Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Erasmus. ganzen Druck, als er sie auf sich genommen; er hielt esschon für eine Befreiung, daß es ihm gelang eine Stelle in einem Collegium zu Paris zu erhalten: jedoch auch hier ward ihm nicht wohl: er sah sich genöthigt, scotistischen Vorlesungen und Disputationen beizuwohnen, und dabei klagt er daß die verdorbene Nahrung, der kanigte Wein, von denen er dort leben mußte, seine Gesundheit vollends zu Grunde gerichtet habe. Da war er aber auch schon zu dem Gefühle seiner selbst gelangt. So wie er noch als Knabe die erste Spur einer neuen Methode bekommen, 1 war er ihr, mit geringen Hülfsmitteln aber mit dem sichern In- stinct des ächten Talentes nachgegangen; er hatte sich eine dem Muster der Alten nicht in jedem einzelnen Ausdruck, aber in innerer Richtigkeit und Eleganz entsprechende leicht dahinfließende Diction zu eigen gemacht, durch die er alles was es in Paris gab weit übertraf; jetzt riß er sich von den Banden die ihn an Kloster und Scholastik fesselten los; er wagte es, von der Kunst zu leben die er verstand. Er unterrichtete und kam dadurch in fördernde und seine Zukunft sichernde Verbindungen; er machte einige Schrif- ten bekannt, die ihm, wie sie denn mit eben so viel Vor- sicht als Virtuosität abgefaßt waren, Bewunderung und Gönner verschafften; allmählig fühlte er was das Publi- cum bedurfte und liebte, er warf sich ganz in die Literatur. Er verfaßte Lehrbücher über Methode und Form; übersetzte aus dem Griechischen, das er dabei erst lernte; edirte die 1 Eigentlich als Schüler von Hegius kann er doch nicht be-
trachtet werden. "Hegium," sagt er in dem Compendium vitae, "te- stis diebus audivi." Es war die Ausnahme. Erasmus. ganzen Druck, als er ſie auf ſich genommen; er hielt esſchon für eine Befreiung, daß es ihm gelang eine Stelle in einem Collegium zu Paris zu erhalten: jedoch auch hier ward ihm nicht wohl: er ſah ſich genöthigt, ſcotiſtiſchen Vorleſungen und Disputationen beizuwohnen, und dabei klagt er daß die verdorbene Nahrung, der kanigte Wein, von denen er dort leben mußte, ſeine Geſundheit vollends zu Grunde gerichtet habe. Da war er aber auch ſchon zu dem Gefühle ſeiner ſelbſt gelangt. So wie er noch als Knabe die erſte Spur einer neuen Methode bekommen, 1 war er ihr, mit geringen Hülfsmitteln aber mit dem ſichern In- ſtinct des ächten Talentes nachgegangen; er hatte ſich eine dem Muſter der Alten nicht in jedem einzelnen Ausdruck, aber in innerer Richtigkeit und Eleganz entſprechende leicht dahinfließende Diction zu eigen gemacht, durch die er alles was es in Paris gab weit übertraf; jetzt riß er ſich von den Banden die ihn an Kloſter und Scholaſtik feſſelten los; er wagte es, von der Kunſt zu leben die er verſtand. Er unterrichtete und kam dadurch in fördernde und ſeine Zukunft ſichernde Verbindungen; er machte einige Schrif- ten bekannt, die ihm, wie ſie denn mit eben ſo viel Vor- ſicht als Virtuoſität abgefaßt waren, Bewunderung und Gönner verſchafften; allmählig fühlte er was das Publi- cum bedurfte und liebte, er warf ſich ganz in die Literatur. Er verfaßte Lehrbücher über Methode und Form; überſetzte aus dem Griechiſchen, das er dabei erſt lernte; edirte die 1 Eigentlich als Schuͤler von Hegius kann er doch nicht be-
