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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Drittes Capitel.
von Luther. Einer der ersten den er aussprach bezog sich
noch unmittelbar auf die Streitigkeiten in Leipzig. Lehr-
sätze der Kirchenväter waren von beiden Seiten und wohl
mit gleichem Rechte angerufen worden; um aus diesen
Widersprüchen zu entkommen, setzte Melanchthon noch in
einer kleinen Schrift vom August 1519 fest, man müsse
nicht die Schrift nach den Kirchenvätern auslegen, son-
dern diese nach dem Sinne der h. Schrift verstehen. 1 Er
behauptete, die Auslegungen jener vornehmsten Säulen der
lateinischen Kirche, des Ambrosius, Hieronymus, ja des
Augustin seyen oftmals irrig. Diesen Grundsatz nun, daß
ein Christ, wie er sich ausdrückt, ein Catholik nicht ver-
pflichtet sey, etwas anzunehmen, als was in der Schrift
stehe, bildete er im September 1519 noch weiter aus.
Was er von den Kirchenvätern gesagt wiederholte er von
den Concilien: daß ihre Autorität dem Ansehn der Schrift
gegenüber nichts bedeute. So wie er einmal an diesem
Puncte angekommen, mußten ihm gegen das ganze Sy-
stem der geltenden Dogmen Zweifel auf Zweifel aufsteigen.
Hatte Luther practische, so hatte Melanchthon wissenschaft-
liche Entschlossenheit. Noch im September 1519 stellte
er Streitsätze auf, in welchen er eben die beiden wichtig-
sten Grundlehren des ganzen Systems, von der Trans-
substantiation und dem Charakter, auf denen das My-
sterium der erscheinenden Kirche, so wie der das Leben
beherrschende sacramentale Ritus beruhte, zu bekämpfen
wagte. 2 Die Kühnheit dieses Angriffes, die Geschicklich-

1 Defensio contra J. Eckium: C. E. I, p. 113. "Patres
judice scriptura recipiantur."
2 Unglücklicherweise sind diese Sätze, die ein Hauptmoment

Zweites Buch. Drittes Capitel.
von Luther. Einer der erſten den er ausſprach bezog ſich
noch unmittelbar auf die Streitigkeiten in Leipzig. Lehr-
ſätze der Kirchenväter waren von beiden Seiten und wohl
mit gleichem Rechte angerufen worden; um aus dieſen
Widerſprüchen zu entkommen, ſetzte Melanchthon noch in
einer kleinen Schrift vom Auguſt 1519 feſt, man müſſe
nicht die Schrift nach den Kirchenvätern auslegen, ſon-
dern dieſe nach dem Sinne der h. Schrift verſtehen. 1 Er
behauptete, die Auslegungen jener vornehmſten Säulen der
lateiniſchen Kirche, des Ambroſius, Hieronymus, ja des
Auguſtin ſeyen oftmals irrig. Dieſen Grundſatz nun, daß
ein Chriſt, wie er ſich ausdrückt, ein Catholik nicht ver-
pflichtet ſey, etwas anzunehmen, als was in der Schrift
ſtehe, bildete er im September 1519 noch weiter aus.
Was er von den Kirchenvätern geſagt wiederholte er von
den Concilien: daß ihre Autorität dem Anſehn der Schrift
gegenüber nichts bedeute. So wie er einmal an dieſem
Puncte angekommen, mußten ihm gegen das ganze Sy-
ſtem der geltenden Dogmen Zweifel auf Zweifel aufſteigen.
Hatte Luther practiſche, ſo hatte Melanchthon wiſſenſchaft-
liche Entſchloſſenheit. Noch im September 1519 ſtellte
er Streitſätze auf, in welchen er eben die beiden wichtig-
ſten Grundlehren des ganzen Syſtems, von der Trans-
ſubſtantiation und dem Charakter, auf denen das My-
ſterium der erſcheinenden Kirche, ſo wie der das Leben
beherrſchende ſacramentale Ritus beruhte, zu bekämpfen
wagte. 2 Die Kühnheit dieſes Angriffes, die Geſchicklich-

1 Defensio contra J. Eckium: C. E. I, p. 113. „Patres
judice scriptura recipiantur.“
2 Ungluͤcklicherweiſe ſind dieſe Saͤtze, die ein Hauptmoment
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[412/0430] Zweites Buch. Drittes Capitel. von Luther. Einer der erſten den er ausſprach bezog ſich noch unmittelbar auf die Streitigkeiten in Leipzig. Lehr- ſätze der Kirchenväter waren von beiden Seiten und wohl mit gleichem Rechte angerufen worden; um aus dieſen Widerſprüchen zu entkommen, ſetzte Melanchthon noch in einer kleinen Schrift vom Auguſt 1519 feſt, man müſſe nicht die Schrift nach den Kirchenvätern auslegen, ſon- dern dieſe nach dem Sinne der h. Schrift verſtehen. 1 Er behauptete, die Auslegungen jener vornehmſten Säulen der lateiniſchen Kirche, des Ambroſius, Hieronymus, ja des Auguſtin ſeyen oftmals irrig. Dieſen Grundſatz nun, daß ein Chriſt, wie er ſich ausdrückt, ein Catholik nicht ver- pflichtet ſey, etwas anzunehmen, als was in der Schrift ſtehe, bildete er im September 1519 noch weiter aus. Was er von den Kirchenvätern geſagt wiederholte er von den Concilien: daß ihre Autorität dem Anſehn der Schrift gegenüber nichts bedeute. So wie er einmal an dieſem Puncte angekommen, mußten ihm gegen das ganze Sy- ſtem der geltenden Dogmen Zweifel auf Zweifel aufſteigen. Hatte Luther practiſche, ſo hatte Melanchthon wiſſenſchaft- liche Entſchloſſenheit. Noch im September 1519 ſtellte er Streitſätze auf, in welchen er eben die beiden wichtig- ſten Grundlehren des ganzen Syſtems, von der Trans- ſubſtantiation und dem Charakter, auf denen das My- ſterium der erſcheinenden Kirche, ſo wie der das Leben beherrſchende ſacramentale Ritus beruhte, zu bekämpfen wagte. 2 Die Kühnheit dieſes Angriffes, die Geſchicklich- 1 Defensio contra J. Eckium: C. E. I, p. 113. „Patres judice scriptura recipiantur.“ 2 Ungluͤcklicherweiſe ſind dieſe Saͤtze, die ein Hauptmoment

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/430>, abgerufen am 22.11.2024.