Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Bewegungen in der gelehrten Literatur.
Universitäten hatte Jeder, wenigstens wenn er einmal Ma-
gister geworden, das Recht zu lehren, und nicht Alle boten
Anlaß oder Vorwand dar um sich ihrer zu entledigen. 1 Auch
hatten sich hie und da die Fürsten das Recht vorbehalten, die
Lehrer zu ernennen. Bald auf die eine, bald auf die an-
dre Weise sehen wir Lehrer der Grammatik und eines un-
mittelbaren Studiums der Alten sich festsetzen: in Tübingen
Heinrich Bebel, der eine sehr zahlreiche Schule bildete; in
Ingolstadt Locher, der sich nach mancherlei Irrungen doch
behauptete; Conrad Celtes in Wien, wo im J. 1501 so-
gar eine poetische Facultät entstand; in Prag Hieronymus
Balbi, ein Italiener, der den Prinzen unterrichtete und auch
an Staatsgeschäften einen gewissen Antheil nahm. In
Freiburg knüpfte sich das neue Studium an das römische
Recht, Ulrich Zasius verband die beiden Professuren auf
das glänzendste; in diesem Sinne war es, daß Peter Tom-
mai von Ravenna und sein Sohn Vincenz nach Greifs-
wald und später nach Wittenberg berufen wurden; 2 man
hoffte sie sollten durch das vereinigte Studium des Rechts
und des Alterthums diese Universitäten emporbringen. Auf
Erfurt wirkte Conrad Muth, der ein Canonicat, das er
besaß, zu Gotha genoß, "in glückseliger Ruhe," wie die Auf-
schrift seines Hauses sagte, ein Gleim jener Zeiten, gast-
freier Förderer einer strebenden poetisch-gesinnten Jugend.
So bildete sich, nachdem erst die niedrigern Schulen ein-

1 Erasmi Epistolae I, p. 689. In den Epp. Obsc. Vir. ed.
Münch p.
102 wird über einen Socius aus Mähren geklagt, der
in Wien lesen wolle, ohne graduirt zu seyn.
2 Auch Tiraboschi gedenkt ihrer: VI p. 410. Ihre Catastrophe
in Cölln wird jedoch immer noch nicht vollkommen klar.

Bewegungen in der gelehrten Literatur.
Univerſitäten hatte Jeder, wenigſtens wenn er einmal Ma-
giſter geworden, das Recht zu lehren, und nicht Alle boten
Anlaß oder Vorwand dar um ſich ihrer zu entledigen. 1 Auch
hatten ſich hie und da die Fürſten das Recht vorbehalten, die
Lehrer zu ernennen. Bald auf die eine, bald auf die an-
dre Weiſe ſehen wir Lehrer der Grammatik und eines un-
mittelbaren Studiums der Alten ſich feſtſetzen: in Tübingen
Heinrich Bebel, der eine ſehr zahlreiche Schule bildete; in
Ingolſtadt Locher, der ſich nach mancherlei Irrungen doch
behauptete; Conrad Celtes in Wien, wo im J. 1501 ſo-
gar eine poetiſche Facultät entſtand; in Prag Hieronymus
Balbi, ein Italiener, der den Prinzen unterrichtete und auch
an Staatsgeſchäften einen gewiſſen Antheil nahm. In
Freiburg knüpfte ſich das neue Studium an das römiſche
Recht, Ulrich Zaſius verband die beiden Profeſſuren auf
das glänzendſte; in dieſem Sinne war es, daß Peter Tom-
mai von Ravenna und ſein Sohn Vincenz nach Greifs-
wald und ſpäter nach Wittenberg berufen wurden; 2 man
hoffte ſie ſollten durch das vereinigte Studium des Rechts
und des Alterthums dieſe Univerſitäten emporbringen. Auf
Erfurt wirkte Conrad Muth, der ein Canonicat, das er
beſaß, zu Gotha genoß, „in glückſeliger Ruhe,“ wie die Auf-
ſchrift ſeines Hauſes ſagte, ein Gleim jener Zeiten, gaſt-
freier Förderer einer ſtrebenden poetiſch-geſinnten Jugend.
So bildete ſich, nachdem erſt die niedrigern Schulen ein-