trachtet werden. „Hegium,“ ſagt er in dem Compendium vitae, „te- stis diebus audivi.“ Es war die Ausnahme. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0283" n="265"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erasmus</hi>.</fw><lb/> ganzen Druck, als er ſie auf ſich genommen; er hielt es<lb/> ſchon für eine Befreiung, daß es ihm gelang eine Stelle<lb/> in einem Collegium zu Paris zu erhalten: jedoch auch hier<lb/> ward ihm nicht wohl: er ſah ſich genöthigt, ſcotiſtiſchen<lb/> Vorleſungen und Disputationen beizuwohnen, und dabei<lb/> klagt er daß die verdorbene Nahrung, der kanigte Wein,<lb/> von denen er dort leben mußte, ſeine Geſundheit vollends<lb/> zu Grunde gerichtet habe. Da war er aber auch ſchon<lb/> zu dem Gefühle ſeiner ſelbſt gelangt. So wie er noch als<lb/> Knabe die erſte Spur einer neuen Methode bekommen, <note place="foot" n="1">Eigentlich als Schuͤler von Hegius kann er doch nicht be-<lb/> trachtet werden. <hi rendition="#aq">„Hegium,“</hi> ſagt er in dem <hi rendition="#aq">Compendium vitae, „te-<lb/> stis diebus audivi.“</hi> Es war die Ausnahme.</note> war<lb/> er ihr, mit geringen Hülfsmitteln aber mit dem ſichern In-<lb/> ſtinct des ächten Talentes nachgegangen; er hatte ſich eine<lb/> dem Muſter der Alten nicht in jedem einzelnen Ausdruck,<lb/> aber in innerer Richtigkeit und Eleganz entſprechende leicht<lb/> dahinfließende Diction zu eigen gemacht, durch die er alles<lb/> was es in Paris gab weit übertraf; jetzt riß er ſich von<lb/> den Banden die ihn an Kloſter und Scholaſtik feſſelten<lb/> los; er wagte es, von der Kunſt zu leben die er verſtand.<lb/> Er unterrichtete und kam dadurch in fördernde und ſeine<lb/> Zukunft ſichernde Verbindungen; er machte einige Schrif-<lb/> ten bekannt, die ihm, wie ſie denn mit eben ſo viel Vor-<lb/> ſicht als Virtuoſität abgefaßt waren, Bewunderung und<lb/> Gönner verſchafften; allmählig fühlte er was das Publi-<lb/> cum bedurfte und liebte, er warf ſich ganz in die Literatur.<lb/> Er verfaßte Lehrbücher über Methode und Form; überſetzte<lb/> aus dem Griechiſchen, das er dabei erſt lernte; edirte die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [265/0283]
Erasmus.
ganzen Druck, als er ſie auf ſich genommen; er hielt es
ſchon für eine Befreiung, daß es ihm gelang eine Stelle
in einem Collegium zu Paris zu erhalten: jedoch auch hier
ward ihm nicht wohl: er ſah ſich genöthigt, ſcotiſtiſchen
Vorleſungen und Disputationen beizuwohnen, und dabei
klagt er daß die verdorbene Nahrung, der kanigte Wein,
von denen er dort leben mußte, ſeine Geſundheit vollends
zu Grunde gerichtet habe. Da war er aber auch ſchon
zu dem Gefühle ſeiner ſelbſt gelangt. So wie er noch als
Knabe die erſte Spur einer neuen Methode bekommen, 1 war
er ihr, mit geringen Hülfsmitteln aber mit dem ſichern In-
ſtinct des ächten Talentes nachgegangen; er hatte ſich eine
dem Muſter der Alten nicht in jedem einzelnen Ausdruck,
aber in innerer Richtigkeit und Eleganz entſprechende leicht
dahinfließende Diction zu eigen gemacht, durch die er alles
was es in Paris gab weit übertraf; jetzt riß er ſich von
den Banden die ihn an Kloſter und Scholaſtik feſſelten
los; er wagte es, von der Kunſt zu leben die er verſtand.
Er unterrichtete und kam dadurch in fördernde und ſeine
Zukunft ſichernde Verbindungen; er machte einige Schrif-
ten bekannt, die ihm, wie ſie denn mit eben ſo viel Vor-
ſicht als Virtuoſität abgefaßt waren, Bewunderung und
Gönner verſchafften; allmählig fühlte er was das Publi-
cum bedurfte und liebte, er warf ſich ganz in die Literatur.
Er verfaßte Lehrbücher über Methode und Form; überſetzte
aus dem Griechiſchen, das er dabei erſt lernte; edirte die
1 Eigentlich als Schuͤler von Hegius kann er doch nicht be-
trachtet werden. „Hegium,“ ſagt er in dem Compendium vitae, „te-
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