Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Abfall Luthers.
ausgegeben ward, 1 von Wittenberg her entgegen. Es sind
ein paar Bogen von welthistorischem, zukünftige Entwicke-
lungen zugleich vorbereitendem und voraussagendem In-
halt. Wie viel hatte man in allen Nationen um diese
Zeit über die Mißbräuche der Curie, der Geistlichkeit ge-
klagt! Hätte Luther nichts weiter gethan, das würde noch
wenig bedeutet haben: aber er brachte dabei zugleich einen
großen Grundsatz in Anwendung, der seit jener Disputa-
tion Melanchthons sich in ihm befestigt hatte: er leugnete
den Charakter indelebilis der Weihe, und erschütterte da-
mit das ganze Fundament der Absonderungen und Vor-
rechte des Clerus. Er urtheilte, daß in Hinsicht der geist-
lichen Befähigung alle Christen einander gleich seyen. Das
will sein etwas schroffer Ausdruck sagen: sie seyen alle
Priester. Daraus folgte nun aber zweierlei: einmal, daß
die Priesterschaft nichts als eine Amtsführung seyn könne,
"von den andern Christen," sagt er, "nicht weiter noch wür-
diger geschieden, denn daß die Geistlichen das Wort Got-
tes und das Sacrament sollen handeln, das ist ihr Werk
und Amt:" sodann aber, daß sie auch der Obrigkeit un-
terworfen seyn müsse, welcher ein andres Amt obliege,
welche, sagt er, "das Schwerd und die Ruthen in der
Hand hat, die Bösen damit zu strafen, die Frommen zu
schützen." 2 Wenige Worte, aber die sich der ganzen Idee

1 Wahrscheinlich doch im Anfang des August. Am dritten
Aug. schreibt Luther an seinen Augustiner-Mitbruder Voigt: jam edo
librum vulgarem contra Papam de statu ecclesiae emendando.

(de W. I, 475).
2 An den christlichen Adel deutscher Nation: von des christli-
chen Standes Besserung. Altenb. Ausg. Werke I, 483.
28*

Abfall Luthers.
ausgegeben ward, 1 von Wittenberg her entgegen. Es ſind
ein paar Bogen von welthiſtoriſchem, zukünftige Entwicke-
lungen zugleich vorbereitendem und vorausſagendem In-
halt. Wie viel hatte man in allen Nationen um dieſe
Zeit über die Mißbräuche der Curie, der Geiſtlichkeit ge-
klagt! Hätte Luther nichts weiter gethan, das würde noch
wenig bedeutet haben: aber er brachte dabei zugleich einen
großen Grundſatz in Anwendung, der ſeit jener Disputa-
tion Melanchthons ſich in ihm befeſtigt hatte: er leugnete
den Charakter indelebilis der Weihe, und erſchütterte da-
mit das ganze Fundament der Abſonderungen und Vor-
rechte des Clerus. Er urtheilte, daß in Hinſicht der geiſt-
lichen Befähigung alle Chriſten einander gleich ſeyen. Das
will ſein etwas ſchroffer Ausdruck ſagen: ſie ſeyen alle
Prieſter. Daraus folgte nun aber zweierlei: einmal, daß
die Prieſterſchaft nichts als eine Amtsführung ſeyn könne,
„von den andern Chriſten,“ ſagt er, „nicht weiter noch wür-
diger geſchieden, denn daß die Geiſtlichen das Wort Got-
tes und das Sacrament ſollen handeln, das iſt ihr Werk
und Amt:“ ſodann aber, daß ſie auch der Obrigkeit un-
terworfen ſeyn müſſe, welcher ein andres Amt obliege,
welche, ſagt er, „das Schwerd und die Ruthen in der
Hand hat, die Böſen damit zu ſtrafen, die Frommen zu
ſchützen.“ 2 Wenige Worte, aber die ſich der ganzen Idee

1 Wahrſcheinlich doch im Anfang des Auguſt. Am dritten
Aug. ſchreibt Luther an ſeinen Auguſtiner-Mitbruder Voigt: jam edo
librum vulgarem contra Papam de statu ecclesiae emendando.

