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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Reichstag zu Worms 1521.
einen Fürsten zu haben, als darin, daß die Mannichfal-
tigkeit ihrer Bestrebungen sich in einem individuellen Be-
wußtseyn vereinige und ausgleiche, Ein Wille zugleich der
allgemeine sey, das vielstimmige Begehren in Einer Brust zu
dem Entschluß reife, der den Widerspruch ausschließt. Darin
besteht auch das Geheimniß der Macht: sie wird erst dann
zum Gebrauch ihrer gesammten Hülfsquellen gelangen, wenn
alle Kräfte dem Gebote freiwillig Folge leisten.

Darauf kam es nun an, ob Carl den Sinn und das
Bedürfniß seiner Nation verstehen, ihren vollen Gehorsam
zu erwecken vermögen würde.

Im October 1520 zog er von den Niederlanden zu
seiner Krönung nach Aachen. Ein junger Mensch von
20 Jahren, noch in seiner Entwickelung begriffen, der es
jetzt so weit gebracht, daß er gut zu Pferde saß und seine
Lanze so gut brach wie ein Anderer, aber noch von schwan-
kender Gesundheit, melancholisch und blaß: ernsthaft, wie-
wohl mit dem Ausdruck des Wohlwollens: noch gab er
wenig Proben von Geist: die Geschäfte überließ er An-
dern. Die Summe derselben lag in den Händen des Ober-
kammerherrn, Wilhelm von Croi, Herrn von Chievres: der
besaß, wie man sich ausdrückte, eine unbedingte Autorität
über Finanzen, Hof und Staat. Der Minister war so
gemäßigt wie sein Herr, der sich nach ihm gebildet haben
mag: seine Art zu hören und zu antworten befriedigte Je-
dermann: er ließ nichts als Gedanken des Friedens und
des Rechtes von sich vernehmen. 1


1 Relatione di Francesco Corner venuto orator di la Cesa e
catolica Mta 6 Zugno
1521. Chevres: zentilhuomo per esser il se-
Ranke d. Gesch. I. 29

Reichstag zu Worms 1521.
einen Fürſten zu haben, als darin, daß die Mannichfal-
tigkeit ihrer Beſtrebungen ſich in einem individuellen Be-
wußtſeyn vereinige und ausgleiche, Ein Wille zugleich der
allgemeine ſey, das vielſtimmige Begehren in Einer Bruſt zu
dem Entſchluß reife, der den Widerſpruch ausſchließt. Darin
beſteht auch das Geheimniß der Macht: ſie wird erſt dann
zum Gebrauch ihrer geſammten Hülfsquellen gelangen, wenn
alle Kräfte dem Gebote freiwillig Folge leiſten.

Darauf kam es nun an, ob Carl den Sinn und das
Bedürfniß ſeiner Nation verſtehen, ihren vollen Gehorſam
zu erwecken vermögen würde.

Im October 1520 zog er von den Niederlanden zu
ſeiner Krönung nach Aachen. Ein junger Menſch von
20 Jahren, noch in ſeiner Entwickelung begriffen, der es
jetzt ſo weit gebracht, daß er gut zu Pferde ſaß und ſeine
Lanze ſo gut brach wie ein Anderer, aber noch von ſchwan-
kender Geſundheit, melancholiſch und blaß: ernſthaft, wie-
wohl mit dem Ausdruck des Wohlwollens: noch gab er
wenig Proben von Geiſt: die Geſchäfte überließ er An-
dern. Die Summe derſelben lag in den Händen des Ober-
kammerherrn, Wilhelm von Croi, Herrn von Chievres: der
beſaß, wie man ſich ausdrückte, eine unbedingte Autorität
über Finanzen, Hof und Staat. Der Miniſter war ſo
gemäßigt wie ſein Herr, der ſich nach ihm gebildet haben
mag: ſeine Art zu hören und zu antworten befriedigte Je-
dermann: er ließ nichts als Gedanken des Friedens und
des Rechtes von ſich vernehmen. 1


1 Relatione di Francesco Corner venuto orator di la Cesa e
catolica M 6 Zugno
1521. Chevres: zentilhuomo per esser il se-
Ranke d. Geſch. I. 29
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[449/0467] Reichstag zu Worms 1521. einen Fürſten zu haben, als darin, daß die Mannichfal- tigkeit ihrer Beſtrebungen ſich in einem individuellen Be- wußtſeyn vereinige und ausgleiche, Ein Wille zugleich der allgemeine ſey, das vielſtimmige Begehren in Einer Bruſt zu dem Entſchluß reife, der den Widerſpruch ausſchließt. Darin beſteht auch das Geheimniß der Macht: ſie wird erſt dann zum Gebrauch ihrer geſammten Hülfsquellen gelangen, wenn alle Kräfte dem Gebote freiwillig Folge leiſten. Darauf kam es nun an, ob Carl den Sinn und das Bedürfniß ſeiner Nation verſtehen, ihren vollen Gehorſam zu erwecken vermögen würde. Im October 1520 zog er von den Niederlanden zu ſeiner Krönung nach Aachen. Ein junger Menſch von 20 Jahren, noch in ſeiner Entwickelung begriffen, der es jetzt ſo weit gebracht, daß er gut zu Pferde ſaß und ſeine Lanze ſo gut brach wie ein Anderer, aber noch von ſchwan- kender Geſundheit, melancholiſch und blaß: ernſthaft, wie- wohl mit dem Ausdruck des Wohlwollens: noch gab er wenig Proben von Geiſt: die Geſchäfte überließ er An- dern. Die Summe derſelben lag in den Händen des Ober- kammerherrn, Wilhelm von Croi, Herrn von Chievres: der beſaß, wie man ſich ausdrückte, eine unbedingte Autorität über Finanzen, Hof und Staat. Der Miniſter war ſo gemäßigt wie ſein Herr, der ſich nach ihm gebildet haben mag: ſeine Art zu hören und zu antworten befriedigte Je- dermann: er ließ nichts als Gedanken des Friedens und des Rechtes von ſich vernehmen. 1 1 Relatione di Francesco Corner venuto orator di la Cesa e catolica Mtà 6 Zugno 1521. Chevres: zentilhuomo per esser il se- Ranke d. Geſch. I. 29

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/467>, abgerufen am 25.11.2024.