Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Zweites Buch. Erstes Capitel. reich vorgedrungen, und eröffnete nun allen lebendigen Gei-stern jenseit der beschränkten Gesichtskreise der abendländi- schen kirchlichen Wissenschaft neue, glänzende Aussichten. Erasmus gieng auf die Idee der Italiener ein, daß man die Wissenschaften aus den Alten lernen müsse, Erdbeschrei- bung aus dem Strabo, Naturgeschichte aus Plinius, My- thologie aus Ovid, Medicin aus Hippokrates, Philosophie aus Plato, nicht aus den barocken und unzureichenden Lehr- büchern, deren man sich jetzt bediene; aber er gieng noch einen Schritt weiter, er forderte daß die Gottesgelahrtheit nicht mehr aus Scotus und Thomas, sondern aus den griechischen Kirchenvätern und vor allem aus dem neuen Testament gelernt würde. Nach dem Vorgang des Lau- rentius Valla, dessen Vorbild überhaupt auf Erasmus gro- ßen Einfluß gehabt hat, zeigte er daß man sich hiebei nicht an die Vulgata halten müsse, der er eine ganze Anzahl Fehler nachwies; 1 er selbst schritt zu dem großen Werke, den griechischen Text, der dem Abendlande noch niemals gründlich bekannt geworden, herauszugeben. So dachte er, wie er sich ausdrückt, diese kalte Wortstreiterin, Theo- logie auf ihre Quellen zurückzuführen; dem wunderbar auf- gethürmten System zeigte er die Einfachheit des Ursprungs, von der es ausgegangen war, zu der es zurückkehren müsse. 1 In der complutensischen Ausgabe dagegen hat man den grie-
chischen Text, z. B. I Joh. V, 7 nach der Vulgata verändert. Schröckh KGsch. XXXIV, 83. Überhaupt ward diese Festhaltung der Vulgata späterhin und namentlich als von seiner Canonisation die Rede war, für das Hauptverdienst des Ximenes angesehn, "ut hoc modo melius intelligeretur nostra vulgata in suo rigore et puri- tate." -- Acta Toletana bei Rain. 1517. nr. 107. Zweites Buch. Erſtes Capitel. reich vorgedrungen, und eröffnete nun allen lebendigen Gei-ſtern jenſeit der beſchränkten Geſichtskreiſe der abendländi- ſchen kirchlichen Wiſſenſchaft neue, glänzende Ausſichten. Erasmus gieng auf die Idee der Italiener ein, daß man die Wiſſenſchaften aus den Alten lernen müſſe, Erdbeſchrei- bung aus dem Strabo, Naturgeſchichte aus Plinius, My- thologie aus Ovid, Medicin aus Hippokrates, Philoſophie aus Plato, nicht aus den barocken und unzureichenden Lehr- büchern, deren man ſich jetzt bediene; aber er gieng noch einen Schritt weiter, er forderte daß die Gottesgelahrtheit nicht mehr aus Scotus und Thomas, ſondern aus den griechiſchen Kirchenvätern und vor allem aus dem neuen Teſtament gelernt würde. Nach dem Vorgang des Lau- rentius Valla, deſſen Vorbild überhaupt auf Erasmus gro- ßen Einfluß gehabt hat, zeigte er daß man ſich hiebei nicht an die Vulgata halten müſſe, der er eine ganze Anzahl Fehler nachwies; 1 er ſelbſt ſchritt zu dem großen Werke, den griechiſchen Text, der dem Abendlande noch niemals gründlich bekannt geworden, herauszugeben. So dachte er, wie er ſich ausdrückt, dieſe kalte Wortſtreiterin, Theo- logie auf ihre Quellen zurückzuführen; dem wunderbar auf- gethürmten Syſtem zeigte er die Einfachheit des Urſprungs, von der es ausgegangen war, zu der es zurückkehren müſſe. 1 In der complutenſiſchen Ausgabe dagegen hat man den grie-
chiſchen Text, z. B. I Joh. V, 7 nach der Vulgata veraͤndert. Schroͤckh KGſch. XXXIV, 83. Uͤberhaupt ward dieſe Feſthaltung der Vulgata ſpaͤterhin und namentlich als von ſeiner Canoniſation die Rede war, fuͤr das Hauptverdienſt des Ximenes angeſehn, „ut hoc modo melius intelligeretur nostra vulgata in suo rigore et puri- tate.“ — Acta Toletana bei Rain. 1517. nr. 107. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0286" n="268"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. Erſtes Capitel</hi>.</fw><lb/> reich vorgedrungen, und eröffnete nun allen lebendigen Gei-<lb/> ſtern jenſeit der beſchränkten Geſichtskreiſe der abendländi-<lb/> ſchen kirchlichen Wiſſenſchaft neue, glänzende Ausſichten.