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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Erstes Capitel.
ters abgesetzt werden könne. 1 Allein weder hatte das Con-
cilium Autorität genug um Ideen dieser Art ins Werk zu
setzen, noch war Maximilian der Mann dazu sie zu ver-
folgen. Er war an und für sich viel zu schwach: der-
selbe Wimpheling, der ihm die Beschwerden zusammenstellte,
glaubte ihn auch aufmerksam machen zu müssen, wie man-
cher frühere Kaiser durch einen erzürnten Papst, im Bunde
mit deutschen Fürsten abgesetzt worden: wahrhaftig kein
Motiv zu entschlossenem Vorwärtsschreiten. Und überdieß
gab jede neue Wendung der Politik auch seinen geistlichen
Absichten eine andere Richtung. 2 Nachdem er sich 1513
mit Papst Julius II versöhnt, forderte er Hülfe vom Reich,
um das Schisma abzuwenden das man fürchten müsse.
Wäre es wirklich zu fürchten gewesen, so hätte doch er
selbst durch die Begünstigung des Pisanischen Conciliums
große Schuld daran gehabt.

Man sieht: diese Opposition gelangte nicht zu eigent-
licher, wahrer Thätigkeit. Der Mangel einer selbständigen
Reichsgewalt lähmte jeden Versuch, jede Bewegung gleich
im ersten Beginn. Nichts desto minder war sie in den
Gemüthern lebendig; unaufhörlich erhoben sich laute Klagen.

Hemmerlin, dessen Bücher in jenen Jahrzehnden ver-
breitet und eifrig gelesen waren, erschöpft, möchte man sa-
gen, das Lexicon, um den Betrug und die Räuberei zu
schildern, deren der römische Hof sich schuldig mache. 3


1 In dem handschriftlichen Fugger sind die Satzungen die man
erwartete verzeichnet.
2 Baselius 1110. Admonitus prudentium virorum consilio
-- quem incaute pedem cum Gallis contra pontificem firmaverat,
citius retraxit.
3 Felix Malleolus recapitulatio de anno jubileo. Pro nunc

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
ters abgeſetzt werden könne. 1 Allein weder hatte das Con-
cilium Autorität genug um Ideen dieſer Art ins Werk zu
ſetzen, noch war Maximilian der Mann dazu ſie zu ver-
folgen. Er war an und für ſich viel zu ſchwach: der-
ſelbe Wimpheling, der ihm die Beſchwerden zuſammenſtellte,
glaubte ihn auch aufmerkſam machen zu müſſen, wie man-
cher frühere Kaiſer durch einen erzürnten Papſt, im Bunde
mit deutſchen Fürſten abgeſetzt worden: wahrhaftig kein
Motiv zu entſchloſſenem Vorwärtsſchreiten. Und überdieß
gab jede neue Wendung der Politik auch ſeinen geiſtlichen
Abſichten eine andere Richtung. 2 Nachdem er ſich 1513
mit Papſt Julius II verſöhnt, forderte er Hülfe vom Reich,
um das Schisma abzuwenden das man fürchten müſſe.
Wäre es wirklich zu fürchten geweſen, ſo hätte doch er
ſelbſt durch die Begünſtigung des Piſaniſchen Conciliums
große Schuld daran gehabt.

Man ſieht: dieſe Oppoſition gelangte nicht zu eigent-
licher, wahrer Thätigkeit. Der Mangel einer ſelbſtändigen
Reichsgewalt lähmte jeden Verſuch, jede Bewegung gleich
im erſten Beginn. Nichts deſto minder war ſie in den
Gemüthern lebendig; unaufhörlich erhoben ſich laute Klagen.

Hemmerlin, deſſen Bücher in jenen Jahrzehnden ver-
breitet und eifrig geleſen waren, erſchöpft, möchte man ſa-
gen, das Lexicon, um den Betrug und die Räuberei zu
ſchildern, deren der römiſche Hof ſich ſchuldig mache. 3


1 In dem handſchriftlichen Fugger ſind die Satzungen die man
erwartete verzeichnet.
2 Baselius 1110. Admonitus prudentium virorum consilio
— quem incaute pedem cum Gallis contra pontificem firmaverat,
citius retraxit.
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[250/0268] Zweites Buch. Erſtes Capitel. ters abgeſetzt werden könne. 1 Allein weder hatte das Con- cilium Autorität genug um Ideen dieſer Art ins Werk zu ſetzen, noch war Maximilian der Mann dazu ſie zu ver- folgen. Er war an und für ſich viel zu ſchwach: der- ſelbe Wimpheling, der ihm die Beſchwerden zuſammenſtellte, glaubte ihn auch aufmerkſam machen zu müſſen, wie man- cher frühere Kaiſer durch einen erzürnten Papſt, im Bunde mit deutſchen Fürſten abgeſetzt worden: wahrhaftig kein Motiv zu entſchloſſenem Vorwärtsſchreiten. Und überdieß gab jede neue Wendung der Politik auch ſeinen geiſtlichen Abſichten eine andere Richtung. 2 Nachdem er ſich 1513 mit Papſt Julius II verſöhnt, forderte er Hülfe vom Reich, um das Schisma abzuwenden das man fürchten müſſe. Wäre es wirklich zu fürchten geweſen, ſo hätte doch er ſelbſt durch die Begünſtigung des Piſaniſchen Conciliums große Schuld daran gehabt. Man ſieht: dieſe Oppoſition gelangte nicht zu eigent- licher, wahrer Thätigkeit. Der Mangel einer ſelbſtändigen Reichsgewalt lähmte jeden Verſuch, jede Bewegung gleich im erſten Beginn. Nichts deſto minder war ſie in den Gemüthern lebendig; unaufhörlich erhoben ſich laute Klagen. Hemmerlin, deſſen Bücher in jenen Jahrzehnden ver- breitet und eifrig geleſen waren, erſchöpft, möchte man ſa- gen, das Lexicon, um den Betrug und die Räuberei zu ſchildern, deren der römiſche Hof ſich ſchuldig mache. 3 1 In dem handſchriftlichen Fugger ſind die Satzungen die man erwartete verzeichnet. 2 Baselius 1110. Admonitus prudentium virorum consilio — quem incaute pedem cum Gallis contra pontificem firmaverat, citius retraxit. 3 Felix Malleolus recapitulatio de anno jubileo. Pro nunc

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/268>, abgerufen am 24.11.2024.