Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Erstes Capitel.
dern mit eisernem Gebot Tag und Stunde beherrscht. Für
Luthern war diese Zeit schreckenvoll.

Von seinem funfzehnten Jahre an gieng es ihm etwas
besser. In Eisenach, wo er eine höhere Schule besuchte,
fand er Aufnahme bei den Verwandten seiner Mutter: in
Erfurt, wohin er zur Universität gieng, ließ ihm sein Va-
ter, der indessen durch Arbeitsamkeit, Sparsamkeit und Ge-
deihen in bessere Umstände gekommen, freigebige Unterstützung
zufließen; 1 er dachte, sein Sohn solle ein Rechtsgelehrter
werden sich anständig verheirathen und ihm Ehre machen.

Auf die Beschränkungen der Kindheit aber folgen in
dem mühseligen Leben der Menschen bald andre Bedräng-
nisse. Der Geist fühlt sich frei von den Banden der
Schule; er ist noch nicht zerstreut durch die Bedürfnisse
und Sorgen des täglichen Lebens; muthvoll wendet er sich
den höchsten Problemen zu, den Fragen über das Ver-
hältniß des Menschen zu Gott, Gottes zur Welt; indem
er ihre Lösung gewaltsam zu erstürmen sucht, ergreifen ihn
leicht die unseligsten Zweifel. Es scheint fast, als sey der
ewige Ursprung alles Lebens dem jungen Luther nur als
der strenge Richter und Rächer erschienen, der die Sünd-
haftigkeit, von der ihm von Natur ein großartig lebendiges
Gefühl beiwohnte, mit der Qual der Höllenstrafen heim-
suche, und den man nur durch Buße, Abtödtung und schwe-
ren Dienst versöhnen könne. Als er einst, im Juli 1505,
von dem väterlichen Hause zu Mansfeld wieder nach Er-
furt zurückgieng, ereilte ihn auf dem Felde in der Nähe

1 Luthers Erklärung der Genesis c. 49 v. 15. Altenb. Tom. IX,
p.
1525.

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
dern mit eiſernem Gebot Tag und Stunde beherrſcht. Für
Luthern war dieſe Zeit ſchreckenvoll.

Von ſeinem funfzehnten Jahre an gieng es ihm etwas
beſſer. In Eiſenach, wo er eine höhere Schule beſuchte,
fand er Aufnahme bei den Verwandten ſeiner Mutter: in
Erfurt, wohin er zur Univerſität gieng, ließ ihm ſein Va-
ter, der indeſſen durch Arbeitſamkeit, Sparſamkeit und Ge-
deihen in beſſere Umſtände gekommen, freigebige Unterſtützung
zufließen; 1 er dachte, ſein Sohn ſolle ein Rechtsgelehrter
werden ſich anſtändig verheirathen und ihm Ehre machen.

Auf die Beſchränkungen der Kindheit aber folgen in
dem mühſeligen Leben der Menſchen bald andre Bedräng-
niſſe. Der Geiſt fühlt ſich frei von den Banden der
Schule; er iſt noch nicht zerſtreut durch die Bedürfniſſe
und Sorgen des täglichen Lebens; muthvoll wendet er ſich
den höchſten Problemen zu, den Fragen über das Ver-
hältniß des Menſchen zu Gott, Gottes zur Welt; indem
er ihre Löſung gewaltſam zu erſtürmen ſucht, ergreifen ihn
leicht die unſeligſten Zweifel. Es ſcheint faſt, als ſey der
ewige Urſprung alles Lebens dem jungen Luther nur als
der ſtrenge Richter und Rächer erſchienen, der die Sünd-
haftigkeit, von der ihm von Natur ein großartig lebendiges
Gefühl beiwohnte, mit der Qual der Höllenſtrafen heim-
ſuche, und den man nur durch Buße, Abtödtung und ſchwe-
ren Dienſt verſöhnen könne. Als er einſt, im Juli 1505,
von dem väterlichen Hauſe zu Mansfeld wieder nach Er-
furt zurückgieng, ereilte ihn auf dem Felde in der Nähe

