Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erstes Capitel.
dachte, das Fegfeuer erstrecke. Der Papst erscheint als der
große Vermittler aller Bestrafung und Gnade. Und diese
poetisch-erhabenste Idee von seiner Würde nun zog er in den
Staub um einer elenden Geldzahlung willen, die er zu ei-
nem augenblicklichen Bedürfniß seines Staates oder seines
Hauses verwandte. Marktschreierische Commissarien, welche
gern berechneten, wie viel Geld sie schon dem päpstlichen
Stuhle verschafft, sich dabei eine bedeutende Quote vorbe-
hielten und gute Tage zu machen wußten, übertrieben ihre
Befugnisse mit blasphemischer Beredsamkeit. Durch die Be-
drohung aller Gegner mit furchtbaren Kirchenstrafen glaub-
ten sie sich gegen jeden Angriff gewappnet.

Dießmal aber fand sich doch ein Mann, der es wagte
ihnen die Stirn zu bieten.

Indem sich Luther mit der innerlichsten Heilslehre durch-
drungen, und diese wie in dem Kloster und an der Uni-
versität, so auch an der Pfarrgemeine zu Wittenberg --
ein eifriger Seelsorger -- verbreitete, erschien in seiner
Nähe eine so ganz entgegengesetzte Verkündigung, die mit
der äußerlichsten Abfindung zufrieden war, und sich dabei
auf jene kirchlichen Theorien stützte, denen er sich mit
Collegen Schülern und Freunden so ernstlich opponirte.
In dem nahen Jüterbock sammelte sich die Menge um den
Dominicaner Johann Tetzel, der von allen jenen Commis-
sarien wohl die schamloseste Zunge hatte. Mit Recht hat
man dort an der alterthümlichen Kirche Erinnerungen an
diesen Handel aufbewahrt. Unter den Ablaßkäufern waren
auch Leute aus Wittenberg; unmittelbar in seine Seelsorge
sah sich Luther eingegriffen.

Unmöglich konnten sich so entschiedene Gegensätze so

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
dachte, das Fegfeuer erſtrecke. Der Papſt erſcheint als der
große Vermittler aller Beſtrafung und Gnade. Und dieſe
poetiſch-erhabenſte Idee von ſeiner Würde nun zog er in den
Staub um einer elenden Geldzahlung willen, die er zu ei-
nem augenblicklichen Bedürfniß ſeines Staates oder ſeines
Hauſes verwandte. Marktſchreieriſche Commiſſarien, welche
gern berechneten, wie viel Geld ſie ſchon dem päpſtlichen
Stuhle verſchafft, ſich dabei eine bedeutende Quote vorbe-
hielten und gute Tage zu machen wußten, übertrieben ihre
Befugniſſe mit blasphemiſcher Beredſamkeit. Durch die Be-
drohung aller Gegner mit furchtbaren Kirchenſtrafen glaub-
ten ſie ſich gegen jeden Angriff gewappnet.

Dießmal aber fand ſich doch ein Mann, der es wagte
ihnen die Stirn zu bieten.

Indem ſich Luther mit der innerlichſten Heilslehre durch-
drungen, und dieſe wie in dem Kloſter und an der Uni-
verſität, ſo auch an der Pfarrgemeine zu Wittenberg —
ein eifriger Seelſorger — verbreitete, erſchien in ſeiner
Nähe eine ſo ganz entgegengeſetzte Verkündigung, die mit
der äußerlichſten Abfindung zufrieden war, und ſich dabei
auf jene kirchlichen Theorien ſtützte, denen er ſich mit
Collegen Schülern und Freunden ſo ernſtlich opponirte.
In dem nahen Jüterbock ſammelte ſich die Menge um den
Dominicaner Johann Tetzel, der von allen jenen Commiſ-
ſarien wohl die ſchamloſeſte Zunge hatte. Mit Recht hat
man dort an der alterthümlichen Kirche Erinnerungen an
dieſen Handel aufbewahrt. Unter den Ablaßkäufern waren
auch Leute aus Wittenberg; unmittelbar in ſeine Seelſorge
ſah ſich Luther eingegriffen.

