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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Bewegung in der Theologie.
Petrus Lombardus vom Sacrament, die eine erweiterte
augustinianische ist, diese letzte in ihrer ursprünglichen Rein-
heit entgegensetzt: sein Sinn geht überhaupt auf die Ent-
fernung der Zusätze der spätern Zeit zu der alten Kirchen-
lehre. 1 Er bestreitet die Verbindlichkeit priesterlicher Satzun-
gen, die Kraft des Ablasses; er ist erfüllt von der Idee
der unsichtbaren Kirche. Überhaupt ein Mann voll von
Geist; der es wohl vermochte, auf einer Universität wie
Erfurt, einmal die große Rolle zu spielen; der erst all-
mählig zu seinen Überzeugungen gelangte, und sie dann
auch auf dem Predigtstuhl nicht zurückhielt, den wir so-
gar mit böhmischen Emissären in Verbindung treten sehen.
Dafür mußte er auch zuletzt, schon hoch betagt, an sei-
nem Stabe daher schleichend, vor der Inquisition erschei-
nen; in dem Gefängniß derselben ist er gestorben.

Johann Pupper von Goch, der um die Jahre 1460,
70 einen Nonnenconvent nach der Regel Augustins bei
Mecheln gestiftet hat, machte sich dadurch bemerklich, daß
er die herrschende Kirchenlehre gradezu der Hinneigung zum
Pelagianismus beschuldigte. 2 Er nennt Thomas von
Aquino einmal den Fürsten des Irrthums. Von augu-
stinianischen Grundsätzen aus bekämpft er den Cerimonien-
dienst, den Pharisaismus der Gelübde.


1 Joh. de Wesalia Disputatio adversus indulgentias bei
Walch Monimenta medii aevi Tom. I, fasc. 1, p. 131.
2 Dialogus de quatuor erroribus circa legem evangelicam
bei Walch Monim. I, iv, p. 181. Haec fuit insania Pelagii hae-
retici, a qua error Thomistarum non solum in hoc loco sed etiam
in multis aliis non multum degenerare videtur.
Welchen Eindruck
dieß machte, sieht man aus der Schilderung Pantaleons.

Bewegung in der Theologie.
Petrus Lombardus vom Sacrament, die eine erweiterte
auguſtinianiſche iſt, dieſe letzte in ihrer urſprünglichen Rein-
heit entgegenſetzt: ſein Sinn geht überhaupt auf die Ent-
fernung der Zuſätze der ſpätern Zeit zu der alten Kirchen-
lehre. 1 Er beſtreitet die Verbindlichkeit prieſterlicher Satzun-
gen, die Kraft des Ablaſſes; er iſt erfüllt von der Idee
der unſichtbaren Kirche. Überhaupt ein Mann voll von
Geiſt; der es wohl vermochte, auf einer Univerſität wie
Erfurt, einmal die große Rolle zu ſpielen; der erſt all-
mählig zu ſeinen Überzeugungen gelangte, und ſie dann
auch auf dem Predigtſtuhl nicht zurückhielt, den wir ſo-
gar mit böhmiſchen Emiſſären in Verbindung treten ſehen.
Dafür mußte er auch zuletzt, ſchon hoch betagt, an ſei-
nem Stabe daher ſchleichend, vor der Inquiſition erſchei-
nen; in dem Gefängniß derſelben iſt er geſtorben.

Johann Pupper von Goch, der um die Jahre 1460,
70 einen Nonnenconvent nach der Regel Auguſtins bei
Mecheln geſtiftet hat, machte ſich dadurch bemerklich, daß
er die herrſchende Kirchenlehre gradezu der Hinneigung zum
Pelagianismus beſchuldigte. 2 Er nennt Thomas von
Aquino einmal den Fürſten des Irrthums. Von augu-
ſtinianiſchen Grundſätzen aus bekämpft er den Cerimonien-
dienſt, den Phariſaismus der Gelübde.


1 Joh. de Wesalia Disputatio adversus indulgentias bei
Walch Monimenta medii aevi Tom. I, fasc. 1, p. 131.
2 Dialogus de quatuor erroribus circa legem evangelicam
bei Walch Monim. I, iv, p. 181. Haec fuit insania Pelagii hae-
retici, a qua error Thomistarum non solum in hoc loco sed etiam
in multis aliis non multum degenerare videtur.
Welchen Eindruck
dieß machte, ſieht man aus der Schilderung Pantaleons.
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[287/0305] Bewegung in der Theologie. Petrus Lombardus vom Sacrament, die eine erweiterte auguſtinianiſche iſt, dieſe letzte in ihrer urſprünglichen Rein- heit entgegenſetzt: ſein Sinn geht überhaupt auf die Ent- fernung der Zuſätze der ſpätern Zeit zu der alten Kirchen- lehre. 1 Er beſtreitet die Verbindlichkeit prieſterlicher Satzun- gen, die Kraft des Ablaſſes; er iſt erfüllt von der Idee der unſichtbaren Kirche. Überhaupt ein Mann voll von Geiſt; der es wohl vermochte, auf einer Univerſität wie Erfurt, einmal die große Rolle zu ſpielen; der erſt all- mählig zu ſeinen Überzeugungen gelangte, und ſie dann auch auf dem Predigtſtuhl nicht zurückhielt, den wir ſo- gar mit böhmiſchen Emiſſären in Verbindung treten ſehen. Dafür mußte er auch zuletzt, ſchon hoch betagt, an ſei- nem Stabe daher ſchleichend, vor der Inquiſition erſchei- nen; in dem Gefängniß derſelben iſt er geſtorben. Johann Pupper von Goch, der um die Jahre 1460, 70 einen Nonnenconvent nach der Regel Auguſtins bei Mecheln geſtiftet hat, machte ſich dadurch bemerklich, daß er die herrſchende Kirchenlehre gradezu der Hinneigung zum Pelagianismus beſchuldigte. 2 Er nennt Thomas von Aquino einmal den Fürſten des Irrthums. Von augu- ſtinianiſchen Grundſätzen aus bekämpft er den Cerimonien- dienſt, den Phariſaismus der Gelübde. 1 Joh. de Wesalia Disputatio adversus indulgentias bei Walch Monimenta medii aevi Tom. I, fasc. 1, p. 131. 2 Dialogus de quatuor erroribus circa legem evangelicam bei Walch Monim. I, iv, p. 181. Haec fuit insania Pelagii hae- retici, a qua error Thomistarum non solum in hoc loco sed etiam in multis aliis non multum degenerare videtur. Welchen Eindruck dieß machte, ſieht man aus der Schilderung Pantaleons.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/305>, abgerufen am 16.07.2024.