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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Abfall Luthers.
fassung geradehin auflösen wollen. Innerhalb der Grenzen
ihres Berufes erkennt er die Unabhängigkeit, ja hinwiederum
die Superiorität der Geistlichen an: 1 aber eben auf diesen
Beruf will er sie zurückführen, und dabei zugleich, wie das
denn überhaupt ein allgemeiner Wunsch war, nationalisiren,
von den täglichen Eingriffen Roms unabhängiger machen.

Es war das aber nur die Eine Seite seines Angriffes,
erst das Zeichen zur Schlacht: unmittelbar folgte dieser
selbst in aller seiner Kraft. Im October 1520 erschien die
Schrift von der bahylonischen Gefangenschaft der Kirche. 2
Denn unter dem Gesichtspunct einer der Kirche zugefüg-
ten Gewalt betrachtete Luther die durch das Zusammen-
wirken der Scholastik und der Hierarchie allmählig gesche-
hene Festsetzung der lateinischen Dogmen und Gebräuche.
Eben in dem Mittelpunct ihres Daseyns, in der Lehre von
den Sacramenten, zunächst dem wichtigsten derselben, von
der Eucharistie, griff er sie an. Man würde ihm Unrecht
thun, wenn man hier eine nach allen Seiten ausgearbei-
tete Theorie davon suchen wollte: er hebt zuerst nur die Ge-
gensätze hervor, in welche die obwaltende Lehre mit der ur-
sprünglichen Stiftung gerathen sey. Er verwirft die Kelch-
entziehung, nicht weil nicht auch in dem Brode das ganze
Sacrament wäre, sondern weil an den ursprünglichen Insti-
tutionen Christi Niemand etwas zu ändern habe. Er will

1 "Es gebürt nicht dem Papst sich zu erheben über weltliche
Gewalt denn allein in geistlichen Ämtern, als da sind Predigen und
Absolviren." (p. 494.)
2 De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium M. L.,
ubi praecipue de natura numero et usu sacramentorum agitur.
Opp. ed. Jen. II,
259.

Abfall Luthers.
faſſung geradehin auflöſen wollen. Innerhalb der Grenzen
ihres Berufes erkennt er die Unabhängigkeit, ja hinwiederum
die Superiorität der Geiſtlichen an: 1 aber eben auf dieſen
Beruf will er ſie zurückführen, und dabei zugleich, wie das
denn überhaupt ein allgemeiner Wunſch war, nationaliſiren,
von den täglichen Eingriffen Roms unabhängiger machen.

Es war das aber nur die Eine Seite ſeines Angriffes,
erſt das Zeichen zur Schlacht: unmittelbar folgte dieſer
ſelbſt in aller ſeiner Kraft. Im October 1520 erſchien die
Schrift von der bahyloniſchen Gefangenſchaft der Kirche. 2
Denn unter dem Geſichtspunct einer der Kirche zugefüg-
ten Gewalt betrachtete Luther die durch das Zuſammen-
wirken der Scholaſtik und der Hierarchie allmählig geſche-
hene Feſtſetzung der lateiniſchen Dogmen und Gebräuche.
Eben in dem Mittelpunct ihres Daſeyns, in der Lehre von
den Sacramenten, zunächſt dem wichtigſten derſelben, von
der Euchariſtie, griff er ſie an. Man würde ihm Unrecht
thun, wenn man hier eine nach allen Seiten ausgearbei-
tete Theorie davon ſuchen wollte: er hebt zuerſt nur die Ge-
genſätze hervor, in welche die obwaltende Lehre mit der ur-
ſprünglichen Stiftung gerathen ſey. Er verwirft die Kelch-
entziehung, nicht weil nicht auch in dem Brode das ganze
Sacrament wäre, ſondern weil an den urſprünglichen Inſti-
tutionen Chriſti Niemand etwas zu ändern habe. Er will

1 „Es gebuͤrt nicht dem Papſt ſich zu erheben uͤber weltliche
Gewalt denn allein in geiſtlichen Aͤmtern, als da ſind Predigen und
Abſolviren.“ (p. 494.)
2 De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium M. L.,
ubi praecipue de natura numero et usu sacramentorum agitur.
Opp. ed. Jen. II,
259.
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[437/0455] Abfall Luthers. faſſung geradehin auflöſen wollen. Innerhalb der Grenzen ihres Berufes erkennt er die Unabhängigkeit, ja hinwiederum die Superiorität der Geiſtlichen an: 1 aber eben auf dieſen Beruf will er ſie zurückführen, und dabei zugleich, wie das denn überhaupt ein allgemeiner Wunſch war, nationaliſiren, von den täglichen Eingriffen Roms unabhängiger machen. Es war das aber nur die Eine Seite ſeines Angriffes, erſt das Zeichen zur Schlacht: unmittelbar folgte dieſer ſelbſt in aller ſeiner Kraft. Im October 1520 erſchien die Schrift von der bahyloniſchen Gefangenſchaft der Kirche. 2 Denn unter dem Geſichtspunct einer der Kirche zugefüg- ten Gewalt betrachtete Luther die durch das Zuſammen- wirken der Scholaſtik und der Hierarchie allmählig geſche- hene Feſtſetzung der lateiniſchen Dogmen und Gebräuche. Eben in dem Mittelpunct ihres Daſeyns, in der Lehre von den Sacramenten, zunächſt dem wichtigſten derſelben, von der Euchariſtie, griff er ſie an. Man würde ihm Unrecht thun, wenn man hier eine nach allen Seiten ausgearbei- tete Theorie davon ſuchen wollte: er hebt zuerſt nur die Ge- genſätze hervor, in welche die obwaltende Lehre mit der ur- ſprünglichen Stiftung gerathen ſey. Er verwirft die Kelch- entziehung, nicht weil nicht auch in dem Brode das ganze Sacrament wäre, ſondern weil an den urſprünglichen Inſti- tutionen Chriſti Niemand etwas zu ändern habe. Er will 1 „Es gebuͤrt nicht dem Papſt ſich zu erheben uͤber weltliche Gewalt denn allein in geiſtlichen Aͤmtern, als da ſind Predigen und Abſolviren.“ (p. 494.) 2 De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium M. L., ubi praecipue de natura numero et usu sacramentorum agitur. Opp. ed. Jen. II, 259.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/455>, abgerufen am 22.11.2024.