Unmöglich konnten ſich ſo entſchiedene Gegenſätze ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0330" n="312"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
dachte, das Fegfeuer er&#x017F;trecke. Der Pap&#x017F;t er&#x017F;cheint als der<lb/>
große Vermittler aller Be&#x017F;trafung und Gnade. Und die&#x017F;e<lb/>
poeti&#x017F;ch-erhaben&#x017F;te Idee von &#x017F;einer Würde nun zog er in den<lb/>
Staub um einer elenden Geldzahlung willen, die er zu ei-<lb/>
nem augenblicklichen Bedürfniß &#x017F;eines Staates oder &#x017F;eines<lb/>
Hau&#x017F;es verwandte. Markt&#x017F;chreieri&#x017F;che Commi&#x017F;&#x017F;arien, welche<lb/>
gern berechneten, wie viel Geld &#x017F;ie &#x017F;chon dem päp&#x017F;tlichen<lb/>
Stuhle ver&#x017F;chafft, &#x017F;ich dabei eine bedeutende Quote vorbe-<lb/>
hielten und gute Tage zu machen wußten, übertrieben ihre<lb/>
Befugni&#x017F;&#x017F;e mit blasphemi&#x017F;cher Bered&#x017F;amkeit. Durch die Be-<lb/>
drohung aller Gegner mit furchtbaren Kirchen&#x017F;trafen glaub-<lb/>
ten &#x017F;ie &#x017F;ich gegen jeden Angriff gewappnet.</p><lb/>
            <p>Dießmal aber fand &#x017F;ich doch ein Mann, der es wagte<lb/>
ihnen die Stirn zu bieten.</p><lb/>
            <p>Indem &#x017F;ich Luther mit der innerlich&#x017F;ten Heilslehre durch-<lb/>
drungen, und die&#x017F;e wie in dem Klo&#x017F;ter und an der Uni-<lb/>
ver&#x017F;ität, &#x017F;o auch an der Pfarrgemeine zu Wittenberg &#x2014;<lb/>
ein eifriger Seel&#x017F;orger &#x2014; verbreitete, er&#x017F;chien in &#x017F;einer<lb/>
Nähe eine &#x017F;o ganz entgegenge&#x017F;etzte Verkündigung, die mit<lb/>
der äußerlich&#x017F;ten Abfindung zufrieden war, und &#x017F;ich dabei<lb/>
auf jene kirchlichen Theorien &#x017F;tützte, denen er &#x017F;ich mit<lb/>
Collegen Schülern und Freunden &#x017F;o ern&#x017F;tlich opponirte.<lb/>
In dem nahen Jüterbock &#x017F;ammelte &#x017F;ich die Menge um den<lb/>
Dominicaner Johann Tetzel, der von allen jenen Commi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;arien wohl die &#x017F;chamlo&#x017F;e&#x017F;te Zunge hatte. Mit Recht hat<lb/>
man dort an der alterthümlichen Kirche Erinnerungen an<lb/>
die&#x017F;en Handel aufbewahrt. Unter den Ablaßkäufern waren<lb/>
auch Leute aus Wittenberg; unmittelbar in &#x017F;eine Seel&#x017F;orge<lb/>
&#x017F;ah &#x017F;ich Luther eingegriffen.</p><lb/>
            <p>Unmöglich konnten &#x017F;ich &#x017F;o ent&#x017F;chiedene Gegen&#x017F;ätze &#x017F;o<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0330] Zweites Buch. Erſtes Capitel. dachte, das Fegfeuer erſtrecke. Der Papſt erſcheint als der große Vermittler aller Beſtrafung und Gnade. Und dieſe poetiſch-erhabenſte Idee von ſeiner Würde nun zog er in den Staub um einer elenden Geldzahlung willen, die er zu ei- nem augenblicklichen Bedürfniß ſeines Staates oder ſeines Hauſes verwandte. Marktſchreieriſche Commiſſarien, welche gern berechneten, wie viel Geld ſie ſchon dem päpſtlichen Stuhle verſchafft, ſich dabei eine bedeutende Quote vorbe- hielten und gute Tage zu machen wußten, übertrieben ihre Befugniſſe mit blasphemiſcher Beredſamkeit. Durch die Be- drohung aller Gegner mit furchtbaren Kirchenſtrafen glaub- ten ſie ſich gegen jeden Angriff gewappnet. Dießmal aber fand ſich doch ein Mann, der es wagte ihnen die Stirn zu bieten. Indem ſich Luther mit der innerlichſten Heilslehre durch- drungen, und dieſe wie in dem Kloſter und an der Uni- verſität, ſo auch an der Pfarrgemeine zu Wittenberg — ein eifriger Seelſorger — verbreitete, erſchien in ſeiner Nähe eine ſo ganz entgegengeſetzte Verkündigung, die mit der äußerlichſten Abfindung zufrieden war, und ſich dabei auf jene kirchlichen Theorien ſtützte, denen er ſich mit Collegen Schülern und Freunden ſo ernſtlich opponirte. In dem nahen Jüterbock ſammelte ſich die Menge um den Dominicaner Johann Tetzel, der von allen jenen Commiſ- ſarien wohl die ſchamloſeſte Zunge hatte. Mit Recht hat man dort an der alterthümlichen Kirche Erinnerungen an dieſen Handel aufbewahrt. Unter den Ablaßkäufern waren auch Leute aus Wittenberg; unmittelbar in ſeine Seelſorge ſah ſich Luther eingegriffen. Unmöglich konnten ſich ſo entſchiedene Gegenſätze ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/330
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/330>, abgerufen am 22.11.2024.