(de W. I, 475).
2 An den chriſtlichen Adel deutſcher Nation: von des chriſtli-
chen Standes Beſſerung. Altenb. Ausg. Werke I, 483.
28*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0453" n="435"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Abfall Luthers</hi>.</fw><lb/>
ausgegeben ward, <note place="foot" n="1">Wahr&#x017F;cheinlich doch im Anfang des Augu&#x017F;t. Am dritten<lb/>
Aug. &#x017F;chreibt Luther an &#x017F;einen Augu&#x017F;tiner-Mitbruder Voigt: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">jam edo</hi><lb/>
librum vulgarem contra Papam de statu ecclesiae emendando.</hi><lb/>
(de W. <hi rendition="#aq">I,</hi> 475).</note> von Wittenberg her entgegen. Es &#x017F;ind<lb/>
ein paar Bogen von welthi&#x017F;tori&#x017F;chem, zukünftige Entwicke-<lb/>
lungen zugleich vorbereitendem und voraus&#x017F;agendem In-<lb/>
halt. Wie viel hatte man in allen Nationen um die&#x017F;e<lb/>
Zeit über die Mißbräuche der Curie, der Gei&#x017F;tlichkeit ge-<lb/>
klagt! Hätte Luther nichts weiter gethan, das würde noch<lb/>
wenig bedeutet haben: aber er brachte dabei zugleich einen<lb/>
großen Grund&#x017F;atz in Anwendung, der &#x017F;eit jener Disputa-<lb/>
tion Melanchthons &#x017F;ich in ihm befe&#x017F;tigt hatte: er leugnete<lb/>
den Charakter indelebilis der Weihe, und er&#x017F;chütterte da-<lb/>
mit das ganze Fundament der Ab&#x017F;onderungen und Vor-<lb/>
rechte des Clerus. Er urtheilte, daß in Hin&#x017F;icht der gei&#x017F;t-<lb/>
lichen Befähigung alle Chri&#x017F;ten einander gleich &#x017F;eyen. Das<lb/>
will &#x017F;ein etwas &#x017F;chroffer Ausdruck &#x017F;agen: &#x017F;ie &#x017F;eyen alle<lb/>
Prie&#x017F;ter. Daraus folgte nun aber zweierlei: einmal, daß<lb/>
die Prie&#x017F;ter&#x017F;chaft nichts als eine Amtsführung &#x017F;eyn könne,<lb/>
&#x201E;von den andern Chri&#x017F;ten,&#x201C; &#x017F;agt er, &#x201E;nicht weiter noch wür-<lb/>
diger ge&#x017F;chieden, denn daß die Gei&#x017F;tlichen das Wort Got-<lb/>
tes und das Sacrament &#x017F;ollen handeln, das i&#x017F;t ihr Werk<lb/>
und Amt:&#x201C; &#x017F;odann aber, daß &#x017F;ie auch der Obrigkeit un-<lb/>
terworfen &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;e, welcher ein andres Amt obliege,<lb/>
welche, &#x017F;agt er, &#x201E;das Schwerd und die Ruthen in der<lb/>
Hand hat, die Bö&#x017F;en damit zu &#x017F;trafen, die Frommen zu<lb/>
&#x017F;chützen.&#x201C; <note place="foot" n="2">An den chri&#x017F;tlichen Adel deut&#x017F;cher Nation: von des chri&#x017F;tli-<lb/>
chen Standes Be&#x017F;&#x017F;erung. Altenb. Ausg. Werke <hi rendition="#aq">I,</hi> 483.</note> Wenige Worte, aber die &#x017F;ich der ganzen Idee<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">28*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0453] Abfall Luthers. ausgegeben ward, 1 von Wittenberg her entgegen. Es ſind ein paar Bogen von welthiſtoriſchem, zukünftige Entwicke- lungen zugleich vorbereitendem und vorausſagendem In- halt. Wie viel hatte man in allen Nationen um dieſe Zeit über die Mißbräuche der Curie, der Geiſtlichkeit ge- klagt! Hätte Luther nichts weiter gethan, das würde noch wenig bedeutet haben: aber er brachte dabei zugleich einen großen Grundſatz in Anwendung, der ſeit jener Disputa- tion Melanchthons ſich in ihm befeſtigt hatte: er leugnete den Charakter indelebilis der Weihe, und erſchütterte da- mit das ganze Fundament der Abſonderungen und Vor- rechte des Clerus. Er urtheilte, daß in Hinſicht der geiſt- lichen Befähigung alle Chriſten einander gleich ſeyen. Das will ſein etwas ſchroffer Ausdruck ſagen: ſie ſeyen alle Prieſter. Daraus folgte nun aber zweierlei: einmal, daß die Prieſterſchaft nichts als eine Amtsführung ſeyn könne, „von den andern Chriſten,“ ſagt er, „nicht weiter noch wür- diger geſchieden, denn daß die Geiſtlichen das Wort Got- tes und das Sacrament ſollen handeln, das iſt ihr Werk und Amt:“ ſodann aber, daß ſie auch der Obrigkeit un- terworfen ſeyn müſſe, welcher ein andres Amt obliege, welche, ſagt er, „das Schwerd und die Ruthen in der Hand hat, die Böſen damit zu ſtrafen, die Frommen zu ſchützen.“ 2 Wenige Worte, aber die ſich der ganzen Idee 1 Wahrſcheinlich doch im Anfang des Auguſt. Am dritten Aug. ſchreibt Luther an ſeinen Auguſtiner-Mitbruder Voigt: jam edo librum vulgarem contra Papam de statu ecclesiae emendando. (de W. I, 475). 2 An den chriſtlichen Adel deutſcher Nation: von des chriſtli- chen Standes Beſſerung. Altenb. Ausg. Werke I, 483. 28*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/453
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/453>, abgerufen am 25.11.2024.