1 Luthers Erklaͤrung der Geneſis c. 49 v. 15. Altenb. Tom. IX,
p.
1525.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0312" n="294"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
dern mit ei&#x017F;ernem Gebot Tag und Stunde beherr&#x017F;cht. Für<lb/>
Luthern war die&#x017F;e Zeit &#x017F;chreckenvoll.</p><lb/>
            <p>Von &#x017F;einem funfzehnten Jahre an gieng es ihm etwas<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er. In Ei&#x017F;enach, wo er eine höhere Schule be&#x017F;uchte,<lb/>
fand er Aufnahme bei den Verwandten &#x017F;einer Mutter: in<lb/>
Erfurt, wohin er zur Univer&#x017F;ität gieng, ließ ihm &#x017F;ein Va-<lb/>
ter, der inde&#x017F;&#x017F;en durch Arbeit&#x017F;amkeit, Spar&#x017F;amkeit und Ge-<lb/>
deihen in be&#x017F;&#x017F;ere Um&#x017F;tände gekommen, freigebige Unter&#x017F;tützung<lb/>
zufließen; <note place="foot" n="1">Luthers Erkla&#x0364;rung der Gene&#x017F;is <hi rendition="#aq">c. 49 v.</hi> 15. Altenb. <hi rendition="#aq">Tom. IX,<lb/>
p.</hi> 1525.</note> er dachte, &#x017F;ein Sohn &#x017F;olle ein Rechtsgelehrter<lb/>
werden &#x017F;ich an&#x017F;tändig verheirathen und ihm Ehre machen.</p><lb/>
            <p>Auf die Be&#x017F;chränkungen der Kindheit aber folgen in<lb/>
dem müh&#x017F;eligen Leben der Men&#x017F;chen bald andre Bedräng-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e. Der Gei&#x017F;t fühlt &#x017F;ich frei von den Banden der<lb/>
Schule; er i&#x017F;t noch nicht zer&#x017F;treut durch die Bedürfni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Sorgen des täglichen Lebens; muthvoll wendet er &#x017F;ich<lb/>
den höch&#x017F;ten Problemen zu, den Fragen über das Ver-<lb/>
hältniß des Men&#x017F;chen zu Gott, Gottes zur Welt; indem<lb/>
er ihre Lö&#x017F;ung gewalt&#x017F;am zu er&#x017F;türmen &#x017F;ucht, ergreifen ihn<lb/>
leicht die un&#x017F;elig&#x017F;ten Zweifel. Es &#x017F;cheint fa&#x017F;t, als &#x017F;ey der<lb/>
ewige Ur&#x017F;prung alles Lebens dem jungen Luther nur als<lb/>
der &#x017F;trenge Richter und Rächer er&#x017F;chienen, der die Sünd-<lb/>
haftigkeit, von der ihm von Natur ein großartig lebendiges<lb/>
Gefühl beiwohnte, mit der Qual der Höllen&#x017F;trafen heim-<lb/>
&#x017F;uche, und den man nur durch Buße, Abtödtung und &#x017F;chwe-<lb/>
ren Dien&#x017F;t ver&#x017F;öhnen könne. Als er ein&#x017F;t, im Juli 1505,<lb/>
von dem väterlichen Hau&#x017F;e zu Mansfeld wieder nach Er-<lb/>
furt zurückgieng, ereilte ihn auf dem Felde in der Nähe<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0312] Zweites Buch. Erſtes Capitel. dern mit eiſernem Gebot Tag und Stunde beherrſcht. Für Luthern war dieſe Zeit ſchreckenvoll. Von ſeinem funfzehnten Jahre an gieng es ihm etwas beſſer. In Eiſenach, wo er eine höhere Schule beſuchte, fand er Aufnahme bei den Verwandten ſeiner Mutter: in Erfurt, wohin er zur Univerſität gieng, ließ ihm ſein Va- ter, der indeſſen durch Arbeitſamkeit, Sparſamkeit und Ge- deihen in beſſere Umſtände gekommen, freigebige Unterſtützung zufließen; 1 er dachte, ſein Sohn ſolle ein Rechtsgelehrter werden ſich anſtändig verheirathen und ihm Ehre machen. Auf die Beſchränkungen der Kindheit aber folgen in dem mühſeligen Leben der Menſchen bald andre Bedräng- niſſe. Der Geiſt fühlt ſich frei von den Banden der Schule; er iſt noch nicht zerſtreut durch die Bedürfniſſe und Sorgen des täglichen Lebens; muthvoll wendet er ſich den höchſten Problemen zu, den Fragen über das Ver- hältniß des Menſchen zu Gott, Gottes zur Welt; indem er ihre Löſung gewaltſam zu erſtürmen ſucht, ergreifen ihn leicht die unſeligſten Zweifel. Es ſcheint faſt, als ſey der ewige Urſprung alles Lebens dem jungen Luther nur als der ſtrenge Richter und Rächer erſchienen, der die Sünd- haftigkeit, von der ihm von Natur ein großartig lebendiges Gefühl beiwohnte, mit der Qual der Höllenſtrafen heim- ſuche, und den man nur durch Buße, Abtödtung und ſchwe- ren Dienſt verſöhnen könne. Als er einſt, im Juli 1505, von dem väterlichen Hauſe zu Mansfeld wieder nach Er- furt zurückgieng, ereilte ihn auf dem Felde in der Nähe 1 Luthers Erklaͤrung der Geneſis c. 49 v. 15. Altenb. Tom. IX, p. 1525.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/312
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/312>, abgerufen am 16.07.2024.