Bei den übrigen Bestimmungen hatte er Deutschland, sein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Interesse seiner Verwandtschaft im Auge behalten können: die luthe- rische Bewegung war dagegen so weitaussehend, daß sie so- gleich die wichtigsten auswärtigen Verhältnisse berührte.
Carl V war ein Kind und Zögling jenes burgundi- schen Hofes, der sich hauptsächlich aus französischen Ele- menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen zusammengesetzt und der Weltstellung dieser Fürsten gemäß seine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem Katholischen und dem Kaiser Maximilian gegenüber hatte dieser Hof sein[e] Gesichtspuncte selbständig, mit dem ersten nicht selten in offener Feindseligkeit, festgehalten und ver- folgt. Die Aussichten die unter Carl dem Kühnen ins Auge gefaßt, unter Philipp I eröffnet worden, schienen sich durch die Stellung und die Rechte Carls V vollenden zu müssen. Der Hof von Brüssel, der nicht einmal eigentlich souverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, sah sich kraft der Erbrechte seines Fürsten berufen, die größte Rolle in Europa zu spielen. Es kam ihm wie sich ver- steht zunächst alles darauf an sich in Besitz zu setzen.
In dieser Absicht war die niederländische Politik durch die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf das umsichtigste und glücklichste geleitet worden. Man hatte die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be- setzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des Hauses und die engsten Verhältnisse zu Lüttich und Cleve gesichert. Man hatte die Kronen von Castilien und Ara- gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Besitz ge-
Zweites Buch. Viertes Capitel.
Bei den übrigen Beſtimmungen hatte er Deutſchland, ſein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Intereſſe ſeiner Verwandtſchaft im Auge behalten können: die luthe- riſche Bewegung war dagegen ſo weitausſehend, daß ſie ſo- gleich die wichtigſten auswärtigen Verhältniſſe berührte.
Carl V war ein Kind und Zögling jenes burgundi- ſchen Hofes, der ſich hauptſächlich aus franzöſiſchen Ele- menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen zuſammengeſetzt und der Weltſtellung dieſer Fürſten gemäß ſeine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem Katholiſchen und dem Kaiſer Maximilian gegenüber hatte dieſer Hof ſein[e] Geſichtspuncte ſelbſtändig, mit dem erſten nicht ſelten in offener Feindſeligkeit, feſtgehalten und ver- folgt. Die Ausſichten die unter Carl dem Kühnen ins Auge gefaßt, unter Philipp I eröffnet worden, ſchienen ſich durch die Stellung und die Rechte Carls V vollenden zu müſſen. Der Hof von Brüſſel, der nicht einmal eigentlich ſouverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, ſah ſich kraft der Erbrechte ſeines Fürſten berufen, die größte Rolle in Europa zu ſpielen. Es kam ihm wie ſich ver- ſteht zunächſt alles darauf an ſich in Beſitz zu ſetzen.