<lb/> Erasmus gieng auf die Idee der Italiener ein, daß man<lb/> die Wiſſenſchaften aus den Alten lernen müſſe, Erdbeſchrei-<lb/> bung aus dem Strabo, Naturgeſchichte aus Plinius, My-<lb/> thologie aus Ovid, Medicin aus Hippokrates, Philoſophie<lb/> aus Plato, nicht aus den barocken und unzureichenden Lehr-<lb/> büchern, deren man ſich jetzt bediene; aber er gieng noch<lb/> einen Schritt weiter, er forderte daß die Gottesgelahrtheit<lb/> nicht mehr aus Scotus und Thomas, ſondern aus den<lb/> griechiſchen Kirchenvätern und vor allem aus dem neuen<lb/> Teſtament gelernt würde. Nach dem Vorgang des Lau-<lb/> rentius Valla, deſſen Vorbild überhaupt auf Erasmus gro-<lb/> ßen Einfluß gehabt hat, zeigte er daß man ſich hiebei nicht<lb/> an die Vulgata halten müſſe, der er eine ganze Anzahl<lb/> Fehler nachwies; <note place="foot" n="1">In der complutenſiſchen Ausgabe dagegen hat man den grie-<lb/> chiſchen Text, z. B. <hi rendition="#aq">I</hi> Joh. <hi rendition="#aq">V,</hi> 7 nach der Vulgata veraͤndert.<lb/> Schroͤckh KGſch. <hi rendition="#aq">XXXIV,</hi> 83. Uͤberhaupt ward dieſe Feſthaltung der<lb/> Vulgata ſpaͤterhin und namentlich als von ſeiner Canoniſation die<lb/> Rede war, fuͤr das Hauptverdienſt des Ximenes angeſehn, <hi rendition="#aq">„ut hoc<lb/> modo melius intelligeretur nostra vulgata in suo rigore et puri-<lb/> tate.“ — Acta Toletana</hi> bei Rain. 1517. <hi rendition="#aq">nr</hi>. 107.</note> er ſelbſt ſchritt zu dem großen Werke,<lb/> den griechiſchen Text, der dem Abendlande noch niemals<lb/> gründlich bekannt geworden, herauszugeben. So dachte<lb/> er, wie er ſich ausdrückt, dieſe kalte Wortſtreiterin, Theo-<lb/> logie auf ihre Quellen zurückzuführen; dem wunderbar auf-<lb/> gethürmten Syſtem zeigte er die Einfachheit des Urſprungs,<lb/> von der es ausgegangen war, zu der es zurückkehren müſſe.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [268/0286]
Zweites Buch. Erſtes Capitel.
reich vorgedrungen, und eröffnete nun allen lebendigen Gei-
ſtern jenſeit der beſchränkten Geſichtskreiſe der abendländi-
ſchen kirchlichen Wiſſenſchaft neue, glänzende Ausſichten.
Erasmus gieng auf die Idee der Italiener ein, daß man
die Wiſſenſchaften aus den Alten lernen müſſe, Erdbeſchrei-
bung aus dem Strabo, Naturgeſchichte aus Plinius, My-
thologie aus Ovid, Medicin aus Hippokrates, Philoſophie
aus Plato, nicht aus den barocken und unzureichenden Lehr-
büchern, deren man ſich jetzt bediene; aber er gieng noch
einen Schritt weiter, er forderte daß die Gottesgelahrtheit
nicht mehr aus Scotus und Thomas, ſondern aus den
griechiſchen Kirchenvätern und vor allem aus dem neuen
Teſtament gelernt würde. Nach dem Vorgang des Lau-
rentius Valla, deſſen Vorbild überhaupt auf Erasmus gro-
ßen Einfluß gehabt hat, zeigte er daß man ſich hiebei nicht
an die Vulgata halten müſſe, der er eine ganze Anzahl
Fehler nachwies; 1 er ſelbſt ſchritt zu dem großen Werke,
den griechiſchen Text, der dem Abendlande noch niemals
gründlich bekannt geworden, herauszugeben. So dachte
er, wie er ſich ausdrückt, dieſe kalte Wortſtreiterin, Theo-
logie auf ihre Quellen zurückzuführen; dem wunderbar auf-
gethürmten Syſtem zeigte er die Einfachheit des Urſprungs,
von der es ausgegangen war, zu der es zurückkehren müſſe.
1 In der complutenſiſchen Ausgabe dagegen hat man den grie-
chiſchen Text, z. B. I Joh. V, 7 nach der Vulgata veraͤndert.
Schroͤckh KGſch. XXXIV, 83. Uͤberhaupt ward dieſe Feſthaltung der
Vulgata ſpaͤterhin und namentlich als von ſeiner Canoniſation die
Rede war, fuͤr das Hauptverdienſt des Ximenes angeſehn, „ut hoc
modo melius intelligeretur nostra vulgata in suo rigore et puri-
tate.“ — Acta Toletana bei Rain. 1517. nr. 107.
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