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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Fortgang der theologischen Opposition.
keit mit der er ihn führte, setzte Jedermann in Erstaunen.
"Er ist nun Allen," sagt Luther, "als das Wunder er-
schienen, was er ist. Er ist der gewaltigste Feind des
Satans und der Scholastiker; er kennt ihre Thorheiten
und kennt den Felsen Christi; er hat die Kraft und wird
es vermögen. Amen." Um so eifriger aber vertiefte sich
nun Melanchthon in die Schriften des Neuen Testamen-
tes. Er war von ihrer einfachen Form entzückt: er fand
in ihnen die reine ächte Philosophie; die Studirenden ver-
weist er darauf, als das einzige Labsal der Seele, die
Traurenden, weil sie Friede und Freude in das Herz gie-
ßen. Auch auf seinem Wege aber glaubte er gewahr
zu werden, daß in den Lehren der bisherigen Theologie
Vieles enthalten sey, was nicht allein aus der Schrift
nicht hergeleitet werden könne, sondern ihr widerspreche,
sich niemals mit ihrem Sinn vereinigen lasse. In einer
Rede am 18ten Januar 1520 über die paulinische Doctrin
sprach er das zuerst ohne Rückhalt aus. Im Februar bemerkt
er, daß seine Einwendungen gegen Brodverwandlung und
Charakter sich auch noch auf viele andre Lehren beziehen;
schon sieht er in den sieben Sacramenten ein Nachbild jü-
discher Cerimonien, in der Lehre von der Unfehlbarkeit des
Papstes eine Anmaaßung, die gegen Schrift und gesunden
Menschenverstand laufe: -- höchst verderbliche Meinungen,

für die Bildung des protestantischen Lehrbegriffs bilden, nicht mehr
aufzufinden. Aus einem Briefe Melanchthons an Johann Heß Fe-
bruar 1520 (C. E. I, 138) lernen wir drei von ihnen kennen, die
doch wohl die wichtigsten sind. Nach dem Briefe Luthers an Stau-
pitz bei de Wette I, nr. 162 müssen sie in den September fallen.
Die Sätze, welche im C. E. p. 126 vorkommen, sind, wie Förstemann
dort bemerkt, späteren Ursprungs: wahrscheinlich vom Juli 1520.

Fortgang der theologiſchen Oppoſition.
keit mit der er ihn führte, ſetzte Jedermann in Erſtaunen.
„Er iſt nun Allen,“ ſagt Luther, „als das Wunder er-
ſchienen, was er iſt. Er iſt der gewaltigſte Feind des
Satans und der Scholaſtiker; er kennt ihre Thorheiten
und kennt den Felſen Chriſti; er hat die Kraft und wird
es vermögen. Amen.“ Um ſo eifriger aber vertiefte ſich
nun Melanchthon in die Schriften des Neuen Teſtamen-
tes. Er war von ihrer einfachen Form entzückt: er fand
in ihnen die reine ächte Philoſophie; die Studirenden ver-
weiſt er darauf, als das einzige Labſal der Seele, die
Traurenden, weil ſie Friede und Freude in das Herz gie-
ßen. Auch auf ſeinem Wege aber glaubte er gewahr
zu werden, daß in den Lehren der bisherigen Theologie
Vieles enthalten ſey, was nicht allein aus der Schrift
nicht hergeleitet werden könne, ſondern ihr widerſpreche,
ſich niemals mit ihrem Sinn vereinigen laſſe. In einer
Rede am 18ten Januar 1520 über die pauliniſche Doctrin
ſprach er das zuerſt ohne Rückhalt aus. Im Februar bemerkt
er, daß ſeine Einwendungen gegen Brodverwandlung und
Charakter ſich auch noch auf viele andre Lehren beziehen;
ſchon ſieht er in den ſieben Sacramenten ein Nachbild jü-
diſcher Cerimonien, in der Lehre von der Unfehlbarkeit des
Papſtes eine Anmaaßung, die gegen Schrift und geſunden
Menſchenverſtand laufe: — höchſt verderbliche Meinungen,

fuͤr die Bildung des proteſtantiſchen Lehrbegriffs bilden, nicht mehr
aufzufinden. Aus einem Briefe Melanchthons an Johann Heß Fe-
bruar 1520 (C. E. I, 138) lernen wir drei von ihnen kennen, die
doch wohl die wichtigſten ſind. Nach dem Briefe Luthers an Stau-
pitz bei de Wette I, nr. 162 muͤſſen ſie in den September fallen.
Die Saͤtze, welche im C. E. p. 126 vorkommen, ſind, wie Foͤrſtemann
dort bemerkt, ſpaͤteren Urſprungs: wahrſcheinlich vom Juli 1520.
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[413/0431] Fortgang der theologiſchen Oppoſition. keit mit der er ihn führte, ſetzte Jedermann in Erſtaunen. „Er iſt nun Allen,“ ſagt Luther, „als das Wunder er- ſchienen, was er iſt. Er iſt der gewaltigſte Feind des Satans und der Scholaſtiker; er kennt ihre Thorheiten und kennt den Felſen Chriſti; er hat die Kraft und wird es vermögen. Amen.“ Um ſo eifriger aber vertiefte ſich nun Melanchthon in die Schriften des Neuen Teſtamen- tes. Er war von ihrer einfachen Form entzückt: er fand in ihnen die reine ächte Philoſophie; die Studirenden ver- weiſt er darauf, als das einzige Labſal der Seele, die Traurenden, weil ſie Friede und Freude in das Herz gie- ßen. Auch auf ſeinem Wege aber glaubte er gewahr zu werden, daß in den Lehren der bisherigen Theologie Vieles enthalten ſey, was nicht allein aus der Schrift nicht hergeleitet werden könne, ſondern ihr widerſpreche, ſich niemals mit ihrem Sinn vereinigen laſſe. In einer Rede am 18ten Januar 1520 über die pauliniſche Doctrin ſprach er das zuerſt ohne Rückhalt aus. Im Februar bemerkt er, daß ſeine Einwendungen gegen Brodverwandlung und Charakter ſich auch noch auf viele andre Lehren beziehen; ſchon ſieht er in den ſieben Sacramenten ein Nachbild jü- diſcher Cerimonien, in der Lehre von der Unfehlbarkeit des Papſtes eine Anmaaßung, die gegen Schrift und geſunden Menſchenverſtand laufe: — höchſt verderbliche Meinungen, 2 2 fuͤr die Bildung des proteſtantiſchen Lehrbegriffs bilden, nicht mehr aufzufinden. Aus einem Briefe Melanchthons an Johann Heß Fe- bruar 1520 (C. E. I, 138) lernen wir drei von ihnen kennen, die doch wohl die wichtigſten ſind. Nach dem Briefe Luthers an Stau- pitz bei de Wette I, nr. 162 muͤſſen ſie in den September fallen. Die Saͤtze, welche im C. E. p. 126 vorkommen, ſind, wie Foͤrſtemann dort bemerkt, ſpaͤteren Urſprungs: wahrſcheinlich vom Juli 1520.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/431>, abgerufen am 22.11.2024.