Der erste Anblick zeigt, daß Deutschland jetzt in die- sem Falle war.
Die Reichsregierung, die mit so vieler Mühe zu Stande gekommen und im Allgemeinen das Vertrauen der Nation genoß, war gesprengt: was an deren Stelle getreten, war nur ein Name ein Schatten. Der Kaiser war entfernt, und in den letzten Jahren waren seine Einwirkungen nur negativer Art gewesen: er hatte nur immer das Beschlos- sene verhindert. Die beiden Hierarchien, an deren Auf- richtung die vergangenen Jahrhunderte gearbeitet, die geist- liche und die weltliche, waren in einem tiefen allgemeinen Zwiespalt. Das Verständniß der vorwaltenden Fürsten, worauf immer die Einheit des Reiches beruht hatte, war vernichtet. In der wichtigsten Angelegenheit, die jemals vorgekommen, war die Aussicht verschwunden, es zu ge- meinschaftlichen Maaßregeln zu bringen.
Das hatte nun auch auf den Gang der Meinungen eine große Rückwirkung. Bisher hatte eine Art von Ein- verständniß, über das man keine Übereinkunft zu schließen brauchte, das sich von selbst ergab, zwischen den Tendenzen der Reichsregierung und der gemäßigten Haltung welche Luther angenommen, bestanden: eben dadurch hatte man die destructiven Meinungen, die sich 1522 regten, über- winden, beseitigen können: jetzt aber, da sich nun keine Veränderung durch einen Reichsschluß weiter erwarten ließ, konnte auch Luther seine überlegene Stellung nicht mehr be- haupten, und die niedergekämpften Theorien brachen wieder hervor. In dem Gebiete seines Fürsten selbst, in dem chur- fürstlichen Sachsen, hatten sie sich Freistätten verschafft.
Bauernkrieg.
Der erſte Anblick zeigt, daß Deutſchland jetzt in die- ſem Falle war.
Die Reichsregierung, die mit ſo vieler Mühe zu Stande gekommen und im Allgemeinen das Vertrauen der Nation genoß, war geſprengt: was an deren Stelle getreten, war nur ein Name ein Schatten. Der Kaiſer war entfernt, und in den letzten Jahren waren ſeine Einwirkungen nur negativer Art geweſen: er hatte nur immer das Beſchloſ- ſene verhindert. Die beiden Hierarchien, an deren Auf- richtung die vergangenen Jahrhunderte gearbeitet, die geiſt- liche und die weltliche, waren in einem tiefen allgemeinen Zwieſpalt. Das Verſtändniß der vorwaltenden Fürſten, worauf immer die Einheit des Reiches beruht hatte, war vernichtet. In der wichtigſten Angelegenheit, die jemals vorgekommen, war die Ausſicht verſchwunden, es zu ge- meinſchaftlichen Maaßregeln zu bringen.
Das hatte nun auch auf den Gang der Meinungen eine große Rückwirkung. Bisher hatte eine Art von Ein- verſtändniß, über das man keine Übereinkunft zu ſchließen brauchte, das ſich von ſelbſt ergab, zwiſchen den Tendenzen der Reichsregierung und der gemäßigten Haltung welche Luther angenommen, beſtanden: eben dadurch hatte man die deſtructiven Meinungen, die ſich 1522 regten, über- winden, beſeitigen können: jetzt aber, da ſich nun keine Veränderung durch einen Reichsſchluß weiter erwarten ließ, konnte auch Luther ſeine überlegene Stellung nicht mehr be- haupten, und die niedergekämpften Theorien brachen wieder hervor. In dem Gebiete ſeines Fürſten ſelbſt, in dem chur- fürſtlichen Sachſen, hatten ſie ſich Freiſtätten verſchafft.
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Bauernkrieg.
Der erſte Anblick zeigt, daß Deutſchland jetzt in die-
ſem Falle war.
Die Reichsregierung, die mit ſo vieler Mühe zu Stande
gekommen und im Allgemeinen das Vertrauen der Nation
genoß, war geſprengt: was an deren Stelle getreten, war
nur ein Name ein Schatten. Der Kaiſer war entfernt,
und in den letzten Jahren waren ſeine Einwirkungen nur
negativer Art geweſen: er hatte nur immer das Beſchloſ-
ſene verhindert. Die beiden Hierarchien, an deren Auf-
richtung die vergangenen Jahrhunderte gearbeitet, die geiſt-
liche und die weltliche, waren in einem tiefen allgemeinen
Zwieſpalt. Das Verſtändniß der vorwaltenden Fürſten,
worauf immer die Einheit des Reiches beruht hatte, war
vernichtet. In der wichtigſten Angelegenheit, die jemals
vorgekommen, war die Ausſicht verſchwunden, es zu ge-
meinſchaftlichen Maaßregeln zu bringen.
Das hatte nun auch auf den Gang der Meinungen
eine große Rückwirkung. Bisher hatte eine Art von Ein-
verſtändniß, über das man keine Übereinkunft zu ſchließen
brauchte, das ſich von ſelbſt ergab, zwiſchen den Tendenzen
der Reichsregierung und der gemäßigten Haltung welche
Luther angenommen, beſtanden: eben dadurch hatte man
die deſtructiven Meinungen, die ſich 1522 regten, über-
winden, beſeitigen können: jetzt aber, da ſich nun keine
Veränderung durch einen Reichsſchluß weiter erwarten ließ,
konnte auch Luther ſeine überlegene Stellung nicht mehr be-
haupten, und die niedergekämpften Theorien brachen wieder
hervor. In dem Gebiete ſeines Fürſten ſelbſt, in dem chur-
fürſtlichen Sachſen, hatten ſie ſich Freiſtätten verſchafft.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/193>, abgerufen am 27.11.2024.
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