In dieſer Abſicht war die niederländiſche Politik durch die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf das umſichtigſte und glücklichſte geleitet worden. Man hatte die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be- ſetzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des Hauſes und die engſten Verhältniſſe zu Lüttich und Cleve geſichert. Man hatte die Kronen von Caſtilien und Ara- gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Beſitz ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0484"n="466"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweites Buch. Viertes Capitel</hi>.</fw><lb/><p>Bei den übrigen Beſtimmungen hatte er Deutſchland,<lb/>ſein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Intereſſe<lb/>ſeiner Verwandtſchaft im Auge behalten können: die luthe-<lb/>
riſche Bewegung war dagegen ſo weitausſehend, daß ſie ſo-<lb/>
gleich die wichtigſten auswärtigen Verhältniſſe berührte.</p><lb/><p>Carl <hirendition="#aq">V</hi> war ein Kind und Zögling jenes burgundi-<lb/>ſchen Hofes, der ſich hauptſächlich aus franzöſiſchen Ele-<lb/>
menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen<lb/>
zuſammengeſetzt und der Weltſtellung dieſer Fürſten gemäß<lb/>ſeine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem<lb/>
Katholiſchen und dem Kaiſer Maximilian gegenüber hatte<lb/>
dieſer Hof ſein<supplied>e</supplied> Geſichtspuncte ſelbſtändig, mit dem erſten<lb/>
nicht ſelten in offener Feindſeligkeit, feſtgehalten und ver-<lb/>
folgt. Die Ausſichten die unter Carl dem Kühnen ins<lb/>
Auge gefaßt, unter Philipp <hirendition="#aq">I</hi> eröffnet worden, ſchienen ſich<lb/>
durch die Stellung und die Rechte Carls <hirendition="#aq">V</hi> vollenden zu<lb/>
müſſen. Der Hof von Brüſſel, der nicht einmal eigentlich<lb/>ſouverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, ſah<lb/>ſich kraft der Erbrechte ſeines Fürſten berufen, die größte<lb/>
Rolle in Europa zu ſpielen. Es kam ihm wie ſich ver-<lb/>ſteht zunächſt alles darauf an ſich in Beſitz zu ſetzen.</p><lb/><p>In dieſer Abſicht war die niederländiſche Politik durch<lb/>
die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf<lb/>
das umſichtigſte und glücklichſte geleitet worden. Man hatte<lb/>
die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be-<lb/>ſetzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des<lb/>
Hauſes und die engſten Verhältniſſe zu Lüttich und Cleve<lb/>
geſichert. Man hatte die Kronen von Caſtilien und Ara-<lb/>
gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Beſitz ge-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[466/0484]
Zweites Buch. Viertes Capitel.
Bei den übrigen Beſtimmungen hatte er Deutſchland,
ſein Verhältniß zu dem Innern des Reiches, das Intereſſe
ſeiner Verwandtſchaft im Auge behalten können: die luthe-
riſche Bewegung war dagegen ſo weitausſehend, daß ſie ſo-
gleich die wichtigſten auswärtigen Verhältniſſe berührte.
Carl V war ein Kind und Zögling jenes burgundi-
ſchen Hofes, der ſich hauptſächlich aus franzöſiſchen Ele-
menten unter Philipp dem Guten und Carl dem Kühnen
zuſammengeſetzt und der Weltſtellung dieſer Fürſten gemäß
ſeine eigene Politik entwickelt hatte. Auch Ferdinand dem
Katholiſchen und dem Kaiſer Maximilian gegenüber hatte
dieſer Hof ſeine Geſichtspuncte ſelbſtändig, mit dem erſten
nicht ſelten in offener Feindſeligkeit, feſtgehalten und ver-
folgt. Die Ausſichten die unter Carl dem Kühnen ins
Auge gefaßt, unter Philipp I eröffnet worden, ſchienen ſich
durch die Stellung und die Rechte Carls V vollenden zu
müſſen. Der Hof von Brüſſel, der nicht einmal eigentlich
ſouverän war und über keine bedeutenden Kräfte gebot, ſah
ſich kraft der Erbrechte ſeines Fürſten berufen, die größte
Rolle in Europa zu ſpielen. Es kam ihm wie ſich ver-
ſteht zunächſt alles darauf an ſich in Beſitz zu ſetzen.
In dieſer Abſicht war die niederländiſche Politik durch
die Erzherzogin Margaretha und Herrn von Chievres auf
das umſichtigſte und glücklichſte geleitet worden. Man hatte
die Niederlande durch Friesland erweitert, durch die Be-
ſetzung des Bisthums Utrecht mit einem Verwandten des
Hauſes und die engſten Verhältniſſe zu Lüttich und Cleve
geſichert. Man hatte die Kronen von Caſtilien und Ara-
gon mit allen dazu gehörigen Nebenländern in Beſitz ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/484>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.