Ende des dreizehnten, im Anfang des 14ten Jahrhunderts wählte man diese Oberhäupter fast methodisch aus ver- schiednen Häusern. Unbewußt oder bewußt hatte man die Maxime, jeder eben begonnenen Consolidation wieder eine neue Berechtigung auf einer andern Seite entgegenzusetzen; wie der schon ganz bedeutenden Macht von Böhmen das habsburgische Haus, und diesem dann wieder bald Nassau, bald Luxenburg, oder Baiern: zu mehr als vorübergehen- der Bedeutung konnte keins gelangen. Allein dabei kam auch kein andres Geschlecht zu selbständiger Haltung: das geistliche Fürstenthum, welches vorzugsweise die allgemei- nen Geschäfte führte, bedeutete fast mehr als das weltliche.
Um so mächtiger ward dann das Papstthum, von dem die geistlichen Fürsten abhiengen: zu dem auch die weltlichen eine sehr untergeordnete Stellung annahmen. Was soll man sagen, wenn sie im dreizehnten Jahrhun- dert einmal erklären, die römische Kirche habe sie in Deutsch- land gepflanzt, und mit ihrer Gnade gepflegt und empor- gebracht. 1 Der päpstliche Stuhl hatte den deutschen Für- sten wenigstens eben so viel zu verdanken wie diese ihm: aber er hütete sich wohl davon zu sprechen: Niemand mochte ihn daran erinnern. Seinen Siegen über das Kaiserthum waren andre über andre weltliche Gewalten zur Seite ge- gangen. Es besaß nun fast unbestritten die oberste Hoheit in Europa. Jene Plane, die schon im 9ten Jahrhundert hervorzutreten begonnen, die das elfte wieder aufgenom- men, waren im dreizehnten zu ihrem Ziele gediehen.
1Tractatus cum Nicolao III Papa 1279. Romana ecclesia Germaniam decoravit plantans in ea principes tanquam arbores electas. Monum. IV, 421.
Einleitung,
Ende des dreizehnten, im Anfang des 14ten Jahrhunderts wählte man dieſe Oberhäupter faſt methodiſch aus ver- ſchiednen Häuſern. Unbewußt oder bewußt hatte man die Maxime, jeder eben begonnenen Conſolidation wieder eine neue Berechtigung auf einer andern Seite entgegenzuſetzen; wie der ſchon ganz bedeutenden Macht von Böhmen das habsburgiſche Haus, und dieſem dann wieder bald Naſſau, bald Luxenburg, oder Baiern: zu mehr als vorübergehen- der Bedeutung konnte keins gelangen. Allein dabei kam auch kein andres Geſchlecht zu ſelbſtändiger Haltung: das geiſtliche Fürſtenthum, welches vorzugsweiſe die allgemei- nen Geſchäfte führte, bedeutete faſt mehr als das weltliche.
Um ſo mächtiger ward dann das Papſtthum, von dem die geiſtlichen Fürſten abhiengen: zu dem auch die weltlichen eine ſehr untergeordnete Stellung annahmen. Was ſoll man ſagen, wenn ſie im dreizehnten Jahrhun- dert einmal erklären, die römiſche Kirche habe ſie in Deutſch- land gepflanzt, und mit ihrer Gnade gepflegt und empor- gebracht. 1 Der päpſtliche Stuhl hatte den deutſchen Für- ſten wenigſtens eben ſo viel zu verdanken wie dieſe ihm: aber er hütete ſich wohl davon zu ſprechen: Niemand mochte ihn daran erinnern. Seinen Siegen über das Kaiſerthum waren andre über andre weltliche Gewalten zur Seite ge- gangen. Es beſaß nun faſt unbeſtritten die oberſte Hoheit in Europa. Jene Plane, die ſchon im 9ten Jahrhundert hervorzutreten begonnen, die das elfte wieder aufgenom- men, waren im dreizehnten zu ihrem Ziele gediehen.
1Tractatus cum Nicolao III Papa 1279. Romana ecclesia Germaniam decoravit plantans in ea principes tanquam arbores electas. Monum. IV, 421.
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Einleitung,
Ende des dreizehnten, im Anfang des 14ten Jahrhunderts
wählte man dieſe Oberhäupter faſt methodiſch aus ver-
ſchiednen Häuſern. Unbewußt oder bewußt hatte man die
Maxime, jeder eben begonnenen Conſolidation wieder eine
neue Berechtigung auf einer andern Seite entgegenzuſetzen;
wie der ſchon ganz bedeutenden Macht von Böhmen das
habsburgiſche Haus, und dieſem dann wieder bald Naſſau,
bald Luxenburg, oder Baiern: zu mehr als vorübergehen-
der Bedeutung konnte keins gelangen. Allein dabei kam
auch kein andres Geſchlecht zu ſelbſtändiger Haltung: das
geiſtliche Fürſtenthum, welches vorzugsweiſe die allgemei-
nen Geſchäfte führte, bedeutete faſt mehr als das weltliche.
Um ſo mächtiger ward dann das Papſtthum, von
dem die geiſtlichen Fürſten abhiengen: zu dem auch die
weltlichen eine ſehr untergeordnete Stellung annahmen.
Was ſoll man ſagen, wenn ſie im dreizehnten Jahrhun-
dert einmal erklären, die römiſche Kirche habe ſie in Deutſch-
land gepflanzt, und mit ihrer Gnade gepflegt und empor-
gebracht. 1 Der päpſtliche Stuhl hatte den deutſchen Für-
ſten wenigſtens eben ſo viel zu verdanken wie dieſe ihm:
aber er hütete ſich wohl davon zu ſprechen: Niemand mochte
ihn daran erinnern. Seinen Siegen über das Kaiſerthum
waren andre über andre weltliche Gewalten zur Seite ge-
gangen. Es beſaß nun faſt unbeſtritten die oberſte Hoheit
in Europa. Jene Plane, die ſchon im 9ten Jahrhundert
hervorzutreten begonnen, die das elfte wieder aufgenom-
men, waren im dreizehnten zu ihrem Ziele gediehen.
1 Tractatus cum Nicolao III Papa 1279. Romana ecclesia
Germaniam decoravit plantans in ea principes tanquam arbores
electas. Monum. IV, 421.
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/60>, abgerufen am 15.08.2024.
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