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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Bewegungen in der gelehrten Literatur.
hielt es für gut seinen Ausspruch zu verschieben. Er er-
ließ ein Mandatum de supersedendo. 1

Und hiemit war nun wohl Reuchlin nicht ganz zu-
frieden, der im Bewußtseyn einer gerechten Sache und nach
allem was vorausgegangen, eine förmliche Lossprechung
erwartet hatte, allein im Ganzen angesehen, war doch auch
dieß nicht viel weniger als ein Sieg. Daß die Partei
welche die Religion zu repräsentiren, ja in ihren Lehrsätzen
ausschließend zu besitzen glaubte, mit ihrem inquisitorischen
Verfahren nicht durchgedrungen, vielmehr wie die gehei-
men Nachrichten lauteten, nur durch Hülfe von Geld und
Gunst einer Verdammung entgangen war, 2 darin lag eine
Aufforderung für alle ihre Gegner. Bisher hatten sich
diese nur zu behaupten gesucht: jetzt warfen sie sich in den
offenen, directen Angriff. In der Briefsammlung Reuch-
lins, die ausdrücklich dazu angelegt ward, um die Ver-
ehrung und Bewunderung nachzuweisen deren der Ange-
feindete genieße, finden wir, wie zahlreich und eifrig sie
sich um ihn sammeln; jene geistlichen Herrn und kaiserli-
chen Räthe deren wir gedacht; Patrizier in den bedeutend-
sten Städten, wie Pirkheimer in Nürnberg der sich gern
als den Anführer der ganzen Schaar der Reuchlinisten be-
trachtete, Peutinger in Augsburg, Stuß in Cölln; Predi-
ger, wie Capito und Öcolampadius; die östreichischen Ge-
schichtsforscher Lazius und Cuspinian; Doctoren der Me-

1 Reuchlin de arte cabbalistica p. 730. Acta judiciorum
p.
130.
2 Im Hogstratus ovans 336 heißt es: durch die Verwendung
des Nicolaus von Schomberg.

Bewegungen in der gelehrten Literatur.
hielt es für gut ſeinen Ausſpruch zu verſchieben. Er er-
ließ ein Mandatum de supersedendo. 1

Und hiemit war nun wohl Reuchlin nicht ganz zu-
frieden, der im Bewußtſeyn einer gerechten Sache und nach
allem was vorausgegangen, eine förmliche Losſprechung
erwartet hatte, allein im Ganzen angeſehen, war doch auch
dieß nicht viel weniger als ein Sieg. Daß die Partei
welche die Religion zu repräſentiren, ja in ihren Lehrſätzen
ausſchließend zu beſitzen glaubte, mit ihrem inquiſitoriſchen
Verfahren nicht durchgedrungen, vielmehr wie die gehei-
men Nachrichten lauteten, nur durch Hülfe von Geld und
Gunſt einer Verdammung entgangen war, 2 darin lag eine
Aufforderung für alle ihre Gegner. Bisher hatten ſich
dieſe nur zu behaupten geſucht: jetzt warfen ſie ſich in den
offenen, directen Angriff. In der Briefſammlung Reuch-
lins, die ausdrücklich dazu angelegt ward, um die Ver-
ehrung und Bewunderung nachzuweiſen deren der Ange-
feindete genieße, finden wir, wie zahlreich und eifrig ſie
ſich um ihn ſammeln; jene geiſtlichen Herrn und kaiſerli-
chen Räthe deren wir gedacht; Patrizier in den bedeutend-
ſten Städten, wie Pirkheimer in Nürnberg der ſich gern
als den Anführer der ganzen Schaar der Reuchliniſten be-
trachtete, Peutinger in Augsburg, Stuß in Cölln; Predi-
ger, wie Capito und Öcolampadius; die öſtreichiſchen Ge-
ſchichtsforſcher Lazius und Cuspinian; Doctoren der Me-

1 Reuchlin de arte cabbalistica p. 730. Acta judiciorum
p.
130.
2 Im Hogstratus ovans 336 heißt es: durch die Verwendung
des Nicolaus von Schomberg.
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[281/0299] Bewegungen in der gelehrten Literatur. hielt es für gut ſeinen Ausſpruch zu verſchieben. Er er- ließ ein Mandatum de supersedendo. 1 Und hiemit war nun wohl Reuchlin nicht ganz zu- frieden, der im Bewußtſeyn einer gerechten Sache und nach allem was vorausgegangen, eine förmliche Losſprechung erwartet hatte, allein im Ganzen angeſehen, war doch auch dieß nicht viel weniger als ein Sieg. Daß die Partei welche die Religion zu repräſentiren, ja in ihren Lehrſätzen ausſchließend zu beſitzen glaubte, mit ihrem inquiſitoriſchen Verfahren nicht durchgedrungen, vielmehr wie die gehei- men Nachrichten lauteten, nur durch Hülfe von Geld und Gunſt einer Verdammung entgangen war, 2 darin lag eine Aufforderung für alle ihre Gegner. Bisher hatten ſich dieſe nur zu behaupten geſucht: jetzt warfen ſie ſich in den offenen, directen Angriff. In der Briefſammlung Reuch- lins, die ausdrücklich dazu angelegt ward, um die Ver- ehrung und Bewunderung nachzuweiſen deren der Ange- feindete genieße, finden wir, wie zahlreich und eifrig ſie ſich um ihn ſammeln; jene geiſtlichen Herrn und kaiſerli- chen Räthe deren wir gedacht; Patrizier in den bedeutend- ſten Städten, wie Pirkheimer in Nürnberg der ſich gern als den Anführer der ganzen Schaar der Reuchliniſten be- trachtete, Peutinger in Augsburg, Stuß in Cölln; Predi- ger, wie Capito und Öcolampadius; die öſtreichiſchen Ge- ſchichtsforſcher Lazius und Cuspinian; Doctoren der Me- 1 Reuchlin de arte cabbalistica p. 730. Acta judiciorum p. 130. 2 Im Hogstratus ovans 336 heißt es: durch die Verwendung des Nicolaus von Schomberg.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/299>, abgerufen am 22.11.2024.