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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Idee des spätern Kaiserthums.
betrachtet werden müsse. 1 Die Engländer suchten nach-
zuweisen, daß sie seit Einführung des Christenthums nicht
unter dem Reich gestanden. 2 Die Deutschen dagegen tha-
ten nicht allein, was auch die Andern zu thun schuldig
gewesen wären: und erkannten das heilige Reich an; sondern
sie hatten die Befugniß an sich gebracht demselben sein Ober-
haupt zu geben, und man hegte die sonderbare Meinung,
die Churfürsten seyen in die Rechte des römischen Senates
und Volkes getreten. So drückten sie sich in dem dreizehn-
ten Jahrhundert selbst einmal aus. "Wir, sagen sie, die
wir des römischen Senates Stelle einnehmen, die wir als
die Väter und die Leuchten des Reiches gelten." 3 In dem
funfzehnten Jahrhundert wiederholte man diese Meinung. 4
Wenn die Churfürsten zur Wahl schritten, so schwuren sie
"nach bester Vernunft küren zu wollen das weltlich Haupt
christlichem Volk; d. i. einen römischen König und künfti-

1 Petrus de Andlo de romano imperio; ein Buch das zwar
nicht für den wirklichen Zustand von Deutschland, aber für die Ideen
jener Zeit von Bedeutung ist. Es ist abgefaßt zwischen 1456, wel-
ches Jahr ausdrücklich erwähnt wird, und 1459, in welchem Died-
rich von Mainz starb, dessen hier gedacht wird. Da heißt es II,
c. VIII. Hodie plurimi reges plus de facto quam de jure
imperatorem in superiorem non recognoscunt et suprema jura im-
perii usurpant.
2 Cuthbert Tunstall to King Henry VIII 1517 12 Febr. bei
Ellis Letters Series I, tom. I, p. 136. Your Grace is not nor
never sithen the Christen faith the Kings of England wer sub-
giet to th'Empire, but the crown of England is an Empire of
hitfelf, mych bettyr than now the Empire of Rome: for which
cause your Grace werith a close crown.
3 Conradi IV electio 1237, bei Pertz IV, 322.
4 P. de Andlo II, III. Isti principes electores successe-
runt in locnm senatus populique romani.

Idee des ſpaͤtern Kaiſerthums.
betrachtet werden müſſe. 1 Die Engländer ſuchten nach-
zuweiſen, daß ſie ſeit Einführung des Chriſtenthums nicht
unter dem Reich geſtanden. 2 Die Deutſchen dagegen tha-
ten nicht allein, was auch die Andern zu thun ſchuldig
geweſen wären: und erkannten das heilige Reich an; ſondern
ſie hatten die Befugniß an ſich gebracht demſelben ſein Ober-
haupt zu geben, und man hegte die ſonderbare Meinung,
die Churfürſten ſeyen in die Rechte des römiſchen Senates
und Volkes getreten. So drückten ſie ſich in dem dreizehn-
ten Jahrhundert ſelbſt einmal aus. „Wir, ſagen ſie, die
wir des römiſchen Senates Stelle einnehmen, die wir als
die Väter und die Leuchten des Reiches gelten.“ 3 In dem
funfzehnten Jahrhundert wiederholte man dieſe Meinung. 4
Wenn die Churfürſten zur Wahl ſchritten, ſo ſchwuren ſie
„nach beſter Vernunft küren zu wollen das weltlich Haupt
chriſtlichem Volk; d. i. einen römiſchen König und künfti-

1 Petrus de Andlo de romano imperio; ein Buch das zwar
nicht fuͤr den wirklichen Zuſtand von Deutſchland, aber fuͤr die Ideen
jener Zeit von Bedeutung iſt. Es iſt abgefaßt zwiſchen 1456, wel-
ches Jahr ausdruͤcklich erwaͤhnt wird, und 1459, in welchem Died-
rich von Mainz ſtarb, deſſen hier gedacht wird. Da heißt es II,
c. VIII. Hodie plurimi reges plus de facto quam de jure
imperatorem in superiorem non recognoscunt et suprema jura im-
perii usurpant.
2 Cuthbert Tunstall to King Henry VIII 1517 12 Febr. bei
Ellis Letters Series I, tom. I, p. 136. Your Grace is not nor
never sithen the Christen faith the Kings of England wer sub-
giet to th’Empire, but the crown of England is an Empire of
hitfelf, mych bettyr than now the Empire of Rome: for which
cause your Grace werith a close crown.
3 Conradi IV electio 1237, bei Pertz IV, 322.
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runt in locnm senatus populique romani.
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[55/0073] Idee des ſpaͤtern Kaiſerthums. betrachtet werden müſſe. 1 Die Engländer ſuchten nach- zuweiſen, daß ſie ſeit Einführung des Chriſtenthums nicht unter dem Reich geſtanden. 2 Die Deutſchen dagegen tha- ten nicht allein, was auch die Andern zu thun ſchuldig geweſen wären: und erkannten das heilige Reich an; ſondern ſie hatten die Befugniß an ſich gebracht demſelben ſein Ober- haupt zu geben, und man hegte die ſonderbare Meinung, die Churfürſten ſeyen in die Rechte des römiſchen Senates und Volkes getreten. So drückten ſie ſich in dem dreizehn- ten Jahrhundert ſelbſt einmal aus. „Wir, ſagen ſie, die wir des römiſchen Senates Stelle einnehmen, die wir als die Väter und die Leuchten des Reiches gelten.“ 3 In dem funfzehnten Jahrhundert wiederholte man dieſe Meinung. 4 Wenn die Churfürſten zur Wahl ſchritten, ſo ſchwuren ſie „nach beſter Vernunft küren zu wollen das weltlich Haupt chriſtlichem Volk; d. i. einen römiſchen König und künfti- 1 Petrus de Andlo de romano imperio; ein Buch das zwar nicht fuͤr den wirklichen Zuſtand von Deutſchland, aber fuͤr die Ideen jener Zeit von Bedeutung iſt. Es iſt abgefaßt zwiſchen 1456, wel- ches Jahr ausdruͤcklich erwaͤhnt wird, und 1459, in welchem Died- rich von Mainz ſtarb, deſſen hier gedacht wird. Da heißt es II, c. VIII. Hodie plurimi reges plus de facto quam de jure imperatorem in superiorem non recognoscunt et suprema jura im- perii usurpant. 2 Cuthbert Tunstall to King Henry VIII 1517 12 Febr. bei Ellis Letters Series I, tom. I, p. 136. Your Grace is not nor never sithen the Christen faith the Kings of England wer sub- giet to th’Empire, but the crown of England is an Empire of hitfelf, mych bettyr than now the Empire of Rome: for which cause your Grace werith a close crown. 3 Conradi IV electio 1237, bei Pertz IV, 322. 4 P. de Andlo II, III. Isti principes electores successe- runt in locnm senatus populique romani.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/73>, abgerufen am 24.11.2024.