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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Erstes Capitel.
älteren Doctoren Widerstand leisteten, so fielen ihm dagegen
eine Anzahl junger Leute bei. Die gesammte theologische
Welt in Deutschland gerieth in die lebhafteste Aufregung.

Schon ließ sich aber mitten durch den Lärm der deut-
schen Bewegung auch eine Stimme von Rom aus verneh-
men. Der Meister des heiligen Pallastes, ein Dominicaner,
Silvester Mazolini von Prierio, ein Mann, der über die
Nothwendigkeit der Reue und die Sündhaftigkeit der Lüge
sehr zweideutige, allzunachsichtige Meinungen vorgetragen
hat, aber dabei mit dem hartnäckigsten Eifer das Lehrsy-
stem seines Ordens vertheidigte, der in den Streitigkeiten
Reuchlins der Einzige gewesen war, welcher eine Entschei-
dung zu dessen Gunsten in der Commission verhindert hatte,
hielt sich für verpflichtet, gegen den neuen noch viel ge-
fährlichern Gegner die Waffen selbst zu ergreifen. Er stand
auf, wie er sagt, von dem Commentar in Primam secun-
dae
des h. Thomas, in dessen Abfassung er versenkt war,
und wandte einige Tage darauf, um sich dem Augustiner,
der seinen Nacken wider den römischen Stuhl erhoben, als
ein Schild entgegenzuwerfen; 1 er hielt denselben für hin-
reichend widerlegt, als er ihm die Aussprüche seines Mei-
sters, des heil. Thomas entgegengestellt hatte. Es machte
doch einen gewissen Eindruck auf Luther, als er sich von
Rom aus angegriffen sah; so armselig und leicht zu wi-
derlegen ihm die Schrift Silvesters vorkam, so hielt er
doch dießmal an sich: die Curie unmittelbar wünschte er

nicht
1 Dialogus revdi patris fratris Sylvestri Prieriatis -- -- in
praesumptuosas Martini Lutheri conclusiones
bei Löscher II, 12.

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
älteren Doctoren Widerſtand leiſteten, ſo fielen ihm dagegen
eine Anzahl junger Leute bei. Die geſammte theologiſche
Welt in Deutſchland gerieth in die lebhafteſte Aufregung.

Schon ließ ſich aber mitten durch den Lärm der deut-
ſchen Bewegung auch eine Stimme von Rom aus verneh-
men. Der Meiſter des heiligen Pallaſtes, ein Dominicaner,
Silveſter Mazolini von Prierio, ein Mann, der über die
Nothwendigkeit der Reue und die Sündhaftigkeit der Lüge
ſehr zweideutige, allzunachſichtige Meinungen vorgetragen
hat, aber dabei mit dem hartnäckigſten Eifer das Lehrſy-
ſtem ſeines Ordens vertheidigte, der in den Streitigkeiten
Reuchlins der Einzige geweſen war, welcher eine Entſchei-
dung zu deſſen Gunſten in der Commiſſion verhindert hatte,
hielt ſich für verpflichtet, gegen den neuen noch viel ge-
fährlichern Gegner die Waffen ſelbſt zu ergreifen. Er ſtand
auf, wie er ſagt, von dem Commentar in Primam secun-
dae
des h. Thomas, in deſſen Abfaſſung er verſenkt war,
und wandte einige Tage darauf, um ſich dem Auguſtiner,
der ſeinen Nacken wider den römiſchen Stuhl erhoben, als
ein Schild entgegenzuwerfen; 1 er hielt denſelben für hin-
reichend widerlegt, als er ihm die Ausſprüche ſeines Mei-
ſters, des heil. Thomas entgegengeſtellt hatte. Es machte
doch einen gewiſſen Eindruck auf Luther, als er ſich von
Rom aus angegriffen ſah; ſo armſelig und leicht zu wi-
derlegen ihm die Schrift Silveſters vorkam, ſo hielt er
doch dießmal an ſich: die Curie unmittelbar wünſchte er

nicht
1 Dialogus revdi patris fratris Sylvestri Prieriatis — — in
praesumptuosas Martini Lutheri conclusiones
bei Loͤſcher II, 12.
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[320/0338] Zweites Buch. Erſtes Capitel. älteren Doctoren Widerſtand leiſteten, ſo fielen ihm dagegen eine Anzahl junger Leute bei. Die geſammte theologiſche Welt in Deutſchland gerieth in die lebhafteſte Aufregung. Schon ließ ſich aber mitten durch den Lärm der deut- ſchen Bewegung auch eine Stimme von Rom aus verneh- men. Der Meiſter des heiligen Pallaſtes, ein Dominicaner, Silveſter Mazolini von Prierio, ein Mann, der über die Nothwendigkeit der Reue und die Sündhaftigkeit der Lüge ſehr zweideutige, allzunachſichtige Meinungen vorgetragen hat, aber dabei mit dem hartnäckigſten Eifer das Lehrſy- ſtem ſeines Ordens vertheidigte, der in den Streitigkeiten Reuchlins der Einzige geweſen war, welcher eine Entſchei- dung zu deſſen Gunſten in der Commiſſion verhindert hatte, hielt ſich für verpflichtet, gegen den neuen noch viel ge- fährlichern Gegner die Waffen ſelbſt zu ergreifen. Er ſtand auf, wie er ſagt, von dem Commentar in Primam secun- dae des h. Thomas, in deſſen Abfaſſung er verſenkt war, und wandte einige Tage darauf, um ſich dem Auguſtiner, der ſeinen Nacken wider den römiſchen Stuhl erhoben, als ein Schild entgegenzuwerfen; 1 er hielt denſelben für hin- reichend widerlegt, als er ihm die Ausſprüche ſeines Mei- ſters, des heil. Thomas entgegengeſtellt hatte. Es machte doch einen gewiſſen Eindruck auf Luther, als er ſich von Rom aus angegriffen ſah; ſo armſelig und leicht zu wi- derlegen ihm die Schrift Silveſters vorkam, ſo hielt er doch dießmal an ſich: die Curie unmittelbar wünſchte er nicht 1 Dialogus revdi patris fratris Sylvestri Prieriatis — — in praesumptuosas Martini Lutheri conclusiones bei Loͤſcher II, 12.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/338>, abgerufen am 22.11.2024.