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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Einleitung.

Die weltlichen Großen von Deutschland hatten sich
einst dem geistlichen Prinzip, um ihr Oberhaupt her, am
meisten entgegengesetzt: sie hatten das Kaiserthum aufge-
richtet und es mit seiner Macht bekleidet; aber ihnen selbst
war diese Macht zuletzt wieder zu schwer geworden: eben
das Gewicht der kaiserlichen Oberherrschaft über die Geist-
lichkeit, welche dazu benutzt ward sie zu erdrücken, bekamen
sie am meisten zu empfinden; es erfolgte, daß sie in der
Emancipation des Papstthums am Ende ihren eigenen Vor-
theil sahen.

Bemerken wir, daß sich das deutsche Fürstenthum und
das Papstthum in parallelem Stufengange erhoben.

Unter Heinrich III, und während jener Vormundschaft,
hatten sie beide den Grund ihrer Unabhängigkeit gelegt: mit
einander begannen sie ihre Unternehmung. Kaum hatte Gre-
gor VII die ersten Grundsätze seines neuen Systems aufge-
stellt, so sprachen sie auch den ihren aus, den Grundsatz daß
das Reich in Zukunft nicht mehr erblich seyn solle. Wenn
Heinrich IV sich behauptete, so geschah es hauptsächlich
dadurch, weil er ihre Ansprüche, die er im Ganzen bestritt,
im Einzelnen anerkannte: seine Siege konnten so wenig die
Fortschritte ihrer Selbständigkeit aufhalten wie die der Hie-
rarchie: schon unter Heinrich V kam es so weit, daß man
die Einheit des Reiches mehr in ihrer Gesammtheit erblickte
als in der kaiserlichen Person selbst. Denn was will es
anders bedeuten, wenn dieser Fürst selbst einmal erklärt,
es liege weniger daran, daß das Oberhaupt verunglimpft
werde, als daß man den Fürsten zu nahe trete? 1 So

1 Unius capitis licet summi dejectio reparabile dampnum
Einleitung.

Die weltlichen Großen von Deutſchland hatten ſich
einſt dem geiſtlichen Prinzip, um ihr Oberhaupt her, am
meiſten entgegengeſetzt: ſie hatten das Kaiſerthum aufge-
richtet und es mit ſeiner Macht bekleidet; aber ihnen ſelbſt
war dieſe Macht zuletzt wieder zu ſchwer geworden: eben
das Gewicht der kaiſerlichen Oberherrſchaft über die Geiſt-
lichkeit, welche dazu benutzt ward ſie zu erdrücken, bekamen
ſie am meiſten zu empfinden; es erfolgte, daß ſie in der
Emancipation des Papſtthums am Ende ihren eigenen Vor-
theil ſahen.

Bemerken wir, daß ſich das deutſche Fürſtenthum und
das Papſtthum in parallelem Stufengange erhoben.

Unter Heinrich III, und während jener Vormundſchaft,
hatten ſie beide den Grund ihrer Unabhängigkeit gelegt: mit
einander begannen ſie ihre Unternehmung. Kaum hatte Gre-
gor VII die erſten Grundſätze ſeines neuen Syſtems aufge-
ſtellt, ſo ſprachen ſie auch den ihren aus, den Grundſatz daß
das Reich in Zukunft nicht mehr erblich ſeyn ſolle. Wenn
Heinrich IV ſich behauptete, ſo geſchah es hauptſächlich
dadurch, weil er ihre Anſprüche, die er im Ganzen beſtritt,
im Einzelnen anerkannte: ſeine Siege konnten ſo wenig die
Fortſchritte ihrer Selbſtändigkeit aufhalten wie die der Hie-
rarchie: ſchon unter Heinrich V kam es ſo weit, daß man
die Einheit des Reiches mehr in ihrer Geſammtheit erblickte
als in der kaiſerlichen Perſon ſelbſt. Denn was will es
anders bedeuten, wenn dieſer Fürſt ſelbſt einmal erklärt,
es liege weniger daran, daß das Oberhaupt verunglimpft
werde, als daß man den Fürſten zu nahe trete? 1 So

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[36/0054] Einleitung. Die weltlichen Großen von Deutſchland hatten ſich einſt dem geiſtlichen Prinzip, um ihr Oberhaupt her, am meiſten entgegengeſetzt: ſie hatten das Kaiſerthum aufge- richtet und es mit ſeiner Macht bekleidet; aber ihnen ſelbſt war dieſe Macht zuletzt wieder zu ſchwer geworden: eben das Gewicht der kaiſerlichen Oberherrſchaft über die Geiſt- lichkeit, welche dazu benutzt ward ſie zu erdrücken, bekamen ſie am meiſten zu empfinden; es erfolgte, daß ſie in der Emancipation des Papſtthums am Ende ihren eigenen Vor- theil ſahen. Bemerken wir, daß ſich das deutſche Fürſtenthum und das Papſtthum in parallelem Stufengange erhoben. Unter Heinrich III, und während jener Vormundſchaft, hatten ſie beide den Grund ihrer Unabhängigkeit gelegt: mit einander begannen ſie ihre Unternehmung. Kaum hatte Gre- gor VII die erſten Grundſätze ſeines neuen Syſtems aufge- ſtellt, ſo ſprachen ſie auch den ihren aus, den Grundſatz daß das Reich in Zukunft nicht mehr erblich ſeyn ſolle. Wenn Heinrich IV ſich behauptete, ſo geſchah es hauptſächlich dadurch, weil er ihre Anſprüche, die er im Ganzen beſtritt, im Einzelnen anerkannte: ſeine Siege konnten ſo wenig die Fortſchritte ihrer Selbſtändigkeit aufhalten wie die der Hie- rarchie: ſchon unter Heinrich V kam es ſo weit, daß man die Einheit des Reiches mehr in ihrer Geſammtheit erblickte als in der kaiſerlichen Perſon ſelbſt. Denn was will es anders bedeuten, wenn dieſer Fürſt ſelbſt einmal erklärt, es liege weniger daran, daß das Oberhaupt verunglimpft werde, als daß man den Fürſten zu nahe trete? 1 So 1 Unius capitis licet summi dejectio reparabile dampnum

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/54>, abgerufen am 24.11.2024.