1 Erasmi Epistolae I, p. 689. In den Epp. Obsc. Vir. ed.
Münch p.
102 wird uͤber einen Socius aus Maͤhren geklagt, der
in Wien leſen wolle, ohne graduirt zu ſeyn.
2 Auch Tiraboschi gedenkt ihrer: VI p. 410. Ihre Cataſtrophe
in Coͤlln wird jedoch immer noch nicht vollkommen klar.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0289" n="271"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Bewegungen in der gelehrten Literatur</hi>.</fw><lb/>
Univer&#x017F;itäten hatte Jeder, wenig&#x017F;tens wenn er einmal Ma-<lb/>
gi&#x017F;ter geworden, das Recht zu lehren, und nicht Alle boten<lb/>
Anlaß oder Vorwand dar um &#x017F;ich ihrer zu entledigen. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Erasmi Epistolae I, p.</hi> 689. In den <hi rendition="#aq">Epp. Obsc. Vir. ed.<lb/>
Münch p.</hi> 102 wird u&#x0364;ber einen <hi rendition="#aq">Socius</hi> aus Ma&#x0364;hren geklagt, der<lb/>
in Wien le&#x017F;en wolle, ohne graduirt zu &#x017F;eyn.</note> Auch<lb/>
hatten &#x017F;ich hie und da die Für&#x017F;ten das Recht vorbehalten, die<lb/>
Lehrer zu ernennen. Bald auf die eine, bald auf die an-<lb/>
dre Wei&#x017F;e &#x017F;ehen wir Lehrer der Grammatik und eines un-<lb/>
mittelbaren Studiums der Alten &#x017F;ich fe&#x017F;t&#x017F;etzen: in Tübingen<lb/>
Heinrich Bebel, der eine &#x017F;ehr zahlreiche Schule bildete; in<lb/>
Ingol&#x017F;tadt Locher, der &#x017F;ich nach mancherlei Irrungen doch<lb/>
behauptete; Conrad Celtes in Wien, wo im J. 1501 &#x017F;o-<lb/>
gar eine poeti&#x017F;che Facultät ent&#x017F;tand; in Prag Hieronymus<lb/>
Balbi, ein Italiener, der den Prinzen unterrichtete und auch<lb/>
an Staatsge&#x017F;chäften einen gewi&#x017F;&#x017F;en Antheil nahm. In<lb/>
Freiburg knüpfte &#x017F;ich das neue Studium an das römi&#x017F;che<lb/>
Recht, Ulrich Za&#x017F;ius verband die beiden Profe&#x017F;&#x017F;uren auf<lb/>
das glänzend&#x017F;te; in die&#x017F;em Sinne war es, daß Peter Tom-<lb/>
mai von Ravenna und &#x017F;ein Sohn Vincenz nach Greifs-<lb/>
wald und &#x017F;päter nach Wittenberg berufen wurden; <note place="foot" n="2">Auch Tiraboschi gedenkt ihrer: <hi rendition="#aq">VI p.</hi> 410. Ihre Cata&#x017F;trophe<lb/>
in Co&#x0364;lln wird jedoch immer noch nicht vollkommen klar.</note> man<lb/>
hoffte &#x017F;ie &#x017F;ollten durch das vereinigte Studium des Rechts<lb/>
und des Alterthums die&#x017F;e Univer&#x017F;itäten emporbringen. Auf<lb/>
Erfurt wirkte Conrad Muth, der ein Canonicat, das er<lb/>
be&#x017F;aß, zu Gotha genoß, &#x201E;in glück&#x017F;eliger Ruhe,&#x201C; wie die Auf-<lb/>
&#x017F;chrift &#x017F;eines Hau&#x017F;es &#x017F;agte, ein Gleim jener Zeiten, ga&#x017F;t-<lb/>
freier Förderer einer &#x017F;trebenden poeti&#x017F;ch-ge&#x017F;innten Jugend.<lb/>
So bildete &#x017F;ich, nachdem er&#x017F;t die niedrigern Schulen ein-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0289] Bewegungen in der gelehrten Literatur. Univerſitäten hatte Jeder, wenigſtens wenn er einmal Ma- giſter geworden, das Recht zu lehren, und nicht Alle boten Anlaß oder Vorwand dar um ſich ihrer zu entledigen. 1 Auch hatten ſich hie und da die Fürſten das Recht vorbehalten, die Lehrer zu ernennen. Bald auf die eine, bald auf die an- dre Weiſe ſehen wir Lehrer der Grammatik und eines un- mittelbaren Studiums der Alten ſich feſtſetzen: in Tübingen Heinrich Bebel, der eine ſehr zahlreiche Schule bildete; in Ingolſtadt Locher, der ſich nach mancherlei Irrungen doch behauptete; Conrad Celtes in Wien, wo im J. 1501 ſo- gar eine poetiſche Facultät entſtand; in Prag Hieronymus Balbi, ein Italiener, der den Prinzen unterrichtete und auch an Staatsgeſchäften einen gewiſſen Antheil nahm. In Freiburg knüpfte ſich das neue Studium an das römiſche Recht, Ulrich Zaſius verband die beiden Profeſſuren auf das glänzendſte; in dieſem Sinne war es, daß Peter Tom- mai von Ravenna und ſein Sohn Vincenz nach Greifs- wald und ſpäter nach Wittenberg berufen wurden; 2 man hoffte ſie ſollten durch das vereinigte Studium des Rechts und des Alterthums dieſe Univerſitäten emporbringen. Auf Erfurt wirkte Conrad Muth, der ein Canonicat, das er beſaß, zu Gotha genoß, „in glückſeliger Ruhe,“ wie die Auf- ſchrift ſeines Hauſes ſagte, ein Gleim jener Zeiten, gaſt- freier Förderer einer ſtrebenden poetiſch-geſinnten Jugend. So bildete ſich, nachdem erſt die niedrigern Schulen ein- 1 Erasmi Epistolae I, p. 689. In den Epp. Obsc. Vir. ed. Münch p. 102 wird uͤber einen Socius aus Maͤhren geklagt, der in Wien leſen wolle, ohne graduirt zu ſeyn. 2 Auch Tiraboschi gedenkt ihrer: VI p. 410. Ihre Cataſtrophe in Coͤlln wird jedoch immer noch nicht vollkommen klar.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/289
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/289>, abgerufen am 27.11.2024.