Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Zweites Buch. Erstes Capitel. alten Autoren, ahmte sie nach, bald Lucian bald Terenz-- er zeigte allenthalben den Geist feiner Beobachtung, welcher zugleich belehrt und ergötzt: was ihm aber haupt- sächlich sein Publicum verschaffte, war die Tendenz die er verfolgte. Jene ganze Bitterkeit gegen die Formen der Frömmigkeit und Theologie jener Zeit, die ihm durch den Gang und die Begegnisse seines Lebens zu einer habituel- len Stimmung geworden, ergoß er in seine Schriften: nicht daß er sie zu diesem Zwecke von vorn herein ange- legt hätte, sondern indirect, da wo man es nicht erwartete, zuweilen in der Mitte einer gelehrten Discussion, mit tref- fender, unerschöpflicher Laune. Unter andern bemächtigte er sich der durch Brant und Geiler populär gewordenen Vorstellung von dem Element der Narrheit, das in alles menschliche Thun und Treiben eingedrungen sey; er führte sie selbst redend ein, Moria, Tochter des Plutus, geboren auf den glückseligen Inseln, genährt von Trunkenheit und Ungezogenheit: Herrscherin über ein gewaltiges Reich, das sie nun schildert; zu dem alle Stände der Welt gehören. Sie geht sie sämmtlich durch, bei keinem aber verweilt sie länger und geflissentlicher, als bei den Geistlichen, die ihre Wohlthaten nicht anerkennen wollen, aber ihr nur desto mehr verpflichtet sind. Sie verspottet das Labyrinth der Dialectik, in dem die Theologen sich gefangen haben, die Syllogismen, mit denen sie die Kirche zu stützen vermei- nen, wie Atlas den Himmel, den Verdammungseifer mit dem sie jede abweichende Meinung verfolgen; -- dann kommt sie auf die Unwissenheit, den Schmutz, die seltsamen und lächerlichen Bestrebungen der Mönche, ihre rohen und Zweites Buch. Erſtes Capitel. alten Autoren, ahmte ſie nach, bald Lucian bald Terenz— er zeigte allenthalben den Geiſt feiner Beobachtung, welcher zugleich belehrt und ergötzt: was ihm aber haupt- ſächlich ſein Publicum verſchaffte, war die Tendenz die er verfolgte. Jene ganze Bitterkeit gegen die Formen der Frömmigkeit und Theologie jener Zeit, die ihm durch den Gang und die Begegniſſe ſeines Lebens zu einer habituel- len Stimmung geworden, ergoß er in ſeine Schriften: nicht daß er ſie zu dieſem Zwecke von vorn herein ange- legt hätte, ſondern indirect, da wo man es nicht erwartete, zuweilen in der Mitte einer gelehrten Discuſſion, mit tref- fender, unerſchöpflicher Laune. Unter andern bemächtigte er ſich der durch Brant und Geiler populär gewordenen Vorſtellung von dem Element der Narrheit, das in alles menſchliche Thun und Treiben eingedrungen ſey; er führte ſie ſelbſt redend ein, Moria, Tochter des Plutus, geboren auf den glückſeligen Inſeln, genährt von Trunkenheit und Ungezogenheit: Herrſcherin über ein gewaltiges Reich, das ſie nun ſchildert; zu dem alle Stände der Welt gehören. Sie geht ſie ſämmtlich durch, bei keinem aber verweilt ſie länger und gefliſſentlicher, als bei den Geiſtlichen, die ihre Wohlthaten nicht anerkennen wollen, aber ihr nur deſto mehr verpflichtet ſind. Sie verſpottet das Labyrinth der Dialectik, in dem die Theologen ſich gefangen haben, die Syllogismen, mit denen ſie die Kirche zu ſtützen vermei- nen, wie Atlas den Himmel, den Verdammungseifer mit dem ſie jede abweichende Meinung verfolgen; — dann kommt ſie auf die Unwiſſenheit, den Schmutz, die ſeltſamen und lächerlichen Beſtrebungen der Mönche, ihre rohen und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0284" n="266"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Buch. 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Zweites Buch. Erſtes Capitel.
alten Autoren, ahmte ſie nach, bald Lucian bald Terenz
— er zeigte allenthalben den Geiſt feiner Beobachtung,
welcher zugleich belehrt und ergötzt: was ihm aber haupt-
ſächlich ſein Publicum verſchaffte, war die Tendenz die er
verfolgte. Jene ganze Bitterkeit gegen die Formen der
Frömmigkeit und Theologie jener Zeit, die ihm durch den
Gang und die Begegniſſe ſeines Lebens zu einer habituel-
len Stimmung geworden, ergoß er in ſeine Schriften:
nicht daß er ſie zu dieſem Zwecke von vorn herein ange-
legt hätte, ſondern indirect, da wo man es nicht erwartete,
zuweilen in der Mitte einer gelehrten Discuſſion, mit tref-
fender, unerſchöpflicher Laune. Unter andern bemächtigte
er ſich der durch Brant und Geiler populär gewordenen
Vorſtellung von dem Element der Narrheit, das in alles
menſchliche Thun und Treiben eingedrungen ſey; er führte
ſie ſelbſt redend ein, Moria, Tochter des Plutus, geboren
auf den glückſeligen Inſeln, genährt von Trunkenheit und
Ungezogenheit: Herrſcherin über ein gewaltiges Reich, das
ſie nun ſchildert; zu dem alle Stände der Welt gehören.
Sie geht ſie ſämmtlich durch, bei keinem aber verweilt ſie
länger und gefliſſentlicher, als bei den Geiſtlichen, die ihre
Wohlthaten nicht anerkennen wollen, aber ihr nur deſto
mehr verpflichtet ſind. Sie verſpottet das Labyrinth der
Dialectik, in dem die Theologen ſich gefangen haben, die
Syllogismen, mit denen ſie die Kirche zu ſtützen vermei-
nen, wie Atlas den Himmel, den Verdammungseifer mit
dem ſie jede abweichende Meinung verfolgen; — dann
kommt ſie auf die Unwiſſenheit, den Schmutz, die ſeltſamen
und lächerlichen Beſtrebungen der Mönche, ihre rohen und
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