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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Ablaßtheorie.
endlich die Erlösung der Seelen der Verstorbenen aus dem
Fegefeuer Für die große Indulgenz war es nothwendig
zugleich zu beichten und Reue zu fühlen; die drei übri-
gen konnten dagegen ohne Reue und Beichte bloß durch
Geld erlangt werden. 1 In diesem Sinn ist es, daß schon
Columbus einmal den Werth des Goldes preist: "wer es
besitzt," sagt er gleichsam in Ernst, "vermag sogar die
Seelen ins Paradies zu führen."

Überhaupt hätte sich die Vereinigung weltlicher Be-
strebungen und geistlicher Omnipotenz wie sie diese Epoche
vorzugsweise bezeichnet, nicht schlagender darstellen können.
Nicht ohne phantastische Großartigkeit ist jene Vorstellung,
daß die Kirche eine Himmel und Erde, Lebendige und Todte
umfassende Gemeinschaft bilde, in der alle Verschuldung
der Einzelnen aufgehoben werde durch das Verdienst und
die Gnade der Gesammtheit. Welche Idee von der Ge-
walt und Würde eines Menschen liegt darin, daß man
sich den Papst als Denjenigen dachte, der diesen Schatz
der Verdienste nach Belieben Einem oder dem Andern zu-
wenden könne. 2 Erst in den jüngsten Zeiten war die Lehre
durchgedrungen, daß sich die Gewalt des Papstes auch auf
den Mittelzustand, den man sich zwischen Himmel und Erde

1 Instructio summaria ad subcommissarios bei Gerdes Hi-
storia Evangelii I App. n. IX. p.
83. -- Meistens wörtlich über-
einstimmend mit den Advisamenten Arcimbolds in Kapps Nachlese.
2 Summa divi Thomae Suppl. Qu. 25, art. 1 concl. Prae-
dicta merita sunt communia totius ecclesiae, ea autem quae sunt
alicujus multitudinis communia, distribuuntur singulis de multi-
tudine secundum arbitrium ejus qui multitudini praeest.
Ferner:
art. 2. nec divinae justitiae derogatur, quia nihil de poena di-
mittitur, sed unius poena alteri computatur.

Ablaßtheorie.
endlich die Erlöſung der Seelen der Verſtorbenen aus dem
Fegefeuer Für die große Indulgenz war es nothwendig
zugleich zu beichten und Reue zu fühlen; die drei übri-
gen konnten dagegen ohne Reue und Beichte bloß durch
Geld erlangt werden. 1 In dieſem Sinn iſt es, daß ſchon
Columbus einmal den Werth des Goldes preiſt: „wer es
beſitzt,“ ſagt er gleichſam in Ernſt, „vermag ſogar die
Seelen ins Paradies zu führen.“

Überhaupt hätte ſich die Vereinigung weltlicher Be-
ſtrebungen und geiſtlicher Omnipotenz wie ſie dieſe Epoche
vorzugsweiſe bezeichnet, nicht ſchlagender darſtellen können.
Nicht ohne phantaſtiſche Großartigkeit iſt jene Vorſtellung,
daß die Kirche eine Himmel und Erde, Lebendige und Todte
umfaſſende Gemeinſchaft bilde, in der alle Verſchuldung
der Einzelnen aufgehoben werde durch das Verdienſt und
die Gnade der Geſammtheit. Welche Idee von der Ge-
walt und Würde eines Menſchen liegt darin, daß man
ſich den Papſt als Denjenigen dachte, der dieſen Schatz
der Verdienſte nach Belieben Einem oder dem Andern zu-
wenden könne. 2 Erſt in den jüngſten Zeiten war die Lehre
durchgedrungen, daß ſich die Gewalt des Papſtes auch auf
den Mittelzuſtand, den man ſich zwiſchen Himmel und Erde

1 Instructio summaria ad subcommissarios bei Gerdes Hi-
storia Evangelii I App. n. IX. p.
83. — Meiſtens woͤrtlich uͤber-
einſtimmend mit den Adviſamenten Arcimbolds in Kapps Nachleſe.
2 Summa divi Thomae Suppl. Qu. 25, art. 1 concl. Prae-
dicta merita sunt communia totius ecclesiae, ea autem quae sunt
alicujus multitudinis communia, distribuuntur singulis de multi-
tudine secundum arbitrium ejus qui multitudini praeest.
Ferner:
art. 2. nec divinae justitiae derogatur, quia nihil de poena di-
mittitur, sed unius poena alteri computatur.
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[311/0329] Ablaßtheorie. endlich die Erlöſung der Seelen der Verſtorbenen aus dem Fegefeuer Für die große Indulgenz war es nothwendig zugleich zu beichten und Reue zu fühlen; die drei übri- gen konnten dagegen ohne Reue und Beichte bloß durch Geld erlangt werden. 1 In dieſem Sinn iſt es, daß ſchon Columbus einmal den Werth des Goldes preiſt: „wer es beſitzt,“ ſagt er gleichſam in Ernſt, „vermag ſogar die Seelen ins Paradies zu führen.“ Überhaupt hätte ſich die Vereinigung weltlicher Be- ſtrebungen und geiſtlicher Omnipotenz wie ſie dieſe Epoche vorzugsweiſe bezeichnet, nicht ſchlagender darſtellen können. Nicht ohne phantaſtiſche Großartigkeit iſt jene Vorſtellung, daß die Kirche eine Himmel und Erde, Lebendige und Todte umfaſſende Gemeinſchaft bilde, in der alle Verſchuldung der Einzelnen aufgehoben werde durch das Verdienſt und die Gnade der Geſammtheit. Welche Idee von der Ge- walt und Würde eines Menſchen liegt darin, daß man ſich den Papſt als Denjenigen dachte, der dieſen Schatz der Verdienſte nach Belieben Einem oder dem Andern zu- wenden könne. 2 Erſt in den jüngſten Zeiten war die Lehre durchgedrungen, daß ſich die Gewalt des Papſtes auch auf den Mittelzuſtand, den man ſich zwiſchen Himmel und Erde 1 Instructio summaria ad subcommissarios bei Gerdes Hi- storia Evangelii I App. n. IX. p. 83. — Meiſtens woͤrtlich uͤber- einſtimmend mit den Adviſamenten Arcimbolds in Kapps Nachleſe. 2 Summa divi Thomae Suppl. Qu. 25, art. 1 concl. Prae- dicta merita sunt communia totius ecclesiae, ea autem quae sunt alicujus multitudinis communia, distribuuntur singulis de multi- tudine secundum arbitrium ejus qui multitudini praeest. Ferner: art. 2. nec divinae justitiae derogatur, quia nihil de poena di- mittitur, sed unius poena alteri computatur.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/329>, abgerufen am 22.11.2024.