 54 § 129) aus einem gleichzeitigen Briefe anmerkt. Vgl.<lb/><hi rendition="#aq">Spal. Ann.</hi> 610.</note> Wer da gehe, mü&#x017F;&#x017F;e nur &#x017F;eine Freiheit nicht<lb/>
nach dem Gelü&#x017F;te des Flei&#x017F;ches mißbrauchen: wer es vor-<lb/>
ziehe zu bleiben, möge auch die Kutte behalten und &#x017F;einen<lb/>
Obern aus Liebe Gehor&#x017F;am lei&#x017F;ten. Zugleich ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich, nicht mehr zu betteln, und jene ge&#x017F;tifteten für<lb/>
Geld abzuhaltenden Me&#x017F;&#x017F;en, die Votivme&#x017F;&#x017F;en abzu&#x017F;chaffen.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en war auch die Univer&#x017F;ität von dem Für&#x017F;ten<lb/>
aufgefordert worden, ihr Urtheil über die Me&#x017F;&#x017F;e im allgemei-<lb/>
nen auszu&#x017F;prechen. Es ward eine Commi&#x017F;&#x017F;ion niederge&#x017F;etzt,<lb/>
in der auch Melanchthon &#x017F;aß, und die&#x017F;e ent&#x017F;chied &#x017F;ich<lb/>
für die Ab&#x017F;chaffung der Me&#x017F;&#x017F;e, nicht allein in Wittenberg<lb/>
&#x017F;ondern im ganzen Lande, es möge daraus folgen was da<lb/>
wolle. <note place="foot" n="2">Ern&#x017F;tlich Handlung der Univer&#x017F;ita&#x0364;t &#xA75B;c. <hi rendition="#aq">C. E. I,</hi> 465.</note> Allein als nun die Ge&#x017F;ammtheit der Corporation<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dieß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0026] Drittes Buch. Erſtes Capitel. Provinzen Meißen und Thüringen nach Wittenberg beru- fen. Alle dieſe Auguſtiner waren mehr oder minder von Luthers Meinung: ſie hielten ſeine Sache für die ihre. Auch in ſeiner Abweſenheit trafen ſie, wie er ſpäter erklärt hat, in ihrem Urtheil mit dem ſeinen zuſammen. Sie giengen nicht ſo weit, wie Frater Gabriel, die Gelübde für ſündlich zu erklären; aber ſie wollten ſie auch nicht mehr für verbindlich halten. Ihre Meinung war: alle Creatur ſey dem Worte Gottes unterworfen, und brauche ſich nicht mit menſchlichen Satzungen beſchweren zu laſſen: Jedermann ſtehe frei, das Kloſter zu verlaſſen oder darin zu bleiben. 1 Wer da gehe, müſſe nur ſeine Freiheit nicht nach dem Gelüſte des Fleiſches mißbrauchen: wer es vor- ziehe zu bleiben, möge auch die Kutte behalten und ſeinen Obern aus Liebe Gehorſam leiſten. Zugleich entſchloſſen ſie ſich, nicht mehr zu betteln, und jene geſtifteten für Geld abzuhaltenden Meſſen, die Votivmeſſen abzuſchaffen. Indeſſen war auch die Univerſität von dem Fürſten aufgefordert worden, ihr Urtheil über die Meſſe im allgemei- nen auszuſprechen. Es ward eine Commiſſion niedergeſetzt, in der auch Melanchthon ſaß, und dieſe entſchied ſich für die Abſchaffung der Meſſe, nicht allein in Wittenberg ſondern im ganzen Lande, es möge daraus folgen was da wolle. 2 Allein als nun die Geſammtheit der Corporation dieß 1 Decreta Augustinianorum C. Ref. I, 456: nur iſt die Verſammlung nicht in den October zu ſetzen, ſondern eher in den Dezember oder Anfang Januar, wie das Seckendorf (Historia Luther. I.s 54 § 129) aus einem gleichzeitigen Briefe anmerkt. Vgl. Spal. Ann. 610. 2 Ernſtlich Handlung der Univerſitaͤt ꝛc. C. E. I, 465.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/26
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/26>, abgerufen am 22.11.2024.