in der Nation fühlte, womit man beschäftigt war: der deutsche Geist war sich bewußt, daß die Zeit seiner Reife gekommen: er widersetzte sich der unbedingten Alleingültig- keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie sie denn die ganze Welt beherrschten, und kehrte zurück zu den einzigen ächten Quellen religiöser Belehrung. 1
Bei dieser großen Bewegung, diesem starken Gefühl des Kampfes ist es doppelt merkwürdig wie sehr man doch zugleich an sich hielt, wie behutsam man in vielen Stücken zu Werke gieng.
Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die Kirche, in der er schon eine unsichtbare Gemeinschaft sieht, den Schatz der Verdienste Jesu Christi, Mariä und aller Auserwählten besitze.
Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her seine Augsburger Freunde ermahnt, sich das neue Testa- ment anzuschaffen, selbst wenn sie sich den Preis an Klei- dung oder Nahrung absparen müßten, erinnert er sie doch zugleich, sich nicht zu rasch zur Verwerfung der her- kömmlichen Meinungen fortreißen zu lassen: es sey vieles was Gott in seinem Geheimniß sich vorbehalten, wonach man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das, was einen klaren Spruch der Schrift gegen sich habe.
Es war von einem jungen böhmischen Gelehrten mit einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor- den, ob Petrus je in Rom gewesen; und auf der katholi-
schen
1 Sermon von der Kirche; gleich im Anfang.
Drittes Buch. Drittes Capitel.
in der Nation fühlte, womit man beſchäftigt war: der deutſche Geiſt war ſich bewußt, daß die Zeit ſeiner Reife gekommen: er widerſetzte ſich der unbedingten Alleingültig- keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie ſie denn die ganze Welt beherrſchten, und kehrte zurück zu den einzigen ächten Quellen religiöſer Belehrung. 1
Bei dieſer großen Bewegung, dieſem ſtarken Gefühl des Kampfes iſt es doppelt merkwürdig wie ſehr man doch zugleich an ſich hielt, wie behutſam man in vielen Stücken zu Werke gieng.
Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die Kirche, in der er ſchon eine unſichtbare Gemeinſchaft ſieht, den Schatz der Verdienſte Jeſu Chriſti, Mariä und aller Auserwählten beſitze.
Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her ſeine Augsburger Freunde ermahnt, ſich das neue Teſta- ment anzuſchaffen, ſelbſt wenn ſie ſich den Preis an Klei- dung oder Nahrung abſparen müßten, erinnert er ſie doch zugleich, ſich nicht zu raſch zur Verwerfung der her- kömmlichen Meinungen fortreißen zu laſſen: es ſey vieles was Gott in ſeinem Geheimniß ſich vorbehalten, wonach man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das, was einen klaren Spruch der Schrift gegen ſich habe.
Es war von einem jungen böhmiſchen Gelehrten mit einer ganzen Reihe von Gründen in Zweifel gezogen wor- den, ob Petrus je in Rom geweſen; und auf der katholi-
ſchen
1 Sermon von der Kirche; gleich im Anfang.
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Drittes Buch. Drittes Capitel.
in der Nation fühlte, womit man beſchäftigt war: der
deutſche Geiſt war ſich bewußt, daß die Zeit ſeiner Reife
gekommen: er widerſetzte ſich der unbedingten Alleingültig-
keit zufälliger Formen, die man ihm auferlegt, wie ſie
denn die ganze Welt beherrſchten, und kehrte zurück zu den
einzigen ächten Quellen religiöſer Belehrung. 1
Bei dieſer großen Bewegung, dieſem ſtarken Gefühl
des Kampfes iſt es doppelt merkwürdig wie ſehr man
doch zugleich an ſich hielt, wie behutſam man in vielen
Stücken zu Werke gieng.
Heinrich von Kettenbach nimmt noch an, daß die
Kirche, in der er ſchon eine unſichtbare Gemeinſchaft ſieht,
den Schatz der Verdienſte Jeſu Chriſti, Mariä und aller
Auserwählten beſitze.
Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her
ſeine Augsburger Freunde ermahnt, ſich das neue Teſta-
ment anzuſchaffen, ſelbſt wenn ſie ſich den Preis an Klei-
dung oder Nahrung abſparen müßten, erinnert er ſie
doch zugleich, ſich nicht zu raſch zur Verwerfung der her-
kömmlichen Meinungen fortreißen zu laſſen: es ſey vieles
was Gott in ſeinem Geheimniß ſich vorbehalten, wonach
man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder
die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwerfe nur das,
was einen klaren Spruch der Schrift gegen ſich habe.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/106>, abgerufen am 17.02.2025.
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