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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Anfänge Luthers.
stik und Scholastik großen Einfluß auf ihn. In den er-
sten deutschen geistlichen Worten die wir von ihm haben,
einem Predigtentwurf vom November 1515 wendet er die
Symbolik des hohen Liedes in harten Ausdrücken auf die
Wirkung des heiligen Geistes, welcher durch das Fleisch in
den Geist führe, und auf das innere Verständniß der h.
Schrift an. In einem andern vom Dezember desselben
Jahres sucht er aus der aristotelischen Theorie über We-
sen, Bewegung und Ruhe das Geheimniß der Dreieinigkeit
zu erläutern. 1 Dabei aber nahmen seine Ideen schon eine
Richtung auf die Verbesserung der Kirche im Allgemeinen
und Großen. In einer Rede, welche wie es scheint dazu
bestimmt war, von dem Propst zu Lietzkau auf dem late-
ranensischen Concilium vorgetragen zu werden, führt er
aus, daß das Verderben der Welt von den Priestern her-
rühre, von denen zu viel Menschensatzung und Fabel, nicht
das reine Wort Gottes vorgetragen werde. Denn nur das
Wort des Lebens habe die Fähigkeit die innere Wieder-
geburt des Menschen zu vollziehen. Es ist sehr bemerkens-
werth, daß Luther schon da das Heil der Welt bei weitem
weniger von einer Verbesserung des Lebens erwartet, die
nur erst einen zweiten Gesichtspunct ausmacht, als von
einer Wiederherstellung der Lehre. Von keiner andern Lehre
aber zeigt er sich so vollkommen durchdrungen und erfüllt,
wie von der Rechtfertigung durch den Glauben. Er dringt
unaufhörlich darauf, daß man sich selber verleugnen und
unter die Fittige Christi fliehen müsse; er wiederholt bei
jeder Gelegenheit den Spruch Augustins, was das Gesetz

1 Sermo Lutheri in nativitate Christi 1515.

Anfaͤnge Luthers.
ſtik und Scholaſtik großen Einfluß auf ihn. In den er-
ſten deutſchen geiſtlichen Worten die wir von ihm haben,
einem Predigtentwurf vom November 1515 wendet er die
Symbolik des hohen Liedes in harten Ausdrücken auf die
Wirkung des heiligen Geiſtes, welcher durch das Fleiſch in
den Geiſt führe, und auf das innere Verſtändniß der h.
Schrift an. In einem andern vom Dezember deſſelben
Jahres ſucht er aus der ariſtoteliſchen Theorie über We-
ſen, Bewegung und Ruhe das Geheimniß der Dreieinigkeit
zu erläutern. 1 Dabei aber nahmen ſeine Ideen ſchon eine
Richtung auf die Verbeſſerung der Kirche im Allgemeinen
und Großen. In einer Rede, welche wie es ſcheint dazu
beſtimmt war, von dem Propſt zu Lietzkau auf dem late-
ranenſiſchen Concilium vorgetragen zu werden, führt er
aus, daß das Verderben der Welt von den Prieſtern her-
rühre, von denen zu viel Menſchenſatzung und Fabel, nicht
das reine Wort Gottes vorgetragen werde. Denn nur das
Wort des Lebens habe die Fähigkeit die innere Wieder-
geburt des Menſchen zu vollziehen. Es iſt ſehr bemerkens-
werth, daß Luther ſchon da das Heil der Welt bei weitem
weniger von einer Verbeſſerung des Lebens erwartet, die
nur erſt einen zweiten Geſichtspunct ausmacht, als von
einer Wiederherſtellung der Lehre. Von keiner andern Lehre
aber zeigt er ſich ſo vollkommen durchdrungen und erfüllt,
wie von der Rechtfertigung durch den Glauben. Er dringt
unaufhörlich darauf, daß man ſich ſelber verleugnen und
unter die Fittige Chriſti fliehen müſſe; er wiederholt bei
jeder Gelegenheit den Spruch Auguſtins, was das Geſetz

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[301/0319] Anfaͤnge Luthers. ſtik und Scholaſtik großen Einfluß auf ihn. In den er- ſten deutſchen geiſtlichen Worten die wir von ihm haben, einem Predigtentwurf vom November 1515 wendet er die Symbolik des hohen Liedes in harten Ausdrücken auf die Wirkung des heiligen Geiſtes, welcher durch das Fleiſch in den Geiſt führe, und auf das innere Verſtändniß der h. Schrift an. In einem andern vom Dezember deſſelben Jahres ſucht er aus der ariſtoteliſchen Theorie über We- ſen, Bewegung und Ruhe das Geheimniß der Dreieinigkeit zu erläutern. 1 Dabei aber nahmen ſeine Ideen ſchon eine Richtung auf die Verbeſſerung der Kirche im Allgemeinen und Großen. In einer Rede, welche wie es ſcheint dazu beſtimmt war, von dem Propſt zu Lietzkau auf dem late- ranenſiſchen Concilium vorgetragen zu werden, führt er aus, daß das Verderben der Welt von den Prieſtern her- rühre, von denen zu viel Menſchenſatzung und Fabel, nicht das reine Wort Gottes vorgetragen werde. Denn nur das Wort des Lebens habe die Fähigkeit die innere Wieder- geburt des Menſchen zu vollziehen. Es iſt ſehr bemerkens- werth, daß Luther ſchon da das Heil der Welt bei weitem weniger von einer Verbeſſerung des Lebens erwartet, die nur erſt einen zweiten Geſichtspunct ausmacht, als von einer Wiederherſtellung der Lehre. Von keiner andern Lehre aber zeigt er ſich ſo vollkommen durchdrungen und erfüllt, wie von der Rechtfertigung durch den Glauben. Er dringt unaufhörlich darauf, daß man ſich ſelber verleugnen und unter die Fittige Chriſti fliehen müſſe; er wiederholt bei jeder Gelegenheit den Spruch Auguſtins, was das Geſetz 1 Sermo Lutheri in nativitate Christi 1515.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/319>, abgerufen am 22.